Oktober 2023 - Ausgabe 253
Kreuzberger
Julia Marie Mangold Irgendwann ist alles schon so lange her!
von Saskia Vogel
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Während der Yoga-Ausbildung war Julia Marie die einzige Nicht-Vegetarierin und trat ihre fancy Asanas als Einzige nicht auf Instagram breit: »Ich hatte von irgendwelchen Postings schnell die Schnauze voll.« Julia Marie Mangold ist keine, die allen beweisen muss, was sie »alles schon erlebt« hat. Vieles ist eher zufällig passiert, und irgendwann interessiert das ohnehin niemanden mehr. »Irgendwann ist alles schon so lange her!« Die deftige Küche ihrer Großmutter aus dem Schwabenland, »Schnitzel, Spätzle und Rostbraten«, schmeckt ihr ohne Kalorienzählen: »Ich schränke mich nicht so gerne ein«, sagt Julia Marie und hält auch sonst nicht viel von Restriktionen: Was eine Frau über 40 anzuziehen hat, ob ein kurzer Rock noch passend ist, das sind Fragen, die sie nicht belasten. Sie sei schließlich damals nicht »rückwärts« nach SO61 gekommen, um jetzt das gepflegte Spießertum zu pflegen. »Und mich mit 43 Jahren geben zu müssen als sei ich 70.« Was Julia Marie Mangold sagt, das formuliert sie unmissverständlich. »Rückwärts«, das heißt, dass sie erst in Stuttgart Architektur studierte, um dann in der Hauptstadt »vor Feierabend hinter der Theke und danach davor« zu stehen, weil es kaum Architektur-Jobs gab in der Stadt. Und sich nicht – vice versa – erst in jungen Jahren in Berlin atzig gefeiert hat, um anschließend den Rückzug »zu den fetten Jobs« nach Bayern-Baden-Württemberg anzutreten. Und doch muss sie sich einschränken. Zwangsläufig. Als sie vor zehn Jahren den Mann ihres Lebens traf, zog er nach drei Tagen bei Jule am Marheinekeplatz ein, in eine Wohnküche mit Schlafzimmer und Kammer. Nach weiteren 90 Tagen kündigte er die eigene Wohnung. »Das hätte schief gehen können«, lacht sie. »Ist es aber nicht.« Und damit ist die Sache klar. Christoph, das wusste sie sofort, würde sie nie ernsthaft nerven. 54 Quadratmeter klein ist ihre Wohnung, und vor vier Jahren wurde Carlos dort hineingeboren – »und ja, es ist verdammt eng zu dritt!« Jule kann sie schon nicht mehr hören, »die ewig gleiche Leier der immer gleichen Verlierer über die Gentrifizierung im Kiez«, aber sie muss zugeben: »Die Wohnungsnot ist echt ein Problem.« Als besonders bitter empfand sie, dass in ihrem Haus mehrere große Wohnungen frei wurden, die Anfragen beim Vermieter jedoch jedes Mal auf taube Ohren stießen. Als wären drei Zimmer für drei Personen schon zu viel verlangt. Sie haben sogar schon außerhalb Kreuzbergs nach einer größeren Wohnung gesucht, obwohl ihnen ihre Nachbarn wichtig sind. »Mein Sohn sagt, Kreuzberg sei seine Heimat – Horst Seehofer wäre wirklich stolz auf ihn!« Jule grinst. »Jedenfalls haben wir uns schon ernsthaft die Frage gestellt, ob wir in einen Außenbezirk ziehen sollen, nur um in drei Zimmern vor Langeweile zu sterben, oder ob wir uns in unserer Minibude weiterhin gegenseitig auf die Füße treten, nur um hier zu bleiben.« Weil der Marheinekeplatz auch für die Eltern längst zur Heimat geworden ist. Die Wohnungsnot habe sie sogar den Job gekostet. »Früher habe ich in einem Architekturbüro gearbeitet, das sich dann leider immer mehr auf Luxussanierungen spezialisierte. Irgendwann war ich mit einem Ehepaar auf der Baustelle eines 240 Quadratmeter Lofts in Kreuzberg und die Frau mäkelte, dass die Verhältnisse doch sehr beengt seien.« Jule kündigte. »Ich bin damit nicht mehr klargekommen.« Jetzt arbeitet sie als Architektin in einem Startup, das sich bemüht, dem Geschäft mit illegaler Zimmervermietung zu begegnen, indem es leerstehende Gewerberäume zu Apartmenthotels umbaut. Nebenbei unterrichtet sie die Belegschaft im Büro noch ein bisschen in Yoga, »auch wenn ich gar nicht mehr weiß, wie das eigentlich geht.« Aber vor allem ist Jule Mutter, auch wenn »das ewige Mutti-Gerenne von A nach B und zurück« Nerven kostet. So wie es alle Mütter und Väter, die nebenbei arbeiten müssen, Nerven kostet. Dabei ist das Energielevel von Jule und Christoph relativ hoch. »Christoph hat als Fotograph und Musiker immer irgendwelche Projekte am Start, der ist rast- und ruhelos.« Auch Jule war immer unterwegs, feierte auf Konzerten und lief danach gern noch die Oranienstraße entlang. Aber dann kam die Corona-Epidemie und legte alles lahm. »In dieser Zeit wurde Carlos geboren. Da saßen wir zunächst einmal fest auf unseren 54 Quadratmetern.« Und »der Kleine ist überaus quirlig, das liegt ihm wohl in den Genen. Er geht spät ins Bett und das Einschlafen dauert Stunden.« So lange, dass Jule oft vor dem Sohn einschläft, »schön warm und weich im Winter«, das genieße sie sehr. Aber vom Abend sei dann nichts mehr übrig, auch nicht im Sommer. Zeit für sich bleibe nur noch wenig. Tanten oder Großeltern gebe es leider keine in Berlin, und Babysitter seien gar nicht so leicht zu finden. Als Kind hatte Jule noch gegen die Eltern rebelliert, auch später mit ihrer Garage Punk-Band namens John Franco & The Hindus. Sie rebellierte in den Texten, »Gitarre spielen konnte ich doch gar nicht. Das habe ich mir selber beigebracht und auch fast schon wieder vergessen.« Aber die Texte hat sie nicht vergessen. Zum Beispiel den für eine Rebellin ungewöhnlich poetischen Text von Zero: »I wanna see the dark grey sky, but for today no clouds it´s dry / cats and dogs I need to fight, I ´ve got to find a lower tide. or disappear / I wanna reach the sunken treasure, / but for today I´ve too much leisure, / and love and hate I need to fight, / I´ve got to find a lower tide.... / or disappear... / forever!« Auf jeden Fall wollte sie mit diesen Worten auf die Bühne, und schon als Teenager beschloss sie: Eine Garage Punk-Band sollte es sein. »Mit John Franco oder JFATH - wie wir das abgekürzt haben - haben wir es dann auch irgendwie geschafft. Obwohl wir manchmal grottenschlecht waren!« Gespielt wurde in Hinterhofclubs, auf feministischen Festivals oder bei Bandcontests weiter weg. »Einmal habe ich sogar meinen Vater auf die Bühne geholt, der mir früher immer peinlich gewesen war, wenn er auf Geburtstagen oder irgendwelchen Feiern seine Klampfe rausholte und die Stones und die Beatles rauf und runter spielte.« Aber dann, 2017, stand er mit Tochter und JFATH auf der großen Bühne und spielte ein Gitarren-Solo. Und das Publikum grölte. »Da war er im siebten Himmel.« Aber auch das scheint nun schon so lange her. John Franco & The Hindus haben sich längst aufgelöst, es gibt keine Auftritte mehr, auch keine Spaziergänge danach über die Oranienstraße. Für Musik oder Yoga bleibt kaum noch Zeit. Aber die Liebe ist geblieben. »Christoph kam als Gitarrist zu JFATH« und hatte sich sofort in sie verliebt. Der habe einfach nicht lockergelassen und sich dauernd wieder gemeldet. Das habe sie kurz genervt und dann verunsichert. »Der hat wirklich um mich kämpfen müssen. Das war schön« mitten in einer Stadt wie Berlin, in der das Dating vom Ghosting dominiert sei: chatten, treffen, flirten – und sich dann nie wieder melden. Die Herzen blutig ignorieren, Emotionen für aufdringlich halten, keine Nähe mehr zulassen. Sie habe dieses Spiel manchmal mitspielen müssen, aber es sei ihr nie gut bekommen. »Manchmal habe ich mich gefragt, auf was die Männer eigentlich warten? Dass gleich Kate Moss um die Ecke kommt?« Dabei ist Julia Marie Mangold die perfekte Kate Moss. Noch ein letzter Drink in Ruhe, an einem der letzten Sommer-abende in ihrer Lieblingskneipe in der Solmsstraße. Schrammelig und verqualmt, wie es sich gehört. Die Touristen sind laut, am Nebentisch werden Tinder-Dates belabert. Sie kann jetzt noch nicht nach Hause gehen, Christoph bringt gerade den kleinen Carlos ins Bett. Das kann dauern. Sie dürfe jetzt auch nicht stören in der Wohnküche mit Schlafzimmer und Kammer. Da bleibe sie lieber noch ein wenig im Ernst. Auch, wenn sie - ehrlich gesagt - ihren Sohn jetzt schon wieder ein bisschen vermisst. »Das Schönste ist diese unendliche Liebe, die man so einem kleinen Wesen gegenüber empfindet.« Und dass man nicht mehr so viel über sich selbst und alles andere nachdenken muss. »Irgendwann«, meint Julia Marie Mangold und sieht ein bisschen melancholisch aus dabei, »ist das alles ja schon so lange her.« |