Kreuzberger Chronik
Februar 2024 - Ausgabe 256

Tenzer

Der Zeichner


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von Gerhard Tenzer

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Herrlich, wie sich der Grafiker Gerhard Tenzer auf diesem Bild vorteilhaft in Szene zu setzen versteht: Vollkommen unberührt vom Trubel um ihn herum sitzt er konzentriert und mit einem Lächeln auf den Lippen an seinem Tischchen mit Federn und Pinseln und zeichnet. Weder die grölende Rocksängerin, die hinter ihm das Mikrophon verschlingt, noch die Tänzerin auf der Bühne, die ihr Bein über einen Stuhl geworfen hat und ihre Strapse zeigt, auch nicht die schon barbusige Dame, die sich neben seinem Tisch auf dem Boden mit einem der Gäste vergnügt, bringen den Künstler aus der Ruhe.

Tenzer hat kein Auge für verführerische Frauen und noch weniger für seinen Tischnachbarn, der sich in dem Lokal offensichtlich wie zuhause fühlt und bereits die Schuhe ausgezogen hat. Der Mann nagt genüsslich an den Überresten eines Gänsebratens, während hinter ihm einer der akrobatischen Kellner ein Tablett mit 15 gefüllten, in zwei Etagen aufeinandergestapelten Gläsern über dem Kopf durchs tanzende Publikum jongliert. Ein Bild, das jedem Yorckschlösschenstammkunden bekannt vorkommen müsste.

Zwar geht dem Kreuzberger Grafiker, wenn er die Feder zur Hand nimmt, gern die Phantasie durch, doch bleibt er bei alledem detailverliebt und -getreu. Der Stuck an der Decke des Lokals, die zu jenen Zeiten noch wohlbekannten Gesicht des Publikums oder das Plakat, das den Auftritt der Blue-Bajou-Jazzband ankündigt, machen seine Bilder zumindest für die älteren Kreuzberger zu Zeitreisen in die Achtziger- und Neunzigerjahre.

Wer genau hinsieht, wird auf Tenzers Bildern viel entdecken, und er wird sich gut vorstellen können, wie der Grafiker kichernd die kleinen Figuren in seine Kreuzberger Bilderwelt setzt. Immer wieder liegen Liebespaare auf Dächern oder in Ruderbooten, träumen Hippies vor sich hin, greifen Musiker zu ihren Instrumenten, genießen Biertrinker das Leben. Und in jedem seiner Bilder tauchen Gesichter auf, die man irgendwoher zu kennen glaubt.


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