Kreuzberger Chronik
April 2024 - Ausgabe 258

Geschäfte

For Kings and Queens


linie

von Ina Winkler

1pixgif


















Die Zossener Straße ist noch die alte. Hier stinken und hupen noch Automobile, sind die Fassaden nicht hübsch restauriert, reiht sich nicht ein Restaurant ans andere wie in der benachbarten Bergmannstraße. Es gibt noch Blumenläden, Bäcker, Frisöre, eine schmucklose Rossmannfiliale und in glanzlosen Geschäftsauslagen Platten und CDs und Comics. Und in einem Souterrain einen alten Secondhandladen mit Blue Jeans vor dem Eingang auf der Straße. Aber nicht mit irgendwelchen Jeans.

Hier hängt eine Legende. Die Legende von Levis. Diese alte Geschichte vom Segelschneider Levis Strauss, den die aufkommende Dampfschifffahrt in den Ruin zu treiben drohte, woraufhin seine Frau damit begann, aus den restlichen Segeltuchbeständen in ihrem Lager Hosen zu nähen. Steife, unkomfortable, von dickem, gelben Zwirn, einigen Nieten von Pferdegeschirr und gleich drei nebeneinander verlaufenden Nähten zusammengehaltenen Arbeitshosen, die noch nach Imprägnierung stanken, aber ein Leben lang hielten. Und Absatz fanden in der Stadt am Meer. So zumindest erzählt es die Legende.

Die Näharbeiten der Familie Strauss jedenfalls begründeten ein Imperium. Die Hosen eroberten Amerika und von hier aus allmählich die Welt. Auch im Ausland eröffneten Fabriken, doch die originalen amerikanischen Segeltuchhosen mit dem dunkelblauen Stoff und den drei gelben Nähten gab es lange nur in den PX-Läden der amerikanischen Kasernen. Und nur für Amerikaner.

In den Siebzigern wurde die Blue Jeans mit der Nummer 501 zum Kult. Berühmt war das erste Geschäft am Ku´damm, dass sie verkaufte. Auch ein kleiner Laden am Schlesischen Tor machte Karriere mit Levis-Jeans aus der 2. Wahl zum halben Preis. Berühmt wurde das Poster mit einem von der Jeans wohlgeformten Hintern, angeblich von Kult- Modell Uschi Obermaier. Doch all das war einmal. Der Name Levis hat seinen Klang verloren, nichts unterscheidet die Levis heute von anderen Jeans in Kaufhausregalen.

In der Zossener Straße aber hängen noch Originale. Seit 20 Jahren verkauft drei Treppen unterhalb des Trottoirs der Secondhandladen For Kings and Queens Klamotten aus den Siebzigerjahren. Man kann jahrelang täglich daran vorübergehen, ohne ihn zu bemerken, weil sein Logo zwischen lauter Aufklebern, die sich in zwei Jahrzehnten um das Schaufenster angesammelt haben, kaum noch zu erkennen ist. Aber so war es eben, das Kreuzberg der Siebzigerjahre: Vollgekleistert mit Aufklebern und Plakaten an schmucklosen Wänden, die nach dem Regen aufs Pflaster rutschten. Auch der Name dieses Ladens stammt noch aus alten Zeiten. Wer würde heute noch For Kings & Queens schreiben, mit den Kings an erster Stelle?

Der Laden ist eben kein Nachbau, er ist noch echt Siebziger. Das Outfit ebenso wie die Klamotten im Inneren. Nur die Kundschaft stammt aus der Gegenwart. Das Publikum, auch wenn es sich kleidet wie vor vierzig Jahren, kommt aus den Zwanzigern. Es raucht nicht mehr, es klebt keine Plakate mehr und trägt die vollkommen falschen Frisuren. Und es kommt manchmal aus ganz anderen Stadtvierteln in die Zossener Straße, nur um sich einzukleiden.

»Es kommt ja immer alles mal wieder! Und gerade erleben wir ein Revival der 70er Jahre«, sagt die Frau hinter der Theke, die gleich um die Ecke in der Mittenwalder Straße aufgewachsen ist. Also selbst echt Siebziger! Ihr Sortiment ist genial, kein einziges Stück hat sich zufällig in diesen Laden verirrt, alles ist handverlesen und formiert sich zur Siebzigerjahre-Kollektion For Kings & Queens. Einzige Reminiszenz an die Jetztzeit: Ein T-Shirt mit Aufschrift FUCK AFD!

Sonst gibt es indische Gewänder für Hippiefrauen, bunte Röcke und dünne Seidenblusen, Relikte der ausklingenden Sechzigerjahre. Da sind die ersten Baseballkäppis und die kanadischen Holzfällerjacken, die Kapuzenpullis und die Bomberjacken schon vom Ende der Siebzigerjahre. Und die schrillen Herzstücke der Siebziger, eine ganze Stange voller glitzernder Overalls und Skianzüge mit Pelzkragen, die aus der James Bond-Requisite kommen könnten. Ebenso wie die Sonnenbrillen, die Tücher, Taschen, Turnschuhe, Plateauschuhe... .

Jacketts, Anzüge und Kostüme, die verpönten Attribute des Spießertums, sucht man unter den Adligen in der Zossener Straße vergeblich. Alles in der Nummer 32 ist eine Hommage an die wilden Siebziger, sogar die Tür und das Schaufenster sind noch Originale. »Mein Hauswirt meint ja immer, ich solle da endlich mal eine ordentliche Tür und ein richtiges Schaufenster einbauen, und im Winter ist es auch manchmal schon etwas kühl hier drinnen hinter den dünnen Glasscheiben. Aber ich finde, wir müssen wenigstens ein paar kleine Stücke Kreuzberg erhalten!«, sagt Sabine.

Dazu gehören auch die unsterblichen Jeans von Levis Strauss. »Die krieg ich aus Holland. Da gibt es ein paar Leute, die sortieren die besten Stücke aus. Die sind manchmal schon so alt wie mein Laden.« Die Echten. Die Originalen. »Die Hosen von damals kann man mit denen von heute nicht vergleichen. Schon das dünne Garn....« Sabine stöhnt...

Wieviele Pakete echter Levis aus Holland noch kommen werden, weiß auch sie nicht. Irgendwann sind auch die letzten Unsterblichen durchgescheuert und dünn. Dann gibt es nur noch die billigen Kopien aus Asien. Aber am Freitag soll wieder eine Lieferung kommen. »Da sind sicher auch wieder ein paar 501er dabei. Aber du musst schnell sein. Am besten kommst Du gleich am Nachmittag!«


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg