Kreuzberger Chronik
April 2024 - Ausgabe 258

Strassen, Häuser, Höfe

Die Heimstraße 17


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von Reiner Schweinfurth

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Kein Wasser im Schlauch

Darauf hatten Pohl&Prym nur gewartet und dann sofort gehandelt: Am 9.11.2021 entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass Städte und Gemeinden kein Vorkaufsrecht mehr ausüben dürfen, wenn es sich bei dem Haus nicht um ein offenkundig marodes Spekulationsobjekt handelt. Pohl&Prym hatten geklagt, gewonnen und im Februar 2022 gab es für die Heimstraße 17 bereits einen neuen Eigentümer: die cityofberlin Hausverwaltung mit Sitz in der Villenkolonie Lichterfelde. Ein Schock, von dem sich die mieter-solidarische Szene der Stadt bis heute nicht erholt hat. Dahinter steckt wahrscheinlich ein Investor aus Asien. Der Preis ist geheim. Die Vorbesitzer hatten mutmaßlich zwischen 3 und 5 Millionen bezahlt. Der neue Eigentümer wahrscheinlich zwei oder drei Mal mehr.

Demo der Hausbewohner auf dem Hermannplatz - Bild: Jule Neumann


Dabei hatte die linke Bezirksregierung immer versprochen, solch schnödes Kapitalistengebaren zu verhindern. Zwei Gerichtsurteile vor Leipzig konnte sie sich mit ihrer Auslegung des Vorkaufsrechts noch durchsetzen. Doch auch in Kreuzberg ist am Ende Eigentumsrecht stärker als Mieterrecht. Denn im Grundgesetz steht, dass Eigentum verpflichtet. Aber was heißt das im realen Kapitalismus?

Das Ergebnis der Volksbefragung am 26. September 2021 scheint die Frage eindeutig zu beantworten: 57,6 Prozent wollten, dass den Großunternehmen ihre Latifundien weggenommen werden. Mehr als 3000 Wohnungen sollten sie künftig nicht besitzen dürfen. Doch bei einer Enteignung würden Entschädigungszahlungen fällig, laut Senat beinahe 30 Milliarden. Und die Senatskassen waren - wie immer - leer. Bei der Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 wurde dann aus Rot-Rot-Grün auch noch Schwarz-Rot. Die SPD stand schon immer auf der Bremse, wenn es darum ging, den »Volksentscheid über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs« umzusetzen. Die CDU sowieso.

Das ist der Rahmen, in dem sich die Hoffnungen der Mieter in der Heimstraße 17 zerschlugen, künftig ohne Angst vor Kündigungen zu leben. Dazu müsste der Bundestag eine Änderung im Baugesetzbuch vornehmen. Das hat die FDP ausgeschlossen. Deshalb will die Bürger-initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen ein zweites Volksbegehren mit neuen Forderungen auf den Weg bringen. Wann genau, ist unklar.

Klar ist, dass der Senat bis 2026 im Amt ist. Bis dahin wird sich nichts ändern. Auch für die Bewohner der 17 nicht. 2026 allerdings endet auch die Mietpreis- und Belegungsbindung. Dann ist alles möglich. Auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Die Initiative #200Häuser, die sich gegen die grassierende Umwandlung in Friedrichshain & Kreuzberg wehrt, sieht noch keine Reaktion der Immobilienwirtschaft auf das Urteil. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Der Kreuzberger Baustadtrat Schmidt wurde vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts kalt erwischt. Gilt er doch noch immer als Robin Hood der Mieter, seit er einige Objekte der »Immobilien-Mafia« entziehen konnte, was ihm viel Ärger, aber auch einige Anerkennung insbesondere unter den Kreuzberger Alternativen einbrachte. Ihm erging es wie vielen engagierten Politikern, die als Tiger starteten und als Bettvorleger landeten.

Katrin Schmidberger, die für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt und die sich sehr für die Heimstraße 17 engagierte, sagt: »Es tut mir leid, dass wir zurzeit nichts machen können. Es brennt an vielen Stellen, wir wollen löschen, aber wir haben kein Wasser im Schlauch. Bei Leerstand oder maroden Häusern geht was, aber in der Heimstraße gibt es aktuell keine Option. Der Zeitrahmen jedenfalls ist ungemütlich. Der Milieuschutz gilt immer nur für fünf Jahre. 2026, ausgerechnet im Wahljahr, läuft er aus. Dann muss er verlängert werden – um zehn Jahre. Dann wären die Mieter relativ gut geschützt.« Nicht lebenslänglich, aber immerhin für zehn Jahre.

Die Grünen hatten sich vor der Wahl 2021 im September mit einem Plakat weit aus dem Fenster gelehnt und behauptet, der Bezirk hätte die Immobilie gekauft und »Verdrängung verhindert«. Da wurde allerdings vor Gericht noch gestritten. Zu früh gefreut, ungeduldig Hoffnungen geweckt, die dann zerplatzten. Kreuzberg wollte einmal einen anderen Politik-Stil prägen, aber am Ende klappern alle mit dem gleichen Besteck!

Die Kaltmiete in der Heimstraße beläuft sich laut Mietspiegel durchschnittlich, je nach Größe und Ausstattung, auf etwa 7 Euro. Trotz zweimaligem Eigentümerwechsel in den letzten Jahren hat sich daran nichts geändert. Der ganz große Hammer fiel also bisher noch nicht auf die mit viel Aufmerksamkeit von den Medien beobachtete Immobilie. »Das soll auch so bleiben«, sagt Jana, eine Mieterin in der Heimstraße 17. Die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit ist von Vorteil. »Wir haben hier zwar immer wieder Ärger mit diesen Hausverwaltungen, die den Ort nicht richtig kennen. Aber wir fühlen uns hier wohl, die Protestaktionen haben uns zueinander gebracht. Das ist gut.«

Der Altbau aus der Jahrhundertwende wurde 1996 grundrenoviert, die Wohnungen neu zugeschnitten. Vor zwei Jahren gab es eine neue Fassade, der Garten wurde gestaltet. »Das hätte nicht sein müssen, aber dagegen konnten wir uns nicht wehren. Die Miete stieg, aber bis jetzt ist das noch bezahlbar«, sagt Andrea, die mit ihrer Tochter schon lange in der Heimstraße wohnt. »Nur viel mehr kann ich mir nicht leisten. Ich will hier leben. Dieser Kiez ist meiner. Irgendwo hin, wo ich niemanden kenne? Kann ich mir nicht vorstellen.«


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