September 2023 - Ausgabe 252
Herr D.
Der Herr D. hört Stimmen von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. kochte sein Rührei, da hörte er eine Stimme im Radio fragen: Wovon haben Sie zuletzt geträumt? Es war eine Standardfrage, sie gehörte zu einem Fragebogen, der jedem Radioporträt seines Lieblingssenders vorangestellt wurde und der stets dieselben Fragen beinhaltete, egal, wer zu Gast war. Bei der Frage nach den Träumen hatte er das Gefühl, dass sich Gäste immer wieder um die Wahrheit herummogelten. Der Herr D. wäre auch gerne einmal gefragt worden: Was ist schwerer, Anfangen oder Aufhören? Was war ihr wichtigstes Bildungserlebnis? Er hätte schöne Antworten gewusst. Auch auf die Frage nach seinem letzten Traum. Er träumte, er sei auf einer Urlaubsinsel und schaue aufs Meer und da lag die komplette amerikanische Kriegsflotte, ein Schiff nach dem anderen! Und dann habe er »Scheiße« gemurmelt, sei zurück ins Haus gegangen und habe die Tür hinter sich zugeknallt. Der Herr D. hatte noch nie vom Krieg geträumt, er hatte sechzig Jahre lang im Frieden leben können. Seit dem Ende des 2. Weltkrieges war die Devise der zivilisierten Länder Europas »Abrüstung« gewesen. Jetzt stand selbst an einer Kreuzberger Bretterwand geschrieben: Das ist auch unser Krieg. Der Herr D. träumte nicht nur von den Amerikanern. Er träumte auch von Annalena Baerbock. Er begegnete ihr auf einer Geburtstagsparty bei Freunden, sie stand in der Küche, hatte dem Herrn D. den Rücken zugewandt und legte sich gerade zwei Schnittchen auf den Teller. Nebenbei plauderte sie mit einer Frau, die sich ein Glas Wein eingoss. Annalena tat so, als wäre sie ein normales und vollwertiges Mitglied dieser Geburtstagsgesellschaft. Doch das war sie nicht, dachte der Herr D., sie gehörte zu einer ganz anderen Gesellschaft. Der Herr D. verließ die Party schon früh. Doch die Frau verfolgte ihn auch tagsüber und nicht nur in den Träumen. Er ertappte sich dabei, wie er ihre Stimme im Nebenzimmer hörte, wo das Radio lief, und er hätte schwören können, dass sie gerade diesen berühmten Satz gesagt hatte, der in so vielen Filmen auch immer aus irgendwelchen alten Rundfunkempfängern kam: »Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!« Er konnte sich genau vorstellen, wie die Ministerin nach dem Punkt hinter diesem bedeutungsschweren Satz demonstrativ genervt die Mundwinkel zusammenkniff und damit dem Punkt noch ein Ausrufezeichen hinzufügte. Es war natürlich nur ein Hörspiel gewesen, die Stimme gehörte einem Schauspieler, es war alles nicht real. Aber dass er es für real halten konnte, erschreckte den Herrn D. Und diesmal sagte er wirklich laut und deutlich und ganz real: »Scheiße!« |