April 2024 - Ausgabe 258
Reportagen, Gespräche, Interviews
Wankende Hochbauten am Gleisdreieck von Michael Unfried |
»So was braucht kein Mensch!« Eigentlich hätte die Nachricht im Februar mit lautem Jubel aufgenommen werden müssen: Die Bürgerinitiative von Matthias Bauer und Norbert Rheinlaender, die seit 2014 gegen die geplanten Hochhäuser am nördlichen Ende des Gleisdreieckparks protestieren, hatte einen zeitweiligen Baustopp erwirken können. Der Kreuzberger David gewann eine erste Runde gegen den Luxemburger Goliath, einen Investor, der immerhin eine Milliarde in die Sandlandschaft an der Grenze zu Schöneberg setzen wollte. Matthias Bauer sagte gegenüber einer Journalistin vom Neuen Deutschland: »Die Investoren machten Gesichter wie auf einer Beerdigung.« Bislang war die Bürgerinitiative bei ihren zahlreichen Aktionen und Diskussionen stets auf das leidenschaftslose Schulterzucken der Senats- oder Bezirkspolitiker gestoßen, die auf Schadensersatzforderungen des Investors in dreistelliger Millionenhöhe verwiesen, falls der sein Bauprojekt nicht verwirklichen könne. Mit einem Rechtsgutachten über den Kaufvertrag aber könnten die Kreuzberger einen Stein ins Rollen gebracht haben. Ob es nur ein kleiner Kiesel oder ein schwer zu schluckender Brocken für den Investor sein wird, ist noch nicht klar. Der Druck auf die Verantwortlichen im Bezirksrathaus war stärker geworden, als die Initiative im Dezember 24.247 Unterschriften gegen die Baupläne überreichte. Bereits im August hatte man dem Bezirksamt ein Gutachten zukommen lassen, das zu dem Schluss kam, dass der Investor gar keine Regressansprüche geltend machen darf. Die erste Reaktion seitens der Politik war unisono ein müdes Lächeln gewesen. Baustadtrat Schmidt formulierte: »Dieses Gutachten ist nicht belastbar.« Doch als sich die Luxemburger und ihre politischen Unterstützer bei einer Bürgerversammlung auf dem Dragonerareal mit 250 Kreuzberger Gegenstimmen konfrontiert sahen, war der Bezirk genötigt, ebenfalls ein Gutachten in Auftrag zu geben. Das kam überraschend zum selben Schluss: Über ein Bebauungsplanverfahren müsse von Abgeordneten frei und ohne Druck entschieden werden können. Mithin sei eine Klausel über etwaige Entschädigungszahlungen im städtebaulichen Rahmenvertrag vom September 2005 unwirksam. Mit den vermeintlichen Regressansprüchen ist den Politikern ihr wichtigstes, vielleicht sogar einziges Argument abhanden gekommen. Allerdings hatte es auch unter den Linken und Grünen bereits Stimmen gegeben, die den Bau 90 Meter hoher Bürotürme in Zeiten florierender Heimarbeit kritisierten und die auch »lieber einen Ponyhof« am Gleisdreieck gesehen hätten als Betonklötze. Lediglich die CDU hielt die neuen Gebäude mit den beiden Twintowers fünf Meter neben den Geleisen der Hochbahn offensichtlich noch immer für das Non plus Ultra einer modernen Stadtmitte. Nun aber müssen sich Politiker und Vertreter der Bürgerinitiative zusammensetzen und den Entwurf überarbeiten, je ein Abgeordneter der im Bezirksrathaus vertretenen Parteien und zwei Vertreter der Bürgerinitiative. Noch vor der Sommerpause soll ein Ergebnis präsentiert werden, das die Planungen den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger angleicht und dem Klimawandel gerecht wird. Damit müssten die hohen Bürotürme eigentlich aus der Planung verschwinden. Mit dem Bau neuer Wohnungen in überschaubaren Häusern könnte sich auch die Bürgerinitiative anfreunden. Matthias Bauer kann sich vieles vorstellen: »ein kleines Prinzenbad etwa, ein Beachvolleyballfeld oder eben Wohnungen. Die aber sollten bezahlbar sein, und die Bewohner müssten auch eine gewisse Toleranz für Lärm mitbringen.« Nächtliche Partys und Veranstaltungen in der Station im ehemaligen Postbahnhof sorgen immer wieder für Unmut unter den Anwohnern. Matthias Bauer deutet zu den Neubauten auf der anderen Seite des Parks hinüber. »Da kostet der Quadratmeter jetzt 28,50 Euro! Die Wohnungen sind längst fertig, aber da ist immer noch einiges frei! So was braucht doch kein Mensch!« Am liebsten würde der Architekt komplett auf die Bebauung verzichten und den Park bis zum Viadukt der U2 erweitern. Seit Jahren kämpft er um den Erhalt der alten Bögen des Gleisdreiecks und träumt von einer attraktiven Flaniermeile aus Cafés, Kleingewerbe, Werkstätten und Ateliers. Insgesamt 8000 Quadratmeter Gewerbefläche stünde in den alten U-Bahn-Viadukten zur Verfügung. »Jetzt gehören auch die der Luxemburger Urbane Mitte Besitz S.à.r.l.« 2020 wurde das Grundstück für 142,5 Millionen von der Copro nach Luxemburg verkauft. 2014 hatte die Copro der Vivico für das Grundstück knapp 7,8 Millionen gezahlt. »Spekulativer Gewinn nach sechs Jahren: 135 Millionen!« Bauer grinst. Er kennt sich aus auf dem Gelände. Er war 25, als er 1981 in die Bülowstraße einzog. Vom dritten Hinterhof führte ein schmaler Weg durch die Kleingärten auf das Bahngelände. »Im Stellwerk neben der jetzigen Skaterbahn saßen die Reichsbahner und meckerten, wenn wir über die Schienen des Postbahnhofs liefen. Hier waren immer Leute unterwegs, machten Musik oder lagen in der Sonne. Auf den Wasserturm konnte man rauf. Der hatte oben eine Luke, durch die man in die Kugel hineinklettern konnte. Manchmal spielte dort einer Querflöte.« Bauer kennt nicht nur das Bahngelände, er kennt auch Norbert Rheinlaender gut, der am 6. März 1974 - vor einem halben Jahrhundert! - die erste Bürgerinitiative zum Erhalt des verwilderten Gleisdreiecks gründete. »Aber in den Siebzigern, als Norbert hier Führungen für Naturfreunde durch die Wildnis organisierte und gegen die Autobahn protestierte, war ich noch nicht dabei.« Bauer hat zusammen mit Rheinlaender in dessen Büro in der Crellestraße gearbeitet. Die beiden wissen, worum es geht am Gleisdreieck: Es geht um eine der interessantesten Grünflächen Berlins, deren nördliches Ende von den geplanten Hochhäusern künftig in den Schatten getaucht würde. An diesen zwei Männern und ihren Mitstreitern könnten sich die Investoren einige Zähne ausbeißen. Denn mit einem faulen Kompromiss, mit 70 statt 90 Metern werden sie sich nicht zufrieden geben. Auch die Presse scheint inzwischen ganz auf ihrer Seite. Lediglich das BERLINboxx BusinessMagazin mit Sitz in der Fasanenstraße - unweit des ehemaligen Büros der Luxemburger Gesellschaft - sieht die Dinge anders. Nach der Veröffentlichung des ersten Rechtsgutachtens fuhr das Magazin schwere Geschütze auf und warf einem »Blogger mit Namen Matthias Bauer« vor, Falschmeldungen in die Welt zu setzen. Seit Jahren versuche er »mit unseriösen Mitteln die Öffentlichkeit über die Rechtmäßigkeit des Genehmigungsverfahrens zu täuschen« und nerve die Politik mit »falschen und bewusst irreführenden Behauptungen und Forderungen.« Aber im Bezirk kenne man »den blinden Aktionismus und die penetrante Desinformation« der Gruppe und gebe »sich gelassen.« Ein BVV-Mitglied, das nicht genannt werden wolle, habe betont, »dass in der Sache mehrmals einstimmig entschieden worden sei und die Forderungen keine Substanz hätten.« Mit einem Wort: Die Investoren hätten die Politik auf ihrer Seite. Die Planer der Urbanen Mitte - »Gesichter wie auf einer Beerdigung!« Bild: Uli Klose Doch allen Prophezeiungen des Magazins zum Trotz gab das Gutachten des Bezirks den Bürgern recht. Was auch immer nun zwischen Investor und Politik ausgehandelt werden wird: Die penetranten Kreuzberger werden mit am Runden Tisch sitzen. Und auch im Kreuzberger Rathaus ist man nicht so einstimmig, wie das Magazin schreibt: Gaby Gottwald von den Linken und Sarah Jermutus aus den Reihen der Grünen zeigten sich regelrecht erleichtert und unterstützen viele der Forderungen aus der Bürgerinitiative. Jermutus sagte: »Wir können nun erstmals über die Urbane Mitte reden, ohne dass hohe Entschädigungszahlungen im Raum stehen...« Ob es nur ein kleiner Kiesel ist, den die Kreuzberger dem Investor in den Weg gelegt haben, oder ob es sich um einen dicken Brocken handelt, an dem sich die Luxemburger verschlucken, ist abzuwarten. Es könnte sich, wie oft in solchen Fällen, der Senat als letzte Instanz einschalten und allein entscheiden. Das macht er oft und oft zugunsten des Investors. Vielleicht war das der Grund dafür, weshalb der Jubel in Kreuzberg kleinlaut ausfiel. Eines aber hat die Initiative schon jetzt gewonnen: eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. |