Kreuzberger Chronik
Februar 2024 - Ausgabe 256

Strassen, Häuser, Höfe

Die Hornstraße 23


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von Werner von Westhafen

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Die Hornstraße, benannt nach Brigadegeneral Heinrich Wilhelm von Horn, geplant als eine der großen Alleen Berlins, die sternförmig aus allen Himmelsrichtungen kommend schnurgerade zum Großen Stern in der Mitte des Tiergartens führen sollten, konnte nicht wie vorgesehen gebaut werden. Der sich ausdehnende Anhalter Bahnhof mit inzwischen schon unzähligen Geleisen durchkreuzte die symmetrischen Pläne des Stadtplaners Lenné und ließ nur ein kurzes Stück Hornstraße übrig, das abrupt vor den Backsteinmauern eines Güterbahnhofes endete. Stattdessen erhielt die Yorkstraße nun einen unschönen Knick und führte ein gutes Stück weiter südlich unter den Eisenbahnbrücken hindurch weiter Richtung Schöneberg.

Noch heute zeugen die Vorgärten und schmuckvollen Fassaden der kurzen Straße von den großen Plänen der Architekten. Auch die Nummer 23 gleich hinter dem Yorkschlösschen war ein stolzes Haus gewesen. Errichtet wurde es auf dem Grundstück des Maurermeisters und Zimmermanns Paul Opitz, der auf dem noch von Feldern und Wiesen umgebenen Land Holz und Ziegel lagerte. Nachdem jedoch 1873 just vor seiner Nase eine stattliche Allee angelegt wurde, entschloss er sich, zu bauen. 1881 begann er mit der Anlage eines Vorgartens und der Errichtung eines fünfstöckigen Vorderhauses und eines recht komfortablen Seitenflügels.

1888 verkaufte er an Dr. Paul Mannheim, der eine Arztpraxis im Haus einrichtete. Es wechselte nicht nur der Hausbesitzer, es wechselten auch die Mieter. Waren es zu Zeiten des Zimmermanns einfache Handwerker und Kaufleute gewesen, so wohnten jetzt Kapellmeister und Akademiker im Haus. Als der Doktor starb, ließ seine Witwe die großen Wohnungen parzellieren und einen Fahrstuhl einbauen. Doch da waren bereits die Dreißigerjahre angebrochen, die sorglosen und glanzvollen Jahre waren bald vorüber. Die Hornstraße 23 wurde zum Schicksalsort und zum Schauplatz vieler Dramen.

Verantwortlich für die Wende war das Gesetz vom 30. April 1933, das jüdische Mieter und Hauseigentümer dazu verpflichtete, wohnungslose Glaubensgenossen bei sich aufzunehmen. In der Folge verloren viele jüdische Bürger, die bei nichtjüdischen Hauseigentümern zur Miete wohnten, ihre Wohnungen und suchten bei Verwandten und Bekannten Unterschlupf. Es entstanden die schon bald geächteten und vollkommen überfüllten »Judenhäuser.« Die Hornstraße Nummer 23 war eines von ihnen.

Die Historikerin Dietlinde Peters hat recherchiert, wer nach dem 30. April in der Nummer 23 Unterschlupf suchte. Sie hat sich auf Spurensuche begeben und auch wenn sich viele dieser Spuren im Akten-dickicht verloren, konnte sie einige Schicksale nachzeichnen.

Margarete Mannheim, die Witwe des Arztes, hatte vier große Wohnungen für die Unterbringung von Juden zur Verfügung gestellt. Auch in ihrer eigenen Wohnung im 2. Stock hatte sie Flüchtlinge einquartiert. Am 2. September 1942 fand man Margarete Mannheim tot in ihrer Wohnung. Sie hatte eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt. »Schon drei Monate später«, schreibt Dietlinde Peters, »ging das Haus in den Besitz des Deutschen Reiches über.«

Es war wohl zu viel Tod gewesen um die alte Frau. Zwar gelang es zwei ihrer Untermieterinnen, unterzutauchen und zu überleben, und auch Rosa Maas, die mit ihr in einer Wohnung lebte, kam aus Theresienstadt zurück. Doch Ella Rosenberg, die mit ihrer Tochter bei Frau Mannheim wohnte, überlebte das Ghetto nicht. Im Oktober 42 hatte man sie aus der Hornstraße abgeholt. Ihre Tochter holten sie drei Monate später. Sie starb im Konzentrationslager. Und dann waren da noch Charlotte, Gertrud und Jenny. Sie waren Zwangsarbeiterinnen bei Siemens und wurden, wie Dietlinde Peters schreibt, »im Rahmen der Fabrikaktion festgenommen und am 1. März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Sie kehrten nicht zurück. Heute erinnern drei Stolpersteine vor der Hornstraße 23 an sie.«

Auch aus der Wohnung im ersten Stock verschwanden die Menschen. Dort wohnten die Geschwister Elkeles und deren Untermieter, das Ehepaar Löwenthal. Max Löwenthal versuchte, sich im Juli 1942 das Leben zu nehmen und starb wenig später. Seine Frau wurde am 31. August abgeholt und am 20. September umgebracht. Im Dezember klopfte es abermals an der Tür der Geschwister Elkeles. Diesmal nahmen sie Johanna und Wanda Elkeles selbst mit. Beide Frauen wurden ermordet. Zuletzt war in der gleichen Wohnung Lucie Machol untergekommen, nachdem ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter die Flucht nach Amerika gelungen war. Am 12. März 1943 wurde sie aus der Nummer 23 abgeholt und in Auschwitz ermordet.

Die Hornstraße ist kurz, doch die Liste der Opfer des Naziregimes ist lang. Gegenüber im Haus mit der Nummer 3, wo die Wohnung von Ursula Götze lag, trafen sich die Mitglieder der Roten Kapelle, unter ihnen viele Frauen. Sie belauschten Feindsender, verteilten Flugblätter, versuchten zu retten und zu verhindern. Doch auch bei ihnen klopfte es eines Tages an der Tür. Einer schrieb aus seiner Zelle: »Wenn man bedenkt, wie jung wir sind, so kann man nicht an den Tod glauben!«

Doch der Tod kam. Auch für die junge Frau aus der Nummer 3, die 50 Flugblätter verteilt hatte. Ursula Götze starb am 5. August 1943, gemeinsam mit dreizehn anderen Frauen, durch das Fallbeil der Nazis in Plötzensee. Auch vor ihrem Haus liegt nun ein kleiner Gedenkstein, und nur wenige Meter weiter, vor der Nummer 6, noch einer...


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