Mai 2024 - Ausgabe 259
Geschäfte
Die Körte Apotheke von Michael Unfried |
Es ist anzunehmen, dass die Gestaltung des kleinen Vorplatzes mit dem Holzbänkchen vor der Linde und den Blumenrabatten eine Arbeit des Apothekers aus dem Haus gegenüber ist. Die städtischen Gärtner würden niemals so viel Liebe und Verständnis für die Natur aufbringen. Der Apotheker aber beweist auch bei der Dekoration seiner Schaufenster gestalterische Begabung und eine enge Beziehung zur Natur. Während übliche Apothekenbesitzer in ihren Schaufenstern mit großformatigen und schmerzgekrümmten Rückenansichten für Salben zur Linderung der Schmerzen bei Ischias und Bandscheibenvorfällen werben, hat sich der Apotheker an der Urbanstraße eine kleine Tierwelt aufgebaut. Passanten, die das erste Mal vorbeikommen, rätseln, ob es sich nicht doch um einen Blumenladen oder eine Tierhandlung handelt. Die Meinungen darüber, wie viele Tiere sich zwischen den Arzneimitteln in Fläschchen, Döschen, Schächtelchen und Tütchen aufhalten, gehen auseinander, denn die Tiere sind in der Dekolandschaft der Körte Apotheke mit ihren Blumensträußen und Kräutergarben gut versteckt. Erschwerend kommt hinzu, dass ständig neue Tiere auftauchen, während andere verschwinden. Manchmal über Nacht. Die Körte Apotheke könnte auch eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen sein. Links im Schaufenster sitzt ein großer Uhu, der so echt aussieht, als käme er frisch aus dem Naturkundemuseum. Eher unrealistisch sind die pinkfarbene Riesenschnecke, die goldenen Krokodile, die goldene Heuschrecke und der goldene Affe, der sich die Augen zuhält vor so viel Theater. Aber es gibt natürlich nicht nur Tiere, Blumen und Kräuter im Schaufenster des Apothekers, es gibt auch Flaschen mit Kräutermixturen aus eigener Herstellung. Da ist das Körte Virazym oder das Körte Acerola, das Körte-Dao Minh und auch das Körte-Bärenschlaf mit Schlafbeeren, Baldrian, Passionsblumen, Johanniskraut, Hopfen und Melatonin. Um tiefer zu schlafen als ein Bär im Winter. Wer nach all diesen Betrachtungen des Schaufensters und des Gartens das Innere der Geschäftsräume betritt, ist nicht verwundert, wenn er hinter dem Tresen in das freundliche Gesicht eines älteren Herren blickt, der dem freundlichen Gärtner aus der Kindersendung Löwenzahn ähnelt. Wie Peter Lustig antwortet auch der Mann mit dem Jägerbart äußerst höflich, wenn der Kunde fragt: »Den hübschen Garten da draußen, den haben doch sicher Sie gemacht?« Der Kunde glaubt, den Chefapotheker vor sich zu haben, Bart und Haarwuchs lassen keinen anderen Schluss zu. Doch der Apotheker schüttelt den Kopf: »Nein, das war mein Chef.« Und dann deutet er auf einen noch sehr jungen, blonden Mann, der nicht weit entfernt hinter ihm vor einem Monitor sitzt und so tut, als hätte er nichts gehört. »Ich hätte gern einmal Algovir Nasenspray«, sagt nun der Kunde, blickt sich um und entdeckt in den Regalen noch weitere Tiere und ganz oben auf einem Schrank einen Frosch, der auf einem goldenen Hirsch reitet. »Hier sind ja noch mehr…!«, entfährt es ihm, und der junge Mann, der der Chef sein soll, blickt auf und lächelt ebenso charmant wie zuvor der Angestellte mit dem Bart: »Das sind aber keine Stofftiere, das sind Wärmekissen!« Und schon ist man mitten im Gespräch in der Körte Apotheke. Man plaudert über die wohltuende Wirkung des Schlafes, die Heilkräfte der Natur, über die Kraft der Algen in Algovir, über das Finanzamt, das die Rechnungen wahrscheinlich wieder nicht akzeptieren wird, über den Frühling im Gärtchen vor der Tür und über die etwa dreißig verschiedenen Tiere, die vor der Goldphase des Apothekers bis vor wenigen Tagen noch das Schaufenster bevölkerten. Man hat noch Zeit für ein kleines Gespräch in der Körte Apotheke. »Und das ist ganz wichtig. Wir sind ja für die alten Leute oft die letzten Ansprechpartner.« Die Ärzte haben schon lange keine Zeit mehr zum Plaudern. Der Bäcker auch nicht mehr. Und trotzdem - da sind sich die Apotheker in ganz Deutschland einig - würde der Gesundheitsminister die Apotheken am liebsten allesamt schließen. Omis und Opis sollen künftig im Internet ihre Pillen bestellen. Die kämen dann überhaupt nicht mehr vor die Tür, das Essen würde geliefert, die Medikamente kämen mit der Post und die Welt sähen sie nur noch auf den Bildschirmen. Und keiner wäre da, um ihnen zu sagen, worauf sie achten müssen beim Pillenschlucken. Dann wäre es endgültig vorbei mit »Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker«. Aber noch ist es nicht so weit. Noch kümmert man sich in der Körte, der Apotheke mit Herz in Kreuzberg, um seine Kundschaft. Denn die Kundschaft ist ja längst schon Nachbarschaft. Schließlich gibt es die Apotheke schon seit 1987. »Wir kennen die doch alle. Und wenn die Sorgen haben, dann kommen sie zu uns. Hier brauchen sie keinen Termin, müssen nicht warten, und freundlich sind wir ja auch meistens.« Nach so vielen Jahren plaudert man dann schon relativ vertraulich über die Beine, den Rücken, die steigenden Preise oder das Finanzamt. Über die Kinder und die Enkel. Natürlich auch über die wechselnden Ausstellungen im Schau-fenster und die Tiersammlung. Und über die rosafarbene Schaufensterpuppe, die trotz des Barbie-Teints in ihrem ausgesprochen kurzen Apothekerkittel tatsächlich etwas verführerisch aussieht neben der wahrscheinlich nicht zufällig überdimensionalen phallusähnlichen Reinigungsmilchflasche von Dr. Hauschka. Während sich der goldene Affe daneben schamhaft die Augen zuhält. Vor so viel Theater. |