Kreuzberger Chronik
Mai 2024 - Ausgabe 259

Reportagen, Gespräche, Interviews

Land in Sicht


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von Hans W. Korfmann

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Foto: John Colton


Wegners kleiner Feldzug
Die Umschreibung des Tempelhofgesetzes vom 18. April ermöglicht den Ausbau der Flüchtlingsunterkünfte auf dem Tempelhofer Feld. Doch es geht nicht um Flüchtlinge. Es geht darum, einen Fuß auf das Feld zu bekommen.

Es ist wie immer im Krieg: Der Angreifer wählt für den Angriff einen Zeitpunkt, an dem er den Gegner überraschen kann. Deshalb setzte der Berliner Senat im Kampf ums Tempelhofer Feld die erste entscheidende Sitzung zur Änderung des Tempelhofgesetzes auf den 15. Dezember 2023 an, einen Tag, an dem sich die halbe Tagespresse schon in den Winterschlaf verabschiedet hatte und die Öffentlichkeit nicht mehr wachrütteln konnte. Als es 2019 um die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auf den Friedhöfen an der Bergmann-straße ging, wählte man einen Tag zwischen Weihnachten und Neujahr, um den Bauantrag durchzubringen.

Ein weiterer Vorteil beim Durchboxen unpopulärer Entscheidungen ist das kleine Zeitfenster, das am Jahresende für den Diskurs bleibt. Die Abgeordneten sind nach zwölf Monaten des Diskutierens müde und wollen bis Silvester reinen Schreibtisch machen. 100% Tempelhofer Feld, die Bürgerinitiative, die seit der Schließung des Flughafens um den Erhalt der Wiesenlandschaft kämpft, schreibt, dass aus diesem Grund wichtige Themen »eigentlich gar nicht erst auf die Tagesordnung kommen. Es sei denn, man möchte gar nicht, dass über sie diskutiert wird«. Man möchte nicht mehr darüber diskutieren, ob das Feld bebaut werden soll oder nicht. Es soll bebaut werden!

Solches Verhalten markiert für die Bürgerinitiative »einen Tiefpunkt demokratischer Gepflogenheiten«, denn seit sich 2014 mehr als 700.000 Berliner gegen die Bebauung des Feldes ausgesprochen haben, ist klar, was die Bürger wünschen. Auch die Zahlen einer von der senatseigenen Grün Berlin GmbH initiierten Untersuchung zum Besucheraufkommen aus dem Jahr 2020 lassen keinen Zweifel zu:

82 Prozent der Befragten gaben an, »ganz sicher« wiederzukommen. Weitere 10 Prozent hielten das für wahrscheinlich, 4 Prozent waren unentschieden und lediglich 2 Prozent meinten, sie würden »wahrscheinlich nicht« wiederkommen. Auf weitere Untersuchungen hat man seitdem verzichtet. Vielleicht, weil die Statistik verdeutlicht, wie beliebt dieser Ort unter den Berlinern geworden ist, und dass jeder, der das Feld einmal mit eigenen Augen gesehen hat, sich auch bei einer neuerlichen Volksabstimmung für den Erhalt der innerstädtischen Naturlandschaft aussprechen wird. »Nur Blinde, die das Feld nie gesehen haben, werden sich für ein Wohnviertel an dieser Stelle aussprechen.«

Dessen ungeachtet hat der Senat bereits eine Woche vor der Dezembersitzung einen drei Millionen Euro teuren Architekturwettbewerb zur Gestaltung des Flughafengeländes ausgeschrieben. 2025 sollen die Entwürfe präsentiert werden. Bausenator Gaebler gibt sich siegesgewiss, wenn er sagt, dass es nicht mehr um das »Ob«, sondern nur noch um das »Wie« einer Bebauung gehe.

Doch mit der wachsenden Beliebtheit des Feldes wächst auch der Widerstand. Zwar besitzt der Bürgermeister im Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von CDU und SPD die Mehrheit, um eine kleine Gesetzesänderung durchzuführen und für einige Jahre einige Container auf dem Feld aufzustellen. Die Mehrheit für eine dauerhafte Bebauung kann er dort nicht gewinnen. Da hätte das Volk noch ein Wort mitzureden.

Wegners neue Gesetzschreibung betrifft lediglich 14,4 Hektar und ist zeitlich befristet. Doch der Senat sieht in der Etablierung von Wohnstätten auf den geschützten Bereichen des Tempelhofer Feldes offenbar einen Landgewinn. Es geht darum, Fuß zu fassen auf dem Feld.

Es geht nicht um die Flüchtlinge. Man hätte die bestehende Containersiedlung problemlos und ohne Gesetzesänderung nach Westen ausweiten können, auf eine ohnehin leerstehende und bereits eingezäunte Fläche vor den Hangars. Auf die Fragen der Opposition, warum man das ablehne, gab es keine Antwort. Wegner will nicht nach Wes-ten, er will nach Osten. Er will auf ein vom Tempelhofgesetz geschütztes Gebiet vordringen und von Bürgern erobertes Land zurückgewinnen. Es ist wie im Krieg.

Wo Wegner hin will, stehen die Zelte des Kinderzirkus Cabuwazi. Doch der Zirkus hat einen langfristigen Vertrag, weshalb es im Gesetz heißt: »Die bereits auf der Fläche östlich des Vorfeldes errichteten (…) Einrichtungen für Bildung, Begegnung und Betreuung (Cabuwazi) können nach ThF-Gesetz weiter befristet errichtet bleiben.« Der Zirkus wird auf Wegners Feldzug links liegengelassen. Auf dem Minigolfplatz nebenan aber denkt man schon darüber nach, wieviel Arbeit es sein wird, die Golfbahnen ab- und woanders wieder aufzubauen.

Auch der Stadtacker dürfte dem Feldherren auf seinem Zug nach Osten im Wege stehen. Vor dem Idyll mit den hölzernen Blumenkästen und Obstbäumen, den Kräuterbüschen und Tomatenstauden und dem Freiluftschachspiel sitzt auf einer Bank in der Sonne ein Student und liest. »Das ist mein Lieblingsplatz. Die Stadt ist so voll geworden. Hier kann man noch lesen.« Von einem möglichen Umzug seiner Lieblingsbank hat er noch nichts gehört. Aber er weiß, dass das Feld hart umkämpft ist. Und dass gebaut werden soll. Und dass die Flüchtlinge nur vorgeschoben sind. »Schau dir das doch mal an, dieser riesige Käfig! Und alle gaffen rein. Wenn sie da wenigstens ein bisschen Sichtschutz hinbauen würden, einen bunten Bretterzaun - oder von mir aus auch deutsche Hecken!« Doch es geht ja gar nicht um einen sonnigen Platz für Flüchtlinge. Für sie ist Platz genug rund ums Flughafengebäude.


Lothar Eberhard
Proteste gegen die geplante Bebauung 2009 - »...die gleichen Argumente wie heute!
Das steht auch auf den Transparenten der TiB, der Turngemeinde in Berlin, gegründet im Revolutionsjahr 1848. Der Verein pachtete vom Senat zwei Baseballfelder, Tennis- und Basteketballplätze, und legte Beachballfelder an. Die alten Anlagen sind ein angenehmer Kontrast zu heutigen Sportpalästen und passen gut aufs Flugfeld. Nun sollen sie und die Sportler, unter ihnen 500 Baseballer, umquartiert werden.



Die starteten eine Unterschriftenaktion. Zwei Wochen vor der Abstimmung am 18. April fehlten noch 3000 Stimmen, um Wegner aufzuhalten. Jetzt ist klar: Wenn die Container kommen, muss ihnen der Senat eine Alternative anbieten, und zwar »im selben Umfang an geeigneter Stelle auf dem Tempelhofer Feld«, wie Julian Schwarze von den Grünen aus dem Gesetzesantrag zitiert. Laut Tempelhofgesetz aber ist die Errichtung derartiger Sportanlagen so gut wie ausgeschlossen.


Protestplakat der Allmende-Gärten anlässlich der Volkabstimmung 2014
Wahrscheinlich, sagt Tilmann Heuser, habe man für die Unterkünfte auf dem Feld noch gar keinen Plan. Und das sei typisch für den blinden Aktionismus des Senats. Tilmann Heuser, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland, verfolgt die Entwicklungen auf Berlins größter Wildwiese seit der Schließung des Flughafens mit Argusaugen. »Das Feld wird von der Politik immer wieder in Frage gestellt. Da könnten wir eigentlich doch mal… . dieses oder jenes...«. Als ob es keine anderen Bauflächen gäbe in der Stadt. Es gibt genug. »Aber das Feld ist eben auch immer eine Schlagzeile wert!«, und Politiker wollen gehört werden. Das ist ihr Geschäft.

Einer, der sich noch länger als Heuser im Politgeschäft auskennt, ist Norbert Rheinlaender. Der Stadtplaner ist seit einem halben Jahrhundert im Widerstand und hat bereits 1974 mit einer Bürgerinitiative die Autobahn quer durchs dicht besiedelte Kreuzberg verhindert. Jetzt ist er einer der gewählten sieben Volksvertreter, die sich mit Gesandten von Senat und Grün Berlin regelmäßig zur Feldkoordination treffen. Ohne ihre Zustimmung darf kein Blümchen gepflanzt und auch kein Tempohome gebaut werden. Rheinlaender ist der Veteran des Gremiums, aber er ist still und hört nur aufmerksam zu. Vielleicht wartet er noch auf einen strategisch günstigen Zeitpunkt. Wie im Krieg.

Als die Feldkoordination vor zehn Jahren das erste Mal im Flughafengebäude zusammentraf, saßen sich die Vertreter von Volk und Staat mit ihren Namensschildchen noch wie zwei feindliche Lager gegenüber. Die Stimmung war gereizt, die Redezeit limitiert, die Diskussion kontrovers. Heute sitzt man gemütlich im Kreis und duzt sich. Es gibt Arbeitsgruppen, eine Projektbörse, ein Feldforum und sogar eine senatsfinanzierte Geschäftsstelle der Feldkoordination. Und die Vertreter von Grün Berlin tragen keine Krawatten mehr, sondern Turnschuhe.

Aus einstigen Kontrahenten sind Kollegen geworden, die ein gemeinsames Feld bestellen. Es geht um Alltägliches, um Hundebesitzer, die sich beschweren, dass niemand die Löcher zuschüttet, die ihre Hunde buddeln, um die »bunte Vielfalt« der Plakate an den Eingängen und darum, ob man zum Stammtisch Bananen oder Äpfel reichen soll.

Christiane Bongartz, die seit 2014 Feldkoordinatorin ist, hebt die Schultern. Das ist der Lauf der Dinge. Aber sie hat das Gefühl, dass sich die Einstellung der Senatsvertreter vor Ort gewandelt habe. Dass sie diesen Ort schätzen gelernt haben und jetzt auf der Seite der Feldverteidiger stehen. Rheinlaender sieht es nüchterner. »Die verteidigen auch ihren Arbeitsplatz. Wenn hier Häuser sind, braucht man die nicht mehr.«

Am Ende der Sitzung geht es dann doch noch um das große Ganze und nicht nur um die Hundekacke und ein paar Container auf dem Feld. Es geht um Wegners Baupläne. Um den »Bürgerdialog«, mit dem Bausenator Gaebler eine neue Volksabstimmung vorbereiten möchte. Im Raum ist man sich einig: Das ganze ist eine Farce! Die einen sagen es leiser, die anderen lauter. Die Vertreter von Grün Berlin leiser.

Der Dialog sieht vor, dass 250 ausgewählte Berliner in einer Ideenwerkstatt ihre Vorstellungen zur Umgestaltung des Feldes formulieren. Am 4. März wurde die Zahl der Teilnehmer auf 257 erhöht, denn der Senat lud explizit auch die sieben Volksvertreter der Feldkoordination ein. Die lehnten dankend ab. »Gesetzt den Fall,« sagt Bongartz später vor der Tür, »die Bürgerwerkstätten kämen zum Ergebnis, das Tempelhofer Feld gar nicht bebauen zu wollen, dann wäre dieses Ergebnis schon vom Ideenwettbewerbsverfahren her mit der angestrebten Randbebauung nicht vereinbar. Eine Negativ-Planung wäre spätestens bei der Aufstellung von Bebauungsplänen gesetzlich nicht zulässig.«

Auch Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie kritisiert, dass im Beteiligungsverfahren »die Nicht-Bebauung« gar nicht zur Debatte stünde. Schon bei der Umgestaltung der Bergmannstraße durften die Bürger nur über das »Wie«, nicht mehr über das »Ob« mitreden. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Bongartz ergänzt, dass der angebliche Bürgerdialog dem Tempelhofgesetz und der darin enthaltenen Verpflichtung zu einer echten Bürgerbeteiligung »nicht im Mindesten« gerecht werde. Bongartz ist vor zehn Jahren angetreten, um das Feld in Gänze zu erhalten und fühlt sich nicht verpflichtet, an »Pseudobürgerbeteiligungen« teilzunehmen.

»Da die Ergebnisse der Bürgerwerkstätten in den vorgesehenen Ideenwettbewerb eingespeist und die Preisrichter von der Politik vorgeschlagen werden, ist nicht davon auszugehen, dass Empfehlungen in Richtung Nichtbebauung zum Tragen kommen. Alle involvierten Firmen, Preisrichter, Teilnehmer an Ausschreibungen und dem Wettbewerb, die sich an dieser Farce beteiligen, diskreditieren sich in Bezug auf Bürgerbeteiligung für alle Zeiten. Ihre Namen werden genannt werden und in aller Munde sein.«






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