Mai 2024 - Ausgabe 259
Geschichten & Geschichte
Helene und Max Weber von Christoph Hamann |
Einen Sohn nach sich selbst zu benennen, das sagt schon etwas über den Vater. Die Mutter Helene musste 1864 bei der Geburt ihres Ältesten wohl zustimmen, so waren die Zeiten. In der Ehe ging es patriarchalisch zu, der Sohn sollte Max heißen, Punkt. Das Verhältnis der beiden wurde mit den Jahren dann schwierig. Der Sohn warf dem Vater vor, die Mutter schlecht zu behandeln. Zu Recht, wenn man dem Biografen glaubt. Helene war eine sehr gläubige und eher zarte Natur, der Vater mit Kopf und Körper dagegen ausgesprochen robust. Bei der Hochzeit soll der Schwager den frischgebackenen Ehemann gebeten haben, seine junge Braut »zur Festigung ihres jungen Körpers noch zu schonen.« Doch der Stammhalter kam bereits neun Monate später zur Welt. Im Abstand von jeweils zwei Jahren folgten sieben Geschwister. Der Vater, Dr. jur. Max Weber, verfolgte neben der Familiengründung zielstrebig seine Karriere als Stadtrat in Erfurt und Berlin, als Abgeordneter im preußischen Landtag sowie im Reichstag. Sozial gesehen ein »klassenbewußter Bourgeois«, so Wolfgang J. Mommsen Jahrzehnte später, ein Historiker, dessen Vorfahrin Clara Weber eine Tochter von Helene und Max war. Die Söhne kommen mitunter nach den Vätern, aller persönlichen Abneigung zum Trotz. Max, der Sohn, pflegte wie der Vater eine eiserne Arbeitsdisziplin – bis zur körperlichen Erschöpfung und Arbeitsunfähigkeit. Sein berühmtestes Buch trägt den Titel »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«. Das Thema war: Warum arbeiten die Menschen der Moderne freiwillig mehr als sie eigentlich müssten? Webers Antwort lautete: Der Calvinismus ist schuld. Dessen Anhänger hätten dereinst im wirtschaftlichen Erfolg die Gunst Gottes gesehen. Inzwischen gilt die These Max Webers als überholt, wird aber immer noch gerne zitiert. Max Weber Junior gilt als ein Klassiker der Soziologie, seiner Themen und seines wissenschaftlichen Status‘ wegen ein »bürgerlicher Marx« genannt, so der schon zitierte Historiker. An all dies mögen sich Historiker erinnern, wenn sie auf einem der Friedhöfe an der Bergmannstraße spazieren gehen. Denn dort befindet sich ein Grabstein mit den Inschriften Max Weber und Helene Weber, geb. Fallenstein. Sie markieren die letzte Ruhestätte der Eltern des berühmten Soziologen. Ihre erste Berliner Wohnung hatte die Familie 1869 am Tempelhofer Ufer 31 im heutigen Kreuzberg bezogen. Für den den Stadtrat war das praktisch, er konnte zu Fuß ins Rote Rathaus gehen. Seine Frau schildert die neue Wohnung mit einem Zimmer für das Dienstmädchen, »was mir auch sehr am Herzen lag. Ein Garten ist auch dahinter« und man hat »die Promenaden vor der Tür und keine Treppen zu steigen.« Doch Weber Sen. schmälert das eheliche Glück, indem er seiner Frau vorwirft, in ihrer Haushaltsführung allzu leichtfertig mit dem Geld umzugehen. Geld wohlgemerkt, welches sie mit in die Ehe gebracht hatte. Sie wiederum opferte sich für die Familie und den Haushalt auf. Ihre soziale Haltung unterscheidet sich doch stark von der ihrer beiden Mäxe. In einem Brief schreibt sie: »Es liegt mir oft das viele Elend, was ungesehen und ungehört um uns existiert, so schwer auf dem Herzen, und die Hilflosigkeit, mit welcher man ihm gegenübersteht, dass mir jeder Genuss, jeder Besitz wie ein Unrecht vorkommt.« Mit den sozialen und religiösen Einstellungen seiner Frau konnte er nichts anfangen, zudem gängelte er sie autoritär. Im Juni 1897 kam es im Hause Weber schließlich zum finalen Krach zwischen Vater und Sohn, der sich schützend vor seine von ihm verehrte Mutter gestellt hatte. »Ein Sohn hält Gerichtstag über seinen Vater«, fasst Marianne, die Frau des Juniors, das Drama zusammen. Was keiner wissen konnte, der Bruch war endgültig. In einer Zeitungs-Anzeige gab Helene am 12. August 1897 bekannt, dass ihr Mann zwei Tage zuvor in Riga »sanft entschlafen« sei. Er hatte mit einem Freund eine Reise nach Russland angetreten. Die Überführung des Leichnams von Riga nach Berlin dauerte, vermutlich nahm der Sarg den gleichen Weg wie die Reisenden auf der Hinfahrt. Mit dem Dampfer nach Stettin und von dort mit der Bahn nach Berlin. Am 16. August wurde Max Weber Senior auf dem Friedhof IV der Gemeinde Jerusalems- und Neue Kirche an der Bergmannstraße beerdigt. Helene starb 22 Jahre später und wurde an der Seite ihres Mannes begraben. Sie hatte lange an einer Lungenlähmung gelitten, ihr Schwiegersohn, der Arzt Ernst Mommsen, linderte zuletzt ihre Schmerzen mit Morphium. Max traf ihr Tod sehr, er habe »das Gefühl in die kalte Höhe zu ragen ohne das Schirmdach der jungen Jahre. Berlin, das nun tot und kalt für uns da liegt und nichts mehr bedeutet«, schreibt er an seine Geliebte Mina Tobler. Nur den Geschwistern zuliebe stimmt er zu, dass die Mutter auf der »ungeheueren (…) Friedhofs-Steinwüste nahe dem Kreuzberg« an der Bergmannstraße neben dem Vater beerdigt wurde. Die geistliche Trauerrede hielt am 18. Oktober 1919 Otto Baumgarten, Professor für Theologie, ein Vetter Max Webers. Als politisch linker Theologe, der früh gegen die Nazis Stellung bezog, hob er Helenes Drang zur Gerechtigkeit hervor. Der Sohn pries den Humor seiner Mutter und seine Frau Marianne deren Fähigkeit zur Liebe. Ein halbes Jahr später starb auch Max Weber an der Spanischen Grippe. Der Grabstein beginnt mitlerweile, sich vor den Verstorbenen zu verneigen. Eine schöne Geste, statisch aber bedenklich. Auch die Tafel mit den Namen der Verstorbenen löst sich schon vom Stein. |