Kreuzberger Chronik
Februar 2024 - Ausgabe 256

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Die Bank


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von Bernd Schulz

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>Is det die Bank, wo se ihn gefunden haben?

Ja, Gneisenau Ecke Baerwaldstraße, auf dem Mittelstreifen. Da stehen so ein paar Bänke mit viel Buschwerk drumherum.... Es war dieser eisige Winter 79-80, Anfang Januar... Dem Fahrer eines Streufahrzeugs fiel auf, dass da einer regungslos auf der Bank lag. Aber da konnte keiner mehr helfen! Ein trauriges Bild war das: Die leere Flasche Wodka am Boden, seine sieben Sachen in Plastiktüten... - alles durchwühlt! Das ließ nicht viele Schlüsse zu. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: »Der erste Kältetote des Jahres.«

Jahre später fielen mir die Abende mit Atze und Kutte wieder ein. Ich hätte gerne gewusst, wie das damals weiterging mit den beiden, nachdem der Leierkasten nicht mehr war. Anfang der Siebziger tauchten sie da auf. Atze am Klavier und Kutte sang wie ne Lerche. Diese Altberliner Lieder. Viele konnten die mitsingen, und dann sitz ick mit Emma uff de Banke und in den Zweigen zwitschert ein Pirol... . Die Gäste grölten und tranken und fielen vom Hocker, bis sie morgens mit blauen Flecken heimtorkelten - es war ja meistens gleich um die Ecke.

So vergingen Jahre. Wenn Atze und Kutte nicht im Leierkasten waren, sangen sie draußen, und wenn genug im Becher war, sah man sie auch mal lächeln. Aber dann wurde der Leierkasten abgerissen. Atze und Kutte wurden vergessen. Keiner wusste irgendwas.

44 Jahre später sitze ich auf der Bank und denke an Atze. Ich treffe Leute, die ihn gekannt haben. Viel kam nicht heraus, nur ein unscharfes Bild: Atze hieß Bernhard Ziechos und war gelernter Bäcker. Er muss so 23 Jahre alt gewesen sein, als er in den Dreißigern vor den Nazis nach Kanada flüchtete. Daher also kamen die guten Englisch- und Französischkenntnisse. Nach dem Krieg ging er zurück, arbeitete ein paar Jahre als Bäcker und tingelte dann durch Nachkriegsdeutschland, versuchte, sich durchzuschlagen. Der Alkohol half dabei.

Irgendwann kam Kutte um die Ecke. Die beiden spürten, dass sie was bewegen können. Musik zusammen machen. Kutte war schon lange heimatlos. Kutte - Kurt Seibold, 1914 im Wedding geboren - kam wegen der Liebe in die Zossener. Die Liebe ging, aber Kutte blieb. Wohnte mal da, mal dort, wo nicht überall! Meistens in Abrisshäusern. Ein Zurück schien es für Atze und Kutte nicht zu geben.

1981 im Winter - Kutte wäre ja lieber in Knast gegangen, aber da war kein Platz! - ging er in die Ruine mit der Nummer 11, legte sich auf den Boden, rauchte und schlief ein. Wenig später brannte das ganze Haus, und Kutte mit ihm. So endet die Geschichte von zwei Musikern aus dem Leierkasten, mit denen wir immer so laut mitgegrölt hatten, denen wir so viele schöne Stunden zu verdanken hatten...

In Erinnerung an Kurt Seibold und Bernhard Ziechos

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