Kreuzberger Chronik
April 2024 - Ausgabe 258

Briefwechsel

Das ist unsere Pflicht


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von Herbert Weser

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Herbert Weser zum Editorial der Ausgabe 257

Sehr geehrte Redaktion!

Mit Interesse habe ich Ihr Editorial vom Märzheft gelesen, in dem Sie die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik angreifen. Als ehemaliger Offizier der Bundeswehr erlaube ich mir, hier an einigen Stellen Einspruch zu erheben.

Wenn wir uns in den Nachkriegsjahren in der Aufrüstung Deutschlands zurückgehalten haben, dann weniger der Demonstrationen der 68er Generation oder des Eintritts einer grünen Friedens- und Antiatom-Partei in den deutschen Bundestag wegen, sondern vor allem deshalb, weil die internationale Politik eine militärische Aufrüstung Deutschlands auf Grund seiner Geschichte nicht geduldet hätte. Deutschland hatte sich nach der Niederlage im 2. Weltkrieg zu militärischer Enthaltsamkeit verpflichtet.

Seit dem Ende des Krieges ist ein Dreivierteljahrhundert vergangen, in dem viel geschah. Die Welt sieht heute anders aus als in den Sechzigerjahren. Der Krieg, gegen den vermutlich auch Sie damals auf den Straßen demonstrierten, fand in Vietnam statt, am anderen Ende der Welt. Heute findet er vor unserer Haustür statt. Heute müssen wir uns wieder wehren. Das ist unsere Pflicht den Bürgern gegenüber.

Ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Brief veröffentlichen würden. Herbert Weser

Sehr geehrter Herr Weser!

Vielen Dank für Ihren Brief. Natürlich stellen wir - als ehrliche Demokraten - Ihren Beitrag gern zur Diskussion. Zumal wir selbst genau darüber nachgedacht haben: Rechtfertigt die neue Situation tatsächlich die neue Politik? Und wir sind zu dem Schluss gekommen: Nein!

Denn es hat sich im Grunde gar nicht viel geändert in diesen fast achtzig Jahren seit Kriegsende: Noch immer sind sich Rot und Braun nicht grün. Noch immer verläuft die Grenze zwischen Ost und West, zwischen Oben und Unten, noch immer herrscht ein Kalter Krieg, der droht, zur Feuersbrunst oder dem vielzitierten »Flächenbrand« zu werden. Noch immer haben die Amerikaner ihre Waffen auf unserem Boden stationiert.

Aus gutem Grund, werden Sie jetzt vielleicht erwidern, denn es gehe ja auch um unsere Sicherheit, und die Amerikaner würden im Krieg ja auch uns beschützen. Aber das wissen Sie selbst vielleicht noch besser als wir: Was hilft uns der Schutz der Amerikaner, wenn uns hier in Berlin die Bomben um die Ohren fliegen!

Sie haben doch auch die Bilder des zerstörten Berlin gesehen und auch noch die Worte Ernst Reuters im Ohr, der nicht nur die tapferen Trümmerfrauen beim Wiederaufbau, sondern auch die Trümmer selbst meinte, wenn er nicht ohne zu mahnen sagte: Schaut auf diese Stadt! d. R.


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