April 2024 - Ausgabe 258
Frisch von der Leinwand
Poor Things von Anna Prinzinger |
Eine Aufnahmeprüfung für Medizinstudenten Wir stehen im leeren Foyer des Kinos in der Yorckstraße. »Süß hier!«, meint meine Freundin. Das Foyer ist so klein, dass gerade Mal 20 Besucher reinpassen! Aber so können wir wenigstens sitzen. In der Abendvorstellung gäbe es wahrscheinlich keinen Sitzplatz mehr. Aber wer geht nach einem so grauen und langen Winter am ersten sonnigen Nachmittag des Jahres schon ins Kino! Mein Vater würde wieder mal den Kopf schütteln. Poor Things ist eine Frankenstein-Geschichte, es geht um Dr. Godwin Baxters größtes Experiment: einen Homunculus. Dr. Baxter fand eine junge Frau, die sich von einer Brücke gestürzt hatte. Er stellte fest, dass sie schwanger war, entfernte das Gehirn der toten Frau und setzte das des ungeborenen Babys an dessen Stelle. So entstand Bella Baxter: das Bewusstsein eines Kleinkindes in einem erwachsenen Körper. Über zweieinhalb Stunden verfolgen wir aus unseren Kinosesseln ihre Entwicklung zur Frau. Wie Dr. Frankenstein hält auch Baxter seine Bella zunächst von der Öffentlichkeit fern, doch schnell setzt sie sich mit ihrem Drang nach Leben und Abenteuer durch und verlässt mit Duncan Wedderburn, der eigentlich ihren Ehevertrag mit einem anderen Mann regeln soll und den sie zu dem Zeitpunkt kaum kennt, das Haus des Doktors. Das allmähliche Erwachen ihrer Sexualität ist eines der zentralen Themen im Film. Meine Freundin lehnte sich irgendwann zu mir rüber: »Gut, dass meine Mutter nicht dabei ist! Das wäre ihr dann doch zu viel Nacktheit! Ich mein, ich bin ja nicht prüde, aber das ist ja selbst mir bisschen zu weird...« War Bella am Anfang ihrer Reisen mit Duncan noch ein Mädchen, ausgestattet mit naiver Neugierde aufs Leben, so ist sie durch ihre vielen Erfahrungen und Eindrücke am Ende des Films eine erwachsene Frau, die den Wunsch empfindet, die Welt zu verbessern. Dabei stößt Bella, gespielt von Emma Stone, immer wieder an die gesellschaftlichen Grenzen, um die sie sich jedoch wenig schert. Sie macht stets nur, was sie für richtig hält, auch wenn das mit den Normen der Gesellschaft kollidiert. Aber Bellas eigentümliche Art scheint die Menschen zu faszinieren, nicht abzuschrecken. Der Film ist makaber und wäre mit den detaillierten Aufnahmen des Sezierens und Operierens eine gute Vorbereitung für ein Medizinstudium. Wer keine Nerven hat, sollte lieber zu Hause bleiben. »Ich hab mehrmals die Augen zugemacht!«, meint meine Freundin bei der Zigarette danach draußen vorm Kino. - »Aber eingeschlafen bist du nicht!« - »Never!« |