April 2024 - Ausgabe 258
Helmut
Kleine Streiche von H.W.K. |
Massenveranstaltungen waren nichts für Helmut. Rockkonzerte, Fußballspiele und politische Versammlungen waren ihm ein Gräuel. Er hatte ein tiefe Abneigung gegen fanatisches Gegröle jeder Art, auch wenn er die Nazis nie hatte grölen hören. Doch sein Vater war ein aktiver Sozialdemokrat, als Kind saß Helmut bei Willy Brandt auf dem Schoß umgeben von Zigarrenqualm. Nicht einmal auf den großen Berliner Demonstrationen der Siebzigerjahre war er dabei. Helmuts Widerstand gegen die Staatsgewalt bestand darin, ihr Streiche zu spielen. Uniformen waren ein rotes Tuch für ihn. Doch der Straßenmusiker hatte oft mit den Beamten zu tun. Denn obwohl Helmut vor Musikern wie Chopin oder Schumann großen Respekt hatte und ihre Werke eher schüchtern und leise spielte, beschwerten sich Anwohner, wenn er vor der Markthalle oder vor dem österreichischen Lokal die Gäste mit Klaviermusik unterhielt, über Ruhestörung. In der Regel war es weniger die Musik, die diese Nachbarn störte, es war das Ungewöhnliche, das Abnorme. Immer wieder riefen sie auf der Polizeistation an und fragten, ob so etwas überhaupt erlaubt sei. Die schickte dann zwei Uniformen. Irgendwann wurde Helmut das ständige Diskutieren zu lästig, und weil er nichts lieber tat, als der Obrigkeit einen Streich zu spielen, heckte er gemeinsam mit Felix, einem weißhaarigen, lustigen Zeitgenossen aus der Bergmannstraße, der im Sommer Klavierkonzerte auf dem Kreuzberg veranstaltete und selber gerne am Flügel saß, nach dem Genuss einiger Glas Rotwein einen Plan aus. Felix muss den Plan noch am selben Abend in die Tat umgesetzt haben. Als anderntags eine Streife vor dem Klavier auftauchte, zog Helmut eine "Spielstättengenehmigung (Vereinfachtes Verfahren - Blatt 712)" aus der Tasche. In gewichtigen Lettern stand darüber: "Supranationales Organ der Europäischen Union – Der Kommissar zur Förderung der Kultur im öffentlichen Raum im Kulturjahr 2016/2017". Darin wurde Helmut Schneider, geb. 6.1.1942, "die Erlaubnis erteilt, an öffentlich zugänglichen Plätzen innerhalb der Europäischen Union Musik ausschließlich europäischer Komponisten darzubieten." Die Genehmigung war befristet "nur bis zum 31.12.2017" und, wie fettgedruckt vermerkt wurde, "nur werktags zwischen 11h und 21.45h, sowie Sonn- und Feiertags zwischen 12h und 20.30h." Natürlich ausschließlich "in Verbindung mit einem gültigen europäischen Personaldokument." Seitdem sprang Helmut stets mit großer Freude auf, sobald sich Uniformierte näherten, um ihnen stolz seine Genehmigung entgegenzuhalten. Zweifel an der Echtheit des Dokuments äußerte niemand. |