Kreuzberger Chronik
September 2023 - Ausgabe 252

Geschäfte

Cafégespräche


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von Ina Winkler

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von Ina Winkler

Fragt man Touristen nach den kulinarischen Besonderheiten der Griechen, werden Souvlaki, Tsatziki und Ouzo genannt. Eventuell fällt dem einen oder anderen noch der Schlager vom griechischen Wein ein. Der griechische Kaffee aber steht, wenn überhaupt, ganz unten auf der Speisekarte. Vielleicht, weil niemand so recht weiß, ob der griechische Kaffee nicht eigentlich ein türkischer Mokka ist. Bis heute behaupten sowohl Türken als auch Griechen, Spezialisten für den kleinen Schluck aus dem kleinen Tässchen zu sein, obwohl beide wissen sollten, dass der Mokka im 15. Jahrhundert vom arabischen Städtchen Al Mukha aus die Küsten des osmanischen Reichs eroberte. Es waren die Araber, die damit begannen, in langstieligen Kupferkochern Kaffee, Zucker und Wasser aufzukochen.

Wie auch immer: Das Kaffeetrinken ist in Griechenland ebenso Kult wie in Italien. Unvergesslich sind die schnauzbärtigen Gesichter der Wirte in den altmodischen Kafeneions der griechischen Siebziger, die in einer dunklen Ecke auf einem kleinen Gaskocher ihren Elliniko aufkochten. Obwohl auch der griechische Kaffee nur aus Wasser, Zucker und Kaffeepulver besteht, machten die Griechen eine Wissenschaft daraus und erfanden unzählige Rezepturen, ließen ihn mit viel, wenig oder gar keinem Zucker, kurz oder lang kochen oder auch schon kurz vor dem ersten Blubbern vom Feuer nehmen, um möglichst viel Schaum im dickwandigen Tässchen zu haben.

Männer, die etwas auf sich hielten, äußerten noch in der Tür stehend und den Rosenkranz schwingend ihre speziellen und nicht selten komplizierten Kaffee-Wünsche, während Wirte, die etwas auf sich hielten, sich aus kleinen Hölzchen winzige Quirls schnitzten, um die Kunst des Umrührens zu vervollkommnen. In Ermoupolis, der Hauptstadt der Kykladen auf Syros, soll es ein kleines traditionelles Kafe-neion gegeben haben, in dem der griechische Mokka auf 80 verschiedene Weisen zubereitet wurde. Außerdem sollen warzenübersäte Frauen aus dem verbleibenden Kaffeesatz die Zukunft gelesen haben.

Das Kalmira Café in der Markthalle am Marheinekeplatz ist nicht aus den Siebzigern, und die jungen Männer hinter der Theke tragen keine Schnauzbärte mehr, sondern Ohrringe und die jungen Frauen keine Ohrringe, sondern Piercings. Sie stehen auch nicht mehr vor kleinen Gasflammen und rühren den Kaffee mit hölzernen Schneebesen um, sondern hantieren mit modernen Kaffeemaschinen. Und in der Vitrine liegen keine Bierflaschen und keine halben Lämmer mehr, sondern da stehen akkurat aufgereiht Pastetchen mit glänzenden Schokoladengüssen, Mandelgebäck und selbstgemachtes Galaktabouriko, lauter kleine Süßigkeiten, die zum Kaffee passen. In den alten Kafeneions gab es lediglich ein Glas Wasser zum Kaffee.

Außerdem gibt es Bougatsa. Bougatsa ist eine Süßspeise aus griechischem Blätterteig und einer Griescreme, und sie gehört in Athen und Saloniki zum Frühstück der Großstädter. Morgens früh liegt sie noch warm und verführerisch beim Bäcker, im Kafeneion und in den kleinen Glasvitrinen der Zeitungskioske. Auch in der Markthalle am Marheinekeplatz deutet eine Frau mit dem rotlackierten Zeigefinger auf das letzte Stück Bougatsa in der Vitrine, als kenne sie sich aus.

»Möchten Sie es mit Zimt und Zucker oder nur mit Zucker?«, fragt der junge Grieche mit den Ohrringen. – »Nur Zucker.«, sagt die junge Deutsche. »Mit Zimt ist es aber besser.«, sagt der junge Mann. »Ich esse es immer mit Zimt. Zimt ist das wichtigste!« – » Ok, dann mit Zimt.«

»Und ich hätte gerne einen einfachen schwarzen Kaffee ohne Zimt und Zucker«, beendet ein Rentner das Gespräch, der im Tabakladen nebenan gerade seinen Lottoschein abgegeben hat, um die mickrige Rente aufzubessern. Doch der junge Mann hinter der Theke versteht nicht. Er versteht nur »Kaffee«. Er muss noch etwas Deutsch lernen. »Cappuccino? - Latte Macchiato? - Espresso? - Elliniko?« fragt er.

»Einen einfachen schwarzen Kaffee ohne Milch!«, insistiert der Rentner. Die junge Frau mit den Piercings hat eine Idee: »Americano?« Der Rentner nickt.

»Du hättest Espresso nehmen sollen!«. Ein zweiter Lottospieler streckt dem Rentner die Hand entgegen. »Das ist der beste Espresso in der Halle! Arabica! Kräftiger, schokoladiger Geschmack. Aromen, an die sich dein Gaumen noch lange erinnern wird«.

»Hast du das irgendwo gelesen?«

»Nein, das schmeckst Du sofort! Was Kaffee angeht, ist die Halle ja in zwei Lager gespalten: Die einen schwören auf den Franzosen, die anderen auf den Italiener. Alimentari oder Le Bretagne. Andere Meinungen gibt es in der Halle nicht. Zwischen den beiden gähnt ein Abgrund undiskutabler Kaffeebrauerei. Das hier ist jetzt echte Konkurrenz! Die haben gute Maschinen, guten Kaffee, und die wissen, wie man Kaffee macht. So hat´s mir die Chefin gestern gesagt.«

»Aber richtigen griechischen Kaffee haben sie nicht?«

»Doch! Ich bestell mal einen. Und wie ist dein Amerikano?«

»100 Prozent Arabica, sanft geröstet, nicht zu fein gemahlen!«

Der junge Grieche gibt Wasser, Zucker und Kaffee in ein schwarzes Plastikgefäß und schiebt es in eine spezielle Maschine. Heraus kommt ein griechischer Kaffee, eine Spur zu schaumlos und zu schwarz für den griechischen Geschmack. Der Markthallenspezialist ist enttäuscht.

»So wie vom Gaskocher schmeckt der aber nicht!«, sagt er. »Kann man denn wenigstens die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen?«

Doch Griechen sind selbstbewusst. Er lächelt und sagt: »Natürlich! Aber dazu ist er einfach noch nicht trocken genug.«


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