Mai 2024 - Ausgabe 259
Kreuzberger
Mauro Luongo Wir lieben die Rosen. Also lieben wir auch die Dornen
von Hans W. Korfmann
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Mauro schaut aus dem Fenster. Er lacht. Mauro ist Italiener. Echter Italiener. Er liebt die Sonne, die Kinder, die Frauen, das Essen, die Eiswaffeln und das Erzählen. Wenn er anfängt zu erzählen, kann er nicht mehr aufhören. Mauro ist Italiener. Mauro schaut aus dem Fenster seines Eiswagens. Vor Mauro liegt die weite Landschaft des Tempelhofer Feldes. Wenn die Sonne scheint und vor dem blauen Himmel am Horizont die Segel der Kitesurfer vorbeiziehen und die Kinder heulen, weil das Eis von der Waffel rutscht und im Sand verläuft, lächelt er. Dann ist es wie Italien am Meer. Während Mauro von Italien spricht, registriert er jede Bewegung, jeden potentiellen Kunden, der sich nähert. Mauro erkennt Kundschaft auf den ersten Blick. Dann verlangsamt sich das rasante Tempo seiner Erzählungen von Ischia und seinen vielen Geschwistern, und dann sagt er zu der jungen Frau: Signorina, was kann ich für Sie tun? Mauro hat viele Freunde, die eigentlich nur vorbeikommen, um zu plaudern. Das Eis ist Nebensache. Es sind so viele Freunde, dass er ihre Namen durcheinander bringt: Hans, Jürgen, Peter…. diese ganzen unmusikalischen deutschen Namen. Wie schön klingt dagegen Vincenzo, Giuseppe, Salvatore! Mauro! Oft weiß er nicht mehr, wem er welche Geschichte schon erzählt hat. Es sind einfach zu viele Zuhörer und zu viele Geschichten. Nur die mit der Schießerei kennen die meisten schon. Vor seinen Augen, vor seinem unschuldigen Eisladen haben sie den erschossen, wie in Sizilien, mitten auf der Straße. »Da war so eine alte Sache gewesen zwischen den beiden...«, sagt Mauro. Damals war er in allen Zeitungen. Im Fernsehen. Alle kamen und wollten die Einschusslöcher in der Karosserie sehen. Noch heute, wenn er erzählt, klingt es, als wäre das alles erst gestern gewesen. »Bumbumbum…«, zitierte ihn die FAZ. Mauro ist berühmt. Nicht nur wegen der Schießerei. Sondern weil er ein echter Italiener ist! Einer wie aus dem Bilderbuch. Einer, der seine Heimat liebt, auch wenn er ständig auf sie schimpft. »Wir lieben die Rosen, also lieben wir auch die Dornen!« Schon wie er »Ischia« sagt, mit welch weicher Stimme! Aber zurückgehen? »Niemals! Ich bin leidenschaftlicher Eisverkäufer! In Ischia fangen die erst ab 28 Grad an, Eis zu essen. In Berlin essen sie das ganze Jahr. Gestern, ich habe gefroren wie am Nordpol! Aber ich habe 60 Kugeln verkauft!« Mauro verbringt nur wenige Tage im Jahr auf Ischia. Angela Merkel bleibt auch immer nur ein paar Wochen in Sant´ Angelo. Mauros Bruder, dem Gärtner, hat sie eine Sondermünze geschenkt, »die Frau Merkel. Jetzt kommt sie nicht mehr. Die Paparazzi haben sie heimlich fotografiert. Im Badezimmer. – Also, so was macht man doch nicht!« Mauro zieht die Mundwinkel herunter: »Nein, Ischia ist nichts für mich! Im Sommer zu heiß, nachts kannst du nicht schlafen! Den ganzen Tag im Wasser geht auch nicht! Und draußen verbrennst du wie ein Salamander. Und dann der Winter: Alles ist feucht! Überall dieses Meer!« Später lernte er Urlauber aus Deutschland kennen, Touristinnen, die beschworen Bilder eines bequemeren Lebens herauf. Aber Mauro trug noch immer das Wasser aus den unterirdischen Zisternen am Berg auf seinen Schultern in die fruchtlosen Gärten, »50 Kilo auf dem Rücken! Das schmerzt.« Auch im Haus floss noch kein Wasser, das musste er vom Marktplatz heranschleppen. Das Leben war mühsam, weshalb die Mutter ihre neun Kinder immer wieder ermahnte, ehrlich zu bleiben und nicht zu stehlen. »Ihr könnt betteln, aber bleibt aufrecht!« Jedes Mal, wenn Mauro an dieser Stelle seiner Erzählungen ankommt, verschwindet er kurz in die hintere Ecke des Eiswagens. Wenn er zurückkommt, sind die Augen noch feucht. »Jedes Mal, wenn ich das erzähle, bekomme ich selber Gänsehaut!« Mauro ist eben Italiener. Italiener haben ein Herz. Sie sind leidenschaftlich. Und sie lieben die Bühne, das Theater. »Auf Ischia gab es kein einziges Theater. Ich musste erst nach Berlin kommen, um endlich ins Theater gehen zu können. Ich hatte da auf Ischia eine Berlinerin kennengelernt, aus Wilmersdorf, die sprach Italienisch. Sie war ein bisschen älter als ich, aber sie hat mir Deutsch beigebracht und Manieren. Sie hat mir gezeigt, wie man die Serviette benutzt. Ich bin da immer einmal von rechts nach links übers ganze Gesicht, wie das die Bauern so machen, und sie nahm die Serviette und tupfte ein wenig rechts im Mundwinkel und ein wenig links. Sie erklärte mir, dass man einer Dame die Tür öffnet, wenn man ein Restaurant betritt, und ihr den Mantel abnimmt. Ich habe ihr viel zu verdanken. Aber eines Tages gingen unsere Wege auseinander. Sie war ja ein bisschen älter als ich, und ich war noch ein junger Mann mit Locken…« Prego Signor? - Der junge Mann mit dem Fahrrad hatte eigentlich ganz interessiert zugehört. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen….«, sagt er. - Tutto bene. -»Dann nehme ich ein Beck´s.« Der Eismann verkauft nämlich nicht nur Eis, er verkauft auch Bier und Kaffee, Tee, Schokolade, Orangeade, Limonade. Man muss ja schließlich leben von etwas... Mauro dachte, jetzt müsse er ewig auf Ischia bleiben. Noch einmal sah Sebastiano ihn an, von oben bis unten und wieder zurück, und dann sagte er: »Weißt du was: Ich vertraue dir. Aber wenn du in drei Monaten nicht kochen kannst, musst Du wieder zurück.« Mauro räuspert sich. Eigentlich müsste er schon wieder in die hinterste Ecke des Eiswagens laufen, aber er reißt sich zusammen und sagt: »Mein Herz schmolz dahin wie Eis bei 28 Grad!« Was kann ich für Sie tun, Signorina? – Die junge Frau vor dem Eiswagen lächelt. Frauen lieben es, wenn Eisverkäufer italienisch sprechen. Ihre Eiskugel ist eine winzige Spur größer als üblich. Ciao bella.... Mauro muss ein Casanova gewesen sein. 1978. Als er mit Giovanni nach Oldenburg kam, in die Pizza Pazza, »das heißt verrückte Pizza.« Giovanni ging irgendwann zurück. Mauro blieb. Ein Jahr. Bis die Tou-ristin aus Wilmerdorf anrief. Zuerst begann er in einer Bäckerei zu arbeiten, »aber das war nichts für mich, mitten in der Nacht aufstehen.« Da lud ihn die Wilmersdorferin ins Isola d´Ischia ein, ein Restaurant von Leuten seiner Heimatinsel. Dort buk er Pizza. Einige Jahre. Aber am besten gefiel es ihm als Kellner in der kleinen Pension am Ku´damm. Er hatte ein nettes Zimmer, menschliche Arbeitszeiten und den größten Boulevard Berlins vor der Nase. Der Oberkellner hieß Reiner und brachte ihm bei, was die Wilmersdorferin versäumt hatte: »Komm her, Italiener!«, sagte er zu Mauro, »ich zeig dir mal, wie man eine Krawatte bindet!« Reiner war ein Deutscher alter Schule. Irgendwann konnte die Wilmersdorferin mit Mauro in den vornehmsten Restaurants dinieren. Prego Signori? - »Hey, Mauro, wo sind denn die Einschusslöcher geblieben?« Zwei junge Türken suchen vergeblich die Karosserie ab. »Ach, da kamen so viele und wollten immer nur die Beulen sehen. Also hab ich sie zugeschmiert. Aber nimm mal die rechte Colaflasche da weg, die ganz rechts.« Jetzt strahlen die Jungs. Mauro sagt: »Darf es sonst noch etwas sein?« – »Zwei Kugeln Schlumpf!« Mauro begann als Viehhirte, Kellner und Pizzabäcker, aber er endete als Eismann. Als der »berühmteste Eismann Berlins«. So schrieb es immerhin die FAZ. Nur, weil ihn Domenico irgendwann fragte, ob er nicht bürgen könne. Domenico verkaufte Eis an die amerikanischen Soldaten und brauchte einen neuen Eiswagen. Die Bank wollte ihm Geld geben, aber sie bestand auf einen Bürgen. Mauro hatte keine Ahnung, was ein Bürge ist, aber er unterschrieb. Domenico war Italiener. Echter Italiener. Aber dann wollte die Bank plötzlich Geld von Mauro. Über den schon so viel geschrieben wurde. Der schon 1986 von sich reden machte, als er seinen Wagen vor dem Reichstag aufstellte, direkt am Haupteingang. »Ich bin einfach die Auffahrt raufgefahren. Da spielten die Fußball vor dem Reichstag und kamen hinterher alle zum Eisessen.« Mauro gehörte schon so gut wie dazu zum Reichstag, bis eines Tages die Polizei kam und fragte, ob er überhaupt eine Genehmigung hätte. »Was für eine Genehmigung?«, fragte Mauro. Es gab nicht einmal eine Strafe. Berlin war anders als Ischia. Zu seinem Ruhm beigetragen hat auch das Haus in der Lausitzer Straße, in dem er sein Lager hatte. Es gehörte einem dänischen Inves-tor, und der wollte das Haus verkaufen und kündigte dem Eismann. Von heute auf morgen. Einfach so. Aber Mauro ist Italiener. Echter Italiener! Mauro »spürte, wie die Wut hochstieg« in ihm, »bis dahin!« - Mauros waagerechte Hand verharrt auf der Höhe des Herzens. Er ging schnurstracks zu Taekker und fragte, was das solle, ihm so plötzlich zu kündigen, »nach so vielen Jahren? Ohne Begründung!« Der junge Mann antwortete: »Ich muss Ihnen dafür keine Begründung geben.« Mauro, der so viel erzählt, der immer redet, war einen Moment lang tatsächlich sprachlos. Dann sagte er: »Wenn ich Sie jetzt erschieße und die Polizei fragt, warum ich das gemacht habe, dann werde ich auch sagen: Ich muss Ihnen dafür keine Begründung geben!« - »Sie drohen mir?«, fragte der junge Mann. - »Quatsch!« sagte Mauro, »Wenn ich Sie erschießen will, dann drohe ich nicht, dann mache ich das. Bumbumbum.« Mauro ist ein echter Italiener. Er hat Taekker trotzdem nicht erschossen. Obwohl auch der kleine Film mit den Kindern und die Demonstration in der Lausitzer Straße und die Zeitungen und das Fernsehen nichts geholfen hatten und Mauro ausziehen musste. Den Standplatz am Tempelhofer Feld konnte er verteidigen, als das Ordnungsamt den eines Tages nicht mehr genehmigen wollte. Einfach so! Aber Mauro weiß, wie man sich durchsetzt. Und als die Grün-Berlin-GmbH ihm eine Truppe junger Gastronomen direkt vor die Nase auf die grüne Wiese setzte, und als die plötzlich damit begannen, neben Kaffee, Kuchen, Bier und Wein auch noch Eiscreme zu verkaufen, da packte er sein Megaphon aus und rief auf die andere Seite des Zaunes: »Gelati, Eiscreme, echte italienische Eiscreme.« Bis die neuen Nachbarn ihr Eis wieder einpackten und sich bei ihm entschuldigten. Mauro ist eben, wie er ist. »Immer gleich. Immer Mauro.« Er weiß, was er will. Und meistens bekommt er auch, was er will. Er hat als kleiner Junge zum Himmel gebetet, dass er einmal wegkommt von Forio, diesem elenden Dorf auf dieser elenden Insel. Und er hat es geschafft! Mauro schaut aus dem Ausguck seines Eiswagens, erst nach Kundschaft, dann schräg nach oben. Dorthin, wo der Allmächtige stecken könnte. Es sieht aus, als zwinkere Mauro ihm zu. Als wären die beiden ein gutes Team. Als wolle er sagen: Vielen Dank, dass Du mich hierher geführt hast. Ischia ist wirklich eine schöne Insel, Aber für mich war das wirklich nichts. |