Juni 2024 - Ausgabe 260
Reportagen, Gespräche, Interviews
Die Neue Bockbrauerei von Reiner Schweinfurth |
Eine schwierige Baustelle Foto: Dieter Peters
Schönes Wetter im Bergmannkiez am 29. April 2024. Um die Mittagszeit gegen 13 Uhr fährt die Polizei an der Schwiebusser Straße vor und schließt sie vorübergehend. Bombenfund auf dem Gelände der Baustelle der Neuen Bockbrauerei. Wahrscheinlich eine Granate. Die Nutzer des ehemaligen Schankgebäudes werden evakuiert. Nach einer Stunde wird der Alarm aufgehoben. Die Leute an der Fidicinstraße haben kaum etwas mitbekommen. Im Polizeibericht wird die Sperrung nicht erwähnt. Die Baustelle ist schwierig. Seit dem Verkauf des ehemaligen Besitzers Dirk Kasten an die Bauwert AG gab es immer wieder Unruhe. Kiezaktivisten und in der alten Brauerei ansässige Kulturgruppen und Gewerbebesitzer gingen auf die Barrikade. Versammlungen, Beschlüsse, Absichtserklärungen... - eine breite Berichterstattung sorgte stadtweit für Aufmerksamkeit. Am Ende, nach acht Jahren, war im vergangenen Herbst Baubeginn. Der schwarz-rote Senat war geladen, die lokale Politprominenz. Für die Kinder der Investoren gab es eine Hüpfburg. Die Bewohner der Umgebung mussten leider draußen bleiben. Die Baustelle ist schwierig, weil unterschätzt wurde, welche Mühe der Abriss machen würde. So etwa eine 2,5 Meter dicke Bunkerdecke, deren Entfernung Wochen dauerte. Im 2. Weltkrieg befanden sich unter dem Gelände Waffenfabriken, die in den ehemaligen Bierkellern mit Zwangsarbeitern für den Endsieg Rüstungsgüter produzierten. Die Spezialgeräte, die den Beton kleinschreddern sollen, machen Lärm, 70 Dezibel etwa, vom frühen Morgen bis in den Nachmittag hinein. Für viele Leute schwer erträglich, »weil wir nie wissen, wann es wieder losgeht und wann Pause ist«, sagt eine Anwohnerin aus der Fidicinstraße. Die Musikpädagogin ist gelegentlich »nahe am Nervenzusammenbruch«. Die Zusage des Bauherren, die Lärmbelästigung so gering wie möglich zu halten, ist längst vergessen. Auf den knapp 13.000 Quadratmetern, auf denen das neue Quartier hochgezogen wird, ist mit leichtem Gerät nicht viel zu machen. Michael Schmuck vom Büro am Turm hat dafür nur wenig Verständnis: »Die Bauwert muss ihre Arbeit machen, das ist nun einmal so und ja überwiegend okay. Aber die Bauwert kommuniziert zu wenig mit den betroffenen Anwohnern. Wir müssen immer nachfragen, schreiben, auf Antwort warten.... Die Infos musste man denen schon zu oft aus der Nase ziehen«, sagt er. Als an den Fidicin-Höfen an der Grundstücksgrenze aufgrund der Bauarbeiten eine vier Meter hohe Hofmauer einstürzte, wurde der Bauwert mangelnde Sicherheit vorgehalten. »Ein Unfall! Es tut uns leid!« Wenige Tage später gingen die Abrissarbeiten weiter. Eine schwierige Baustelle. Wie ist das mit dem Kran, wenn er schwere Lasten über die angrenzenden Häuser hebt? Ist ein eventueller Schaden versichert? Michael Schmuck sagt: »Die Haltung nach Außen ist falsch. Das war beim Bau des Seniorenheims nebenan vor zehn Jahren völlig anders. Die hatten jemanden engagiert, der die Anwohner informierte und jederzeit ansprechbar war. So jemanden gibt es bei Bauwert AG leider nicht. Das müssen die Ingenieure jetzt nebenbei machen, und das ist bei allem Bemühen kaum zu leisten.« Während die Kommunikation mit den betroffenen Anwohnern zu wünschen übrig lässt, wendet man sich auffällig liebevoll an die Kinder der Nachbarschaft. Oder die Kinder der potentiellen Kundschaft? Jedenfalls wurde der Bauzaun an der Schwiebusser Straße in ganzer Länge mit bunten Zeichnungen von Kindern verziert, die von Hochhäusern, Glaspalästen und von »einem luxuriösen Haus mit vielen großen Fenstern« träumen. Eine Visualisierung des Bürogebäudes, die gleich neben den Kinderzeichnungen hängt, sieht genau so aus: lange, hohe Fensterreihen. Das Thema der traditionellen Kreuzberger Mischung von Wohnen und Arbeiten wird mit Zitaten etwa von Seda, 12 Jahre, angereichert, die sagt: »Erwachsene arbeiten heute am Computer von zu Hause. Der Computer sollte bunt sein und viele Sticker haben. Es sollte ganz viel buntes Papier geben und coole Stifte zum Malen«. Obwohl sich viele der Zitate anhören, als wären sie den Kindern eingeflüstert worden, heißt es: »Die Ausstellung bietet einen einzigartigen Einblick in die kindliche Vorstellungskraft und regt zum Nachdenken über die Bedeutung von Arbeit und Zuhause an.« So wird dem ehemaligen Protestpotential Kreuzbergs eine smarte Kundenansprache entgegengehalten. Die Zeiten haben sich eben geändert: Als in den Siebzigern gefragt wurde, wem die Stadt gehört, als marode Häuser besetzt, vor dem Abriss bewahrt und bewohnt wurden, blieb die Hoffnung, dass sich etwas grundsätzlich ändern könnte. Eine Illusion, wie sich bei der Neuen Bockbrauerei herausstellt. Auch das grüne Rathaus konnte daran nichts ändern. Als der Widerstand gegen das Bauvorhaben größer wurde, hieß es, dass Gewerbe und Kultur bleiben dürften. Jürgen Leibfried, Chef der Bauwert, versprach so ziemlich alles, was gewünscht wurde - allerdings ohne sich wirklich festzulegen. Und dann änderte er, so wird es unter den Anwohnern erzählt, die Baupläne, ohne das Bezirksamt zu informieren. Dort war man offensichtlich wenig amüsiert, die Planung wurde gestoppt. Nachverhandlungen fanden statt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch im Kiez traute man der Stille nicht. Die Initiative Denkmalschutz Bockbrauerei von Karin Dittmar war hellhörig geworden und erhob rechtzeitig Einspruch. Ohne sie wäre ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Bockbrauerei, das in der hübschen Verkaufsbroschüre des Investors keinen Platz gefunden hat, verloren gegangen. Dittmar gelang es zudem, einen Teil der historischen, von den Nazis zur Waffenproduktion genutzten Gewölbekeller vor dem Abriss zu bewahren. Dieser könnte nun zu einer Gedenk- und Mahnstätte ausgebaut werden. Die Initiative hat hierzu bereits ein Konzept erarbeitet. Doch der Investor verweigert nach wie vor die Bereitstellung von Räumlichkeiten für das Projekt. Die widerspenstigen Kreuzberger haben den Bauunternehmer einige Nerven und einige lukrative Parkplätze in der großzügig angelegten Tiefgarage gekostet, doch derlei finanzielle Einbußen sind zu verkraften. Erst kürzlich hat die Bauwert AG zwei neue Teilhaber gewonnen: Die ungarische Wing-Gruppe und das Vermögensmanagement Griffin Capitals. Gemeinsam kontrollieren sie nun ein Investitionsvolumen von fast drei Milliarden Euro im Berliner Raum. Das sorgt für einen komfortablen Handlungsspielraum. Andererseits haben sich die Preise für Bauleistungen in den letzten Jahren verdoppelt, die Zinsen vervierfacht! Das bedeutet für die Bauwert: So viele Eigentumswohnungen verkaufen wie möglich! Derzeit liegt der Preis pro Quadratmeter in der Spitze bei 17.000 Euro, doch die Immobilien scheinen sich zu verkaufen, für die größten und höchsten Wohnungen mit Terrasse und Südblick steigt die Nachfrage. Da aber nicht jeder über zwei Millionen Euro verfügt, um sich eine 120-Quadratmeterwohnung zu kaufen, kooperiert die Bauwert zum Beispiel mit der Sparkasse. Wer eine Wohnung kaufen möchte, wird von Leibfried & Co gern an die Bank verwiesen, die den Käufern einen Kredit zur Finanzierung des Bauvorhabens einräumt, der in sieben Raten bis zur Fertigstellung zurückgezahlt werden soll. Mit einem großen Eigenanteil der Interessenten wird offensichtlich weder gerechnet, noch scheint er erwünscht. Die Sparkasse soll mitverdienen. Foto: Dieter Peters
Auch die schönen Feste auf dem alten Hof, die Weinproben in den gruseligen Gewölben und das Gewusel von Menschen, die sich amüsieren – passato! Das Geld hat am Ende doch gesiegt. |