Februar 2024 - Ausgabe 256
Frisch von der Leinwand
Perfect Days von Anna Prinzinger |
Eine leise Geschichte Wer Berlin kennt weiß, dass öffentliche Toiletten eine Katastrophe sein können. Regisseur Wim Wenders weiß das vermutlich auch. Daher spielt sein Film Perfect Days, der den Alltag eines Toilettenreinigers zeigt, wahrscheinlich auch in Tokio. Tokios Toiletten sind im Vergleich zu den Berliner Buden echte Luxus-Sitzgelegenheiten. Dass vor Filmbeginn auf den Toiletten des Yorck Kinos in der Yorckstraße eine junge Frau den gesamten Inhalt ihrer Popcorntüte über den Boden verteilt hatte, war perfektes Timing. Wenders Hauptfigur Hirayama hätte über diese unvorhergesehene Abwechslung vermutlich gelächelt. Denn Hirayamas Tage sind alle gleich: Er steht auf, faltet die Schlafmatte zusammen, holt sich Kaffee am Automaten und fährt zur Arbeit, die öffentlichen Toiletten reinigen. In seiner Freizeit begeistert er sich für gebrauchte Taschenbücher, alte Musikkassetten und vor allem Bäume. Seine Mittagspause verbringt er im Park unter Bäumen und fotografiert das Herabfallen der Blätter. Sie könnten Symbol sein für den Herbst des Lebens. Man erfährt zunächst nichts über Frühling oder Sommer dieses Lebens. Der Film zeigt den gegenwärtigen Alltag, sich täglich wiederholende Abläufe, den meditativen Charakter von Putzritualen, die Ruhe perfekter Tage. Hirayama wirkt zufrieden mit seinem eintönigen Leben. Vielleicht sogar glücklich. Er kann sich seiner Aufgabe mit schon religiöser Hingabe und Liebe widmen. Dennoch zaubern ihm kleine, unvorhergesehene Abwechslungen im Alltag ein Lächeln aufs Gesicht. Dann taucht eine große Abwechslung auf: Eine Nichte, die er seit Jahren nicht gesehen hat. Sie verändert seinen Tag komplett. Sie begleitet ihn zur Arbeit, in der Mittagspause sitzt er nicht mehr alleine im Park. Der stille, in aller Ruhe vor sich hinputzende Mann, ist plötzlich gezwungen, zu reden. Mit seinen Mitmenschen zu interagieren. Perfect Days ist kein Film, der das junge Berliner Kinopublikum im Sturm erobern möchte. Dazu ist er zu ruhig, zu schlicht, zu philosophisch. Er ist das Gegenstück zum amerikanischen Actionfilm. Man sitzt sehr lange im Kinosessel und wartet auf den Bruch, die Turbulenzen, das plötzlich auftretende Problem, das uns mitfiebern lässt mit diesem Mann, und das uns endlich in seine Geschichte hineinzieht. Dabei ist man längst mittendrin in diesem Film. Man ist diesem Toilettenmann, ohne dass man es merkt, schon viel zu nah gekommen, um noch unberührt zu bleiben. Es kann kein Zufall sein, wenn Wim Wenders Geschichte über einen Toilettenputzer nicht im hektischen Berlin, sondern im Land des Zen-Buddhismus spielt. Es ist eine leise, ganz alltägliche, wenig aufregende, aber durchaus erzählenswerte Geschichte. Und wenn Wim Wenders sie erzählt, wird sogar ein Film daraus. |