Kreuzberger Chronik
Februar 2024 - Ausgabe 256

Reportagen, Gespräche, Interviews

Ein Gespräch mit Julian Schwarze über die Pläne des Senats für das Tempelhofer Feld


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von Schwarze Unfried

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2014 haben die Berliner in demokratischer Wahl entschieden, das Tempelhofer Feld nicht zu bebauen. Nach einem Volksentscheid wurde ein Gesetz zum Schutz des Feldes verabschiedet, das festschreibt, dieses Stück Natur im Herzen Berlins in seiner Vollständigkeit zu erhalten.

In den vergangenen zehn Jahren erfreute sich der alte Flughafen immer größerer Besucherströme. Er steht heute in jedem Reiseführer und hat sich neben Wannsee und Tiergarten nicht nur zu einem der beliebtesten Naherholungsgebiete für die Berliner entwickelt, sondern auch zu einem touristischen Reiseziel.

Dessen ungeachtet möchte der aktuell regierende Bürgermeister Berlins hier bauen und plant eine Gesetzesänderung. Ein Gespräch mit Julian Schwarze.

Hallo Herr Schwarze! Sie sitzen für die Partei der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und sind dort fachpolitischer Sprecher für Stadtentwicklung, Tourismus und Clubkultur. Das sind interessante Ressorts, aber wir Journalisten haben ja ein gestörtes Verhältnis zu Pressesprechern. Pressesprecher sagen in der Regel nur, was bereits durch die Zensur gekommen ist. Außerdem klingt der Titel eines Sprechers auch so, als spreche man nur für die anderen und könne selbst nicht denken. Wie ist das bei Ihnen?

Schwarze: Selber denken kann ich eigentlich noch ganz gut – denke ich zumindest. Aber es ist schon eine interessante Frage, warum in der Politik und insbesondere in Parlamenten von »Sprechern« gesprochen wird. Gemeint ist damit eigentlich nur, wer für welche Themenbereiche innerhalb der Fraktion zuständig ist. Es geht also nicht darum, Inhalte wiederzugeben, sondern sich intensiv mit Themen und Problemen auseinanderzusetzen, Vorschläge zu erarbeiten oder sich mit den zahlreichen Initiativen auszutauschen. Und da ist in den Bereichen Stadtentwicklung, Tourismus und Clubkultur sehr viel zu tun.

Die Grünen haben anlässlich der Bebauungspläne seitens CDU, SPD und FDP auf ihren Wahlplakaten entlang des Columbiadammes und des Tempelhofer Damms mit einem sehr hübschen Slogan geworben: Warum nicht einfach etwas mal so lassen, wie es ist?

Sie haben damit wahrscheinlich viel Sympathie und auch einige Wählerstimmen gewinnen können. Warum glaubt der Berliner Bürgermeister immer noch, mit einer derart umstrittenen und unpopulären Maßnahme wie einer Bebauung des Tempelhofer Feldes gegen den ausgesprochenen Willen der Bevölkerung punkten zu können?

Schwarze: Im Mai ist es zehn Jahre her, dass die Berlinerinnen und Berliner sich gegen die Bebauung ausgesprochen haben. Seitdem können wir jeden Tag erleben, warum das die richtige Entscheidung war und ist. Zahlreiche Projekte wie Gemeinschaftsgärten, grünes Klassenzimmer, Forscherzelt, das Kulturgate usw. haben hier ihren Platz gefunden, ebenso wie eine Menge Sportlerinnen und Sportler, die auf dem Feld Einzel- und Gruppensport durchführen….

Exakt! Und das weiß ja auch der Mann an der Spitze des Senats. Deshalb noch einmal die Frage: Warum macht er das trotzdem? Hat er sich ausrechnen lassen, dass es auch wahltechnisch für ihn von Vorteil ist, wenn er sich für Wohnungsbau einsetzt? Oder nimmt er den Verlust von Stimmen bewusst in Kauf? Und was steckt dann dahinter? Warum verfolgt der Senat, unabhängig davon, wer dort gerade das Sagen hat, dieses Ziel derart krampfhaft und hartnäckig? Was glauben Sie?

Schwarze: Ich denke einerseits, dass Wegner sich gern als Macher darstellen möchte, nach dem Motto: Ich kümmere mich um neue Wohnungen, ich bebaue sogar das Tempelhofer Feld. Andererseits habe ich den Eindruck, man möchte suggerieren, dass jeder, der sich gegen eine Bebauung ausspricht, Schuld an der Berliner Wohnungsnot ist.

Die Gegner der Bebauung listen seit Jahren auf, wieviele alternative Flächen auch in der Berliner Innenstadt für Wohnungsbau zur Verfügung stehen und ungenutzt bleiben. Stimmt das?

Schwarze: Potentiale für Wohnungsbau gibt es in der Tat ausreichend, wir haben auch kein Flächen-, sondern ein Umsetzungsproblem. Meiner Meinung nach versuchen insbesondere CDU und SPD mit der Debatte ums Tempelhofer Feld davon abzulenken, dass sie an anderer Stelle nicht vorankommen. Wir haben ja auch in Tegel einen ehemaligen Flughafen, da sollten 5000 Wohnungen entstehen. Doch auf der Baustelle: Stillstand. 60.000 Wohnungen wurden in Berlin genehmigt, aber nicht gebaut. Fast zwei Dutzend geplante Stadtquartiere bieten Potential für bezahlbare Wohnungen. Deren Planungen sind weit vorangeschritten und könnten zeitnah für Wohnungen sorgen.

Aber statt hier anzusetzen, werden vom Senat lieber 1,2 Millionen Euro für einen städtebaulichen Wettbewerb für die Bebauungsträume der Koalition auf dem Tempelhofer Feld ausgegeben. Das ist schon verrückt. Hinzu kommt, dass die auf dem Feld geplanten Bauflächen kaum zur Lösung des Wohnungsproblems beitrügen, wenn tatsächlich nur »behutsam«, »sehr verträglich« und »in einem sehr geringen Umfang« bebaut werden würde, wie SPD und CDU das immer wieder betonen. Es würde also vermutlich nicht bei einer Randbebauung bleiben.

Welche Bedeutung hat das Feld für den Tourismus?

Das Tempelhofer Feld wird von 200.000 Personen in der Woche besucht. Das ist so eine riesige Zahl. Als wir beim damaligen Volksentscheid gegen die Bebauung gekämpft haben, hatte ich selbst nicht geglaubt, dass das Feld einmal von so vielen Leuten genutzt werden würde. Doch das Feld ist ein Ort geworden, an den Berlinerinnen und Berliner ihre Wochenendbesucher führen, ebenso wie zum Brandenburger Tor. Das Tempelhofer Feld hat Geschichte, und es ist darüber hinaus ein Raum, der für Berliner Freiheit steht, die Freiheit der Nachkriegsbrachen, die an so vielen anderen Stellen durch die Bebauung mit gesichtslosen Immobilienprojekten verloren gegangen ist.

Ist die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auf dem Feld auch in Ihren Augen ein erster Schritt zur Umsetzung von Bauplänen, wie das die Bürgerinitiative Tempelhof 100 sieht?

Da muss ich leider eine typische Politikerantwort geben: es kommt drauf an. Wir unterstützen die Unterbringung von Geflüchteten und wollen gleichzeitig weg von Massenunterkünften. Wir sprechen uns für möglichst dezentrale Unterkünfte und Integration aus. Wir sehen aber auch, dass es im Moment sehr darauf ankommt, schnell Unterkünfte bereitzustellen. Es gibt allerdings auch auf dem Areal des Tempelhofer Flughafens Möglichkeiten und Platz genug, Unterkünfte zu ermöglichen. Ohne einen einzigen Quadratmeter Grün zu opfern.

Was muss der Senat tun, um das Gesetz zum Schutz des Feldes auszuhebeln? Welche Rolle spielt dabei das Abgeordnetenhaus?

Schwarze: Das Abgeordnetenhaus muss einer Änderung des Tempelhof-Gesetzes zustimmen. Der Senat kann das nicht alleine entscheiden. Deshalb hat das Parlament alle Möglichkeiten, die Bebauungspläne zu stoppen. Das Problem ist aber, dass die Fraktionen von CDU und SPD diese Pläne unterstützen. Wir als Grüne Fraktion werden Änderungen am Gesetz ablehnen, die eine dauerhafte Bebauung ermöglichen. Wir werden gemeinsam mit den Initiativen und der Zivilgesellschaft dafür kämpfen, dass es dafür eine Mehrheit gibt.

Ich glaube auch, dass der Druck seitens der Zivilbevölkerung hier durchaus noch etwas verändern kann. Denn schon jetzt ist ja aus den Bezirken durchaus Kritik an den Beton-Plänen zu hören, sogar von SPD-Vertreterinnen und -Vertretern.

Was glauben Sie, - ganz ehrlich – wie die Sache am Ende ausgeht? Gibt es eine neuerliche Volksabstimmung? Glauben auch Sie, dass das Ergebnis einer zweiten Volksabstimmung anders aussehen würde als 2014 ? Werden hier am Ende Häuser stehen?

Das Instrument einer »Volksabstimmung von Oben«, also einer vom Senat in die Wege geleiteten, gibt es bisher nicht. Sie kann nur durch eine Änderung der Berliner Verfassung eingeführt werden. Und dafür gibt es im Parlament nicht die nötige Mehrheit. Wir Grüne werden jedenfalls dafür kämpfen, dass das Feld frei bleibt und seine wichtige ökologische und klimatische Bedeutung behält. Und ich glaube, dass wir diesen Kampf gewinnen. Es gibt zu viele gute Argumente gegen eine Bebauung des Flughafenfeldes.

Und warum sollte man ausgerechnet der CDU, die noch vor Kurzem großzügige Spenden aus der Immobilienlobby bekommen hat, oder der SPD, die seit Jahrzehnten in Berlin regiert und eng mit der Baulobby verbunden ist, glauben, dass auf dem Tempelhofer Feld Wohnungen für Menschen mit kleinem Einkommen entstehen? Davon abgesegen ist das Feld, so wie es jetzt ist, gerade für die Menschen wichtig, die in kleinen Wohnungen leben und wenig Platz und keinen Balkon haben. Diese soziale Dimension des Feldes wird immer vergessen!

Herr Schwarze, Sie haben zwei Kinder. Gehen die gerne aufs Feld. Es gibt da ja weder Spielplätze noch Eisläden?

Zum Glück verkaufen ja die Kioske Eis, das hat schon manche Situation gerettet. Wir sind im Sommer manchmal mehrmals in der Woche auf dem Feld, Fahrradfahren, Toben, Freunde treffen, Feste feiern oder Fußball spielen. Meine Kinder finden es großartig. Dazu kommt die einmalige Weite, die sich immer ein bisschen wie Urlaub anfühlt. In welcher Stadt gibt es so etwas sonst noch?




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