Kreuzberger Chronik
März 2024 - Ausgabe 257

Helmut

Der Steinway


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von Vladimir Stoupel

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Wenn ich an Helmut denke, denke ich an sein Lächeln. Als ich ihn zum ersten Mal sah, fiel mir das sofort auf. Er schneite völlig unerwartet in mein Leben rein und wurde sofort zu einem festen Bestandteil. Es war Ende der Achtziger, ich suchte einen Klavierstimmer für mein geliehenes Klavier. Ich war neu in Berlin und hatte noch keinen Flügel. In den Gelben Seiten fand ich einen sehr bescheiden wirkenden Eintrag: Name, Berufsbezeichnung, Telefonnummer. Das passt, dachte ich, der wird bestimmt nicht so teuer wie die Kollegen mit den großformatigen Anzeigen.

Helmut klingelte pünktlich an der Tür in Wilmersdorf – ein Viertel, in dem er nur sehr selten war. Er nahm sich viel Zeit für das Klavier und bekam es so weit hin, wie das noch möglich war. Dann sagte er, wieder mit dem verschmitzten Lächeln: »Jetzt muss ich Ihnen leider ein wenig Geld abnehmen. Oder Sie spielen mir etwas vor.« Die zweite Variante war mir angenehmer: Ich setzte mich ans Klavier und spielte etwa eine Stunde. Als ich fertig war, sagte er: »Das geht nicht. Das ist kein Klavier für dich. Komm morgen mal an diese Adresse.«

Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg und fand mich – nach endloser Suche – vor einer Gartenlaube im Süden Berlins. Dort war aber niemand. Ich wartete, und nach etwa 30 Minuten tauchte Helmut auf und brachte Eis am Stiel – als Kompensation für mein Warten. Er öffnete die Tür der Gartenlaube und dahinter stand ein echter New Yorker Steinway. »Den kannst du haben. Falls er dir gefällt.« Natürlich gefiel mir dieser Flügel und so kam er zu mir in die Wohnung, in die dritte Etage! Helmut hatte ja diese besondere Fähigkeit, große Instrumente alleine zu transportieren.

Von da an kam er regelmäßig zum Stimmen, immer unter der Prämisse, dass ich ihm etwas vorspielte. Er wurde mein strengster Kritiker. Er sagte, was er dachte, ohne Umwege, aber seine Kommentare, so präzise sie auch waren, waren nie bösartig. Das größte Kompliment, das er mir machte: «Du hast dich entwickelt.«

Helmut war es auch, der mich nach Kreuzberg brachte, wo er ein Klavier in die Nulpe stellte, und alle mussten mir zuhören. Nach ein paar Konzerten, die man heute vornehm als »Outreach« bezeichnen würde, kam die ganze Kreuzberger Szene zu meinen Konzerten in die Philharmonie und ins Konzerthaus. Helmut nahm mich mit nach Finnland, wo seine Frau ein Haus mitten im Wald besaß, nicht weit von Jyväskylä. Es war ein sehr besonderes Erlebnis, dort zu spielen und in diesem Haus zu wohnen. Ich denke noch oft an Helmut, besonders, wenn ich mit alten Instrumenten zu tun habe. Dann steht er plötzlich vor mir, ich höre wieder seine Stimme und sehe wieder dieses Lächeln.


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