Kreuzberger Chronik
Februar 2024 - Ausgabe 256

Geschäfte

Der Staubsaugervertreter


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von Ina Winkler

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Probleme beim Spielzeugkauf

Die Körtestraße, die früher Camphausenstraße hieß: Eine Fahrradstraße ist jetzt aus ihr geworden, in der es keine Fleischer oder Tabakhändler mehr gibt, keine Pralinengeschäfte oder Tischler, sondern einen feinen Antiquitätenladen, einen feinen Blumenladen und einen feinen Optiker. Es gibt eine Apotheke und zwei Schuhgeschäfte, Waldviertler und Grimmel mit Schuhwerk ausschließlich für die Mittelschicht. Früher, bei Salamander oder Leiser, konnten die kleinen Leute einkaufen und die großen, es gab Schuhe für alle Klassen. Heute sind die erste und zweite Klasse wieder getrennt.

Zwischen all den jungen Modeläden existiert in der Straße noch Dirk Kögler, den Kohlenhändler, die Papierwelt mit den Schreibwaren und die Kultbuchhandlung Wilde. Gegenüber, im einzigen und über-dimensionierten Nachkriegsneubau der Straße, ist einer der größten Spielwarenläden der Stadt. Die längste Schaufensterzeile aber hat der Laden daneben. Er erstreckt sich über sieben breite Schaufenster fast bis zum Südstern. Auch vor diesen Schaufenstern bleiben die Kinder stehen, denn da sind Knut der Eisbär als Stofftier und, neben Modellreinigungsautos und Lastwagen, ein Spielzeug-Rennmotorrad.

Am meisten jedoch interessieren sich die kleinen Zuschauer für die hölzernen Figuren, die aufgereiht im Schaufenster stehen: lauter dicke, gemütlich aussehende Gestalten mit gelben Helmen auf dem Kopf und Pfeifen im Mund, die gerade irgendeiner Arbeit nachgehen. Sie sind am Kehren oder Saugen, sitzten auf für sie viel zu kleinen, wie Karussellautos wirkenden Fahrzeugen oder beugen sich nachdenklich über einen Werkzeugkasten. Falls sie nicht gerade eine gemütliche Pfeifenraucherpause einlegen.

Träumten die Kinder früher angesichts von Modelleisenbahnen, Spielzeugrennautos, Sandkastenbaggern und Raumschiffen davon, Lokführer, Bagger- oder Raumfahrer zu werden, dann träumen sie in der Körtestraße davon, einmal Raumpfleger zu werden und den ganzen Tag lang auf einem der kleinen Vierräder durch die langen Gänge der gläsernen Bürotürme zu fahren und alles blitzeblank zu machen. Das Schaufenster ist ein Magnet, und da immer wieder Passanten in den Laden kommen, die eine der Figuren kaufen möchten, hat man ein Schild ins Schaufenster gestellt, warauf steht: »Die Figuren und Modelle im Schaufenster sind nur Dekoration und können leider NICHT erworben werden.«

Erworben werden können nur die Staubsauger und Reinigungs-maschinen einer Firma, die schon – wie ein stolzes Foto im Schaufenster beweist – bei der Restaurierung der Freiheitsstatue im New Yorker Hafen ein gelbes Werbeplakat an der Rüstung platzierte, auf dem der weltberühmte Name der Firma schon von Ferne zu lesen war: Kärcher.

Kärcher ist seit 40 Jahren in der Körtestraße. Obwohl Kärcher keine kleinen Staubsauger für die Hausfrauen oder Hausmänner mit ihren teuren Zweizimmerwohnungen in der Körtestraße verkauft. Kärcher liefert Maschinen an Reinigungsunternehmen in alle Welt. Im Hof stehen betriebseigene Lkws, es gibt eine Werkstatt und einen Showroom mit zig Modellen. Und einen Verkäufer, der Zeit und Lust hat, zu erklären. Auch der Hausfrau, die eigentlich nur wegen der kleinen Männchen im Schaufenster hereingekommen ist. »Die Männchen hat uns ein langjähriger Mitarbeiter zu Weihnachten geschenkt. Der hatte die Vertretung im Erzgebirge und kam aus einer alten Schnitzerfamilie. Und weil alle so begeistert waren von dem dicken Räuchermännchen mit Staubsauger, schnitzte er uns dann jedes Jahr so einen Saubermann. Jetzt sind es schon sieben.«

Da die junge Mutter nun schon einmal im Laden steht, und weil der Mann so nett ist, schaut sie sich um und entdeckt tatsächlich ein Modell, das auch für ihre bescheidene Zweizimmerwohnung nicht zu groß wäre. Er sieht nicht aus wie die klassischen Hausstaubsauger, die drei Meter hinter einem herdackeln und ständig von der Leine gehen. Dieser hier hat ein 25 Meter langes Kabel, mit dem man auch bequem durch eine Vierzimmer-Dachetage kommt, ohne die Steckdose wechseln zu müssen.

»Und der Beutel im Mülleimer fasst gut und gern zehn Liter! Das lohnt sich. Ich hab´ auch so einen!«, sagt der Kärchermann. »Die halten ein Leben lang, und wenn nach 30 oder 40 Jahren wirklich mal was kaputt gehen sollte, brauchen Sie nicht gleich einen neuen Staubsauger zu kaufen. Dann kommen sie einfach her. Wir haben hier jedes Ersatzteil. Aber es geht sowieso nichts kaputt. Der Schlauch zum Beispiel, unverwüstlich! Dieses Modell da, das kleine, das verkaufen wir seit 25 Jahren, und das wird immer noch produziert, da haben wir nichts dran verändert.«

Der Mann schwärmt. Die Frau lächelt. Er ist in seinem Element, drückt auf den Knopf, leise summt der Staubsauger. Die junge Mutter hält die Hand vor den Schlauch: Plopp. »Nicht schlecht, was?«, grinst der Mann. Die Frau ist beeindruckt. Vom Staubsauger und vom Staubsaugervertreter.

Jetzt grinst sie und will eine Frage stellen. Aber er kommt ihr zuvor: »Und nun die Gretchenfrage: Sie wollen wissen, was die blöden Beutel kosten!« Sie nickt. »30 Euro! Zehn Stück! Also 100 Liter. Damit kommen sie fünf Jahre durch! Da sparen sie richtig Geld.«

Die junge Frau ist verwirrt. Sie überlegt. Sie lächelt. Er lächelt. Eigentlich wollte sie doch nur so eine Holzfigur für Oskar. Ach, diese Staubsaugervertreter sind einfach unwiderstehlich.

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