Kreuzberger Chronik
Juni 2024 - Ausgabe 260

Helmut

Finnische Winter


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von Hans W. Korfmann

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Einmal im Jahr fuhr Helmut zu seiner Frau Tuula nach Finnland, um Holz zu schlagen. Da er ein geselliger Mensch war, lud er gerne Freunde ein, mitzukommen. Entweder fuhren die Freunde mit ihm in einem seiner alten Autos oder sie kamen hinterhergeflogen. Einer landete mit seiner Cessna auf der Wiese. Helmut erzählte gerne, wie die Begleitung des Piloten in Pelzmantel und Stöckelschuhen durch den Wald stakste und immer wieder Ach, wie romantisch! rief.

Die Abende in dem knarrenden Holzhaus verbrachten die Besucher mit Helmut und Tuula in der Küche bei einigen Flaschen Rotwein, Kochen und Geschichtenerzählen. Es gab eine Sauna am See, die aus zusammengenagelten Brettern und zwei winzigen Fenstern bestand und einem Vorraum, in dem ein weißes Klavier stand, das es irgendwie schaffte, der Feuchtigkeit zu trotzen. Manchmal ertönte Klaviermusik aus der Sauna. Doch es gab nicht nur Klaviere, auch Konzertflügel hatte Helmut in das einsame Waldhaus gebracht, um sie in aller Ruhe zu restaurieren und dann auf einem Anhänger wieder nach Berlin zu transportieren. Helmut war ein leidenschaftlicher Autofahrer, schon in den Sechzigerjahren hatte er ausgediente Mercedes auf die andere Seite der Alpen gebracht, wo sie gutes Geld einbrachten. Auf kurvenlosen Straßen hielt er das Lenkrad mit den Knien, um sich eine Zigarette zu drehen. Das Rauchen gehörte zum Autofahren dazu.

Auf einer Rückreise nach Berlin fing der Hänger mit dem frisch polierten Flügel an zu schlingern. Sobald Helmut das Tempo verlangsamte, fing der Flügel an zu schwanken wie ein Schiff auf hoher See. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder zu beschleunigen. Dreimal versuchte er, abzubremsen, drei mal fing der Hänger an zu tanzen. Er lachte: »Ich glaube, wir müssen fahren, bis das Benzin alle ist.«

Angst kannte er nicht. Flugzeuge allerdings bestieg er ungern. Die Höhe machte ihm nichts aus, er war Turner und Bergsteiger, stand auf Dächern und reparierte Schornsteine. Aber er misstraute der Technik und allen Menschen, die an sie glaubten, zutiefst. Wenn er bei Tuula Holz machte, kletterte er die Fichten hinauf wie ein Äffchen. Einmal verfing sich einer der gefällten Baumstämme in der Astgabel einer Birke. Tuula wollte ein Seil zu holen. Als sie zurückkam, saß Helmut in fünfzehn Metern Höhe auf dem Baumstamm wie Münchhausen auf der Kanonenkugel und wippte, als wäre er auf einer Kinderschaukel.

Nachdem genug Bäume für den Winter gefällt waren, stand er mehrere Tage mit Äxten vor der Scheune und spaltete die Klötze in ofengerechte Portionen. Die Finger waren schwarz, blutig und geschwollen. Niemand, der ihn so sah, hätte geglaubt, dass diese Hände so gefühlvoll Chopin und Mozart spielen und so sanft sein konnten zu den Elfenbeintasten seiner Klaviere.

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