Kreuzberger Chronik
März 2024 - Ausgabe 257

Reportagen, Gespräche, Interviews

Der Zaun


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von Michael Unfried

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2009: Die Polizei sichert den Zaun am Tempelhofer Feld vor Demonstranten. Bürgermeister Klaus Wowereit hatte versprochen, das Feld nach der Schließung des Flughafens für alle Berliner zu öffnen. Stattdessen wurde der Zaun verstärkt, die Eingänge wurden verschlossen.



Die Welt ist voll mit Mauern und Zäunen. Sie stehen in den Bergen Chinas, zwischen Amerika und Mexiko, auf dem Gazastreifen und an den europäischen Außengrenzen, vor Gefängnissen und Flüchtlingslagern. Eine der berühmtesten Mauern errichtete 1961 ein Tischler aus der Deutschen Demokratischen Republik.

Auch der aktuell amtierende Bürgermeister Berlins hält nichts von Barrierefreiheit und schickt sich an, mitten in der Stadt einen meterhohen Zaun zu errichten, um dem unaufhaltsamen Flüchtlingsstrom aus den Armutsgebieten dieser Welt Einhalt zu gebieten. Es geht um die Einfriedung des Görlitzer Parks, der nicht nur zu einem Treffpunkt für Sonnenbader und Spielplatzbesucher, sondern auch für afrikanische Flüchtlinge geworden ist, die mangels Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung die Parkbänke besetzen und Haschisch verkaufen.

Seit eine Ausstellung im Kreuzberg Museum die Historie der Flüchtlingsrouten nach Europa nachzeichnete und um mehr Verständnis für die Afrikaner warb, die nach eigenen Worten »auch lieber einen Job hätten als den ganzen Tag im Park zu stehen«, ist der Görli in die Schlagzeilen und zu einem Politikum geworden. Warben Grüne und Linke für ein friedliches Miteinander oder zumindest Nebeneinander von weißen Müttern mit schwarzen Afrikanern, fuhr die konservative CDU schwere Geschütze auf und stilisierte den Görli zu einer Art kolumbianischen Drogenumschlagplatz, obwohl die gefundenen Mengen den Wochenbedarf eines passionierten Kiffers kaum übertrafen.

Zur Schlichtung des Konfliktes schlug der Sozialarbeiter Cengiz Demirci 2016 sein Quartier im Görli auf. Der »Parkranger« war das Bindeglied zwischen Schwarz und Weiß und kannte jeden der Jungs von den Bänken. Er hielt die Dealer dazu an, niemanden zu belästigen und stellte Verhaltensregeln auf, die akzeptiert wurden. 2018 kam ein aus Bürgern gewählter Parkrat hinzu. Doch während die Berliner Zeitung von einem »Rückgang der Kriminalitätszahlen« berichtete, errechnete die ARD ein Jahr später eine Zunahme gewalttätiger Übergriffe. Und die CDU hielt an ihrer »Null-Toleranz-Politik« fest.

Schon in den Sechzigerjahren hätte die CDU die studentischen Oppositionen ebenso wie die haschischrauchenden Hippies am liebsten für ein einige Jahre in Arbeitslager gesteckt. Womöglich sind es die aus der Vergangenheit auftauchenden Feindbilder, die Bürgermeister Wegner so vehement für die Errichtung eines 2 Millionen teuren und kilometerlangen Zaunes um den Görli plädieren lässt - trotz aller Proteste. Das am häufigsten zitierte Argument gegen den Zaun aus den Reihen der Anwohner lautet: Wenn der Park verriegelt wird, trifft sich die Szene in den Hauseingängen der umliegenden Straßen. Ihre Sorge ist berechtigt. Immer, wenn Heimatlose von einem Ort vertrieben werden, schlagen sie in unmittelbarer Nähe ein neues Lager auf. Doch Wegner hat kein Ohr für Einwände aus der Bevölkerung: »Ich habe immer gesagt, der Zaun wird kommen, und jetzt kommt er auch!« Parteikollegin Britta Elm aus der Verkehrsabteilung des Senats ergänzte beherzt: »Das geschieht in der besten Absicht, die Situation im Görlitzer Park in den Griff zu bekommen. Denn so kann es nicht weitergehen.«

Aus den Aussagen der CDU-Politiker klingt nicht nur Entrüstung über den Dreck im Park, sondern auch über dessen Besucher. Die durch die Medien verbreitete Geschichte über die Vergewaltigung einer Frau im Park ließ Wegner zu rhetorischer Hochform auflaufen: »Wir werden nicht hinnehmen, dass Frauen einen Bogen um den Park machen.« Dass das Gericht schon damals berechtigte Zweifel an der Geschichte einer Vergewaltigung äußerte war den Medien ebensowenig wie dem Bürgermeister auch nur eine Zeile wert.

Die CDU möchte aufräumen im Park und den Schandfleck endlich aus dem Stadtbild tilgen. Was ihr vorschwebt, ist ein Musterpark wie auf den Zeichnungen der Designer mit radfahrenden Männern auf geteerten Fahrradwegen, mit jungen Frauen auf Parkbänken und adrett gekleideten Kindern, die brav im Sandkasten spielen. Da aber das wahre Leben anders aussieht und sich das Volk im Volkspark auf der Wiese breitmacht, als gehöre der Park ihm, versucht die Politik, das Völkchen in die Schranken zu weisen. Und macht Radfahrern und Spaziergängern einen Strich durch die Rechnung, indem sie unter anderem eine Bahntrasse mitten durch den Park plant. Die Verkehrssenatorin sieht in der Straßenbahnlinie allerdings »eine Chance, den Park durch begleitende Grünflächen-Verbesserung aufzuwerten.« Womöglich denkt sie an die wenigen Meter schmaler Rasenstreifen neben den Bahngeleisen, die wegen akuter Unfallgefahr eingezäunt werden müssten und weder zum Fußballspielen noch für den Hundeauslauf taugen.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch ist der Görli der Görli, und als der Regierende Bürgermeister es kürzlich wagte, persönlich den Fuß in den Park zu setzen, wurde der Auftritt für ihn laut taz »zum Spießrutenlauf!« Die Kreuzberger waren zur Stelle und hielten ein Transparent in die Höhe: »Feministische Schutzräume statt populistische Zäune!«

Doch nicht nur im Kreuzberger Volk, auch im Kreuzberger Rathaus ist man gegen die Errichtung eines Zauns. Als der Oberbürgermeister seine Bezirksbürgermeister zu einem so genannten »Sicherheitsgipfel« rief – als handele es sich um einen vor der Tür lauernden Krieg -, zeigte ihm die Kreuzberger Bürgermeisterin die kalte Schulter und lehnte den »Auftrag zur Errichtung einer Umfriedung« rundweg ab. Wegner seinerseits lehnte daraufhin einen »Verständigungsversuch« von Clara Herrmann ebenso eindeutig ab.

Wegner hatte auf Herrmanns Unterstützung beim kleinen Mauerbau gehofft. Denn ohne ihre Zustimmung wird es kompliziert, für die Parkanlagen sind die Bezirke zuständig! Allerdings könnte der Senat bei übergeordnetem Interesse wie etwa einer Gefährdung der allgemeinen Sicherheit die Sache an sich ziehen. Im Grunde hat er das bereits getan, denn er hat in seinem Haushalt 31 Millionen Euro für die Sicherheit der Stadt zur Verfügung gestellt. Der Görli stellt mit 2 Millionen für den Zaun und weiteren 2 Millionen für Servicepersonal und soziale Maßnahmen den größten Einzelposten dar. Daran ist zu erkennen, wie wichtig dem Regierenden der Sieg im Streit um den Görli ist.

Eine andere Möglichkeit zur Umsetzung seiner Baupläne wäre die Änderung des Grünanlagengesetzes. Auch auf dem Tempelhofer Feld hat er bereits eine Modifizierung des Tempelhofgesetzes eingeleitet, um eine Genehmigung zur Errichtung weiterer Flüchtlingsunterkünfte durchzusetzen. Auch hier geht es um eine der großen Berliner Freiflächen. Und auch hier geht wieder um die entscheidende Frage: Wem gehört der Park? Wem gehört die Stadt? Berlinern oder Politikern? Für Wegner ist die Sache klar. Er hat das Sagen und will zur Tat schreiten. Und dafür notfalls auch das Gesetz ändern.

Doch Gesetzesänderungen sind umstritten. Sie stehen im Ruf, undemokratisch zu sein. Ihnen haftet ein Spur Totalitarismus an. Sollte der Bürgermeister gegen den Widerstand des traditionell widerspenstigsten Viertels dieser Stadt einen Zaun bauen, wird ihm das viel Presse, aber wenig Sympathiepunkte einbringen. Selbst die Süddeutsche Zeitung beschreibt die Aktion stirnrunzelnd und glaubt, dass sich der Bau des Zaunes bis September hinziehen könne. Und: »Müsste die Ausschreibung europaweit erfolgen, könnte es noch länger dauern.« Allerdings wurde der Auftrag für den Zaunbau bereits Mitte Dezember an die senatseigene Grün-Berlin GmbH vergeben! Hat man womöglich gegen Wettbewerbsregeln verstoßen? Die Nachbarn am Görli grinsen. »Jedenfalls fließt das Geld von der einen Tasche in die andere.«

Vielleicht wäre es klüger, die Idee der »Einfriedung« zu begraben. Befrieden wird sie nichts. Doch der Bürgermeister ist beratungsresistent. Er möchte »diesen Kriminalitätshotspot endlich den Kriminellen entreißen und ihn den Berlinerinnen und Berlinern zurückgeben.«

Dabei sind viele mit diesem Park ganz glücklich. Der Zentralpark im Herzen des alten Postbezirkes SO 36 gehört längst zur Kreuzberger Identität. Die Anwohner werden zu einem beherzten Widerstand gegen einen Zaun vor ihrer Nase aufrufen. Schon kurz, nachdem die forschen Forderungen des Bürgermeisters bekannt wurden, ergriff eine Bürgerinitiative Görli Zaunfrei das Wort und formulierte in deutlichen Worten, worum es auf der Wiese geht:

»Wir wollen weder, dass der Görlitzer Park eingezäunt und nachts geschlossen wird, noch dass ihn eine Tram in zwei Teile schneidet und so als Naherholungsgebiet entwertet.« Und Bizim Kiez veröffentlichte schon im November eine Presseerklärung: »Wir Anwohnende im dichtbesiedelten Bezirk haben in den 1980er Jahren hart darum gerungen, den heutigen Görlitzer Park zum Naherholungsgebiet zu machen. Der Park wird seither täglich für Freizeit und Sport genutzt, auch von zahllosen Kindern und Jugendlichen. Weder eine sachlich unzutreffende und rassistisch unterlegte Dramatisierung der Sicherheitslage (...) noch Fantasien eines bereinigten und kommerzialisierten «Musterparks« (Iris Spranger, SPD) werden der Situation und dem Bedarf gerecht.



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