Mai 2024 - Ausgabe 259
Helmut
Tischgesellschaften von Martin Blath |
Helmut liebte es, mit Freunden am Tisch zu sitzen und zu essen, und da er ein guter Erzähler war, wurde er oft und gerne eingeladen. So oft, dass er mit der Zeit wählerisch wurde: Wenn ihm ein Gastgeber zu spießig war, konnten ihn auch die größte Wohnung und der beste Wein nicht locken. Deshalb empfanden es viele als Ehre, wenn er eine Einladung annahm. Natürlich bemerkte er das und genoss es, gerne ein halbes Stündchen später zu erscheinen. Da er häufig eingeladen wurde, gebot es der Anstand, sich ab und an zu revanchieren, was Helmut, wenn er Geld besaß, gerne tat. Wenn die Wohnung halbwegs aufgeräumt war, schob er zwei Enten in den Ofen oder vier Lachse, die er im finnischen See gefangen oder im finnischen Supermarkt erstanden hatte. Helmut fuhr jeden Winter nach Finnland, um Holz für seine Frau zu schlagen, die in einem einsamen Haus im Wald am See lebte. Damit die Fische während der zweitägigen Reise nicht verdarben, fädelte er sie an einer Schnur auf, kletterte aufs schneebedeckte Dach des Hauses und hängte sie für zwei oder drei Tage zum Räuchern in den Schornstein. Einmal packte er die Lachse in zwei Plastiktüten mit Eis. In Berlin angekommen, brachte er sie erst einmal zu Klaus und Sabine in die Gartenlaube. Da war es schön kalt. Dann lud er die gesamte Stammkundschaft des Heidelberger Krugs für den nächsten Abend zum Lachsessen ein. Die Gäste mussten lange auf die Lachse warten, zum einen, weil der riesige Topf mit den Kartoffeln auf der winzigen Elektroplatte ewig brauchte, bis er köchelte, und zum anderen, weil Klaus und Helmut, als sie in die Laube fuhren, um den Fisch zu holen, erst unterwegs bemerkten, dass sie Lisa, den kleinen Hund von Sabine und Klaus, auf der Straße vorm Krug vergessen hatten. Es wurde ein langer und lustiger Abend im Heidelberger Krug, auch Lisa war wieder aufgetaucht. Als Helmut einmal eine größere Summe Geld besaß, ließ er es sich nicht nehmen, bei Giorgios in der Friesenstraße für zwei Abende einen langen Tisch zu reservieren, um sich bei seinen vielen Gastgebern zu bedanken. Er überraschte die Gäste im Restaurant Z mit einem perfekt sitzenden schwarzen Smoking, der einen eindrucksvollen Kontrast zu seinen silbergrauen Haaren bildete. Ohne Zögern hatte der kleine Mann, der tagsüber mit dem Akkordeon in der Hand und dem Hut vor sich in den U-Bahn-Stationen auf dem Boden saß, um abends im Krug die gesammelten Münzen zu kleinen Türmchen aufzustapeln und damit den Hauswein zu bezahlen, bei Giorgios ein kleines Vermögen hingelegt. Wohl wissend, dass seine Gäste noch lange über diese beiden Abende sprechen und ihn auch künftig wieder auf ein Glas einladen würden. |