Oktober 2023 - Ausgabe 253
Mühlenhaupts Erinnerungen
Vom Kreisel von Kurt Mühlenhaupt |
Frau Kressmann-Zschach ist eine berühmte Architektin. Sie schuf einen gewaltigen Bau, der später im Volksmund »Kreisel« genannt wurde. In den siebziger Jahren ist sie damit in die Schlagzeilen geraten, und das aus vielerlei Gründen. Ihr Mann war der berühmte Bürgermeister von Kreuzberg und hieß Kressmann, auch Texas-Willy genannt. Mit ihm hatte ich schon so manches Fläschchen geleert. Als er nicht mehr gefragt war, ging ihr Stern gerade auf. Sie bekam den Zuschlag für den Kreisel in Steglitz. Er war noch nicht fertiggestellt, da gab er schon seltsame Geräusche von sich. Der Wind pfiff gewaltig um die Ecken, so trug er seinen Namen zurecht. Noch windiger war der ganze Finanzplan des riesigen Vorhabens. Der Bau wurde immer teurer und verschlang langsam das Doppelte von dem, was er einst kosten sollte. Es waren ein paar 100 Millionen, die schon verbaut waren. So kündigte sich langsam eine große Pleite an. Da Frau Kressmann eine Sammlerin meiner Bilder war, bekam ich eines Tages eine Einladung von ihr. Ihre Wohnung lag im ersten Stock in einem Eckhaus vor dem Zoologischen Garten. Ich sah einige meiner alten Bilder wieder. Sie hatte ein herrliches Mittagessen vorbereitet. Danach redeten wir über Kunst. Aber nicht lange, dann waren wir beim »Kreisel.« Erst mal sollte der Kostenvoranschlag möglichst niedrig gehalten werden, damit man mit dem Bau anfangen konnte. Dann meldete sich das Bezirksamt von Steglitz und wollte sich selbst einmieten. Da sich die Kosten aber langsam verdoppelten, kam es zu dieser Pleite. Viel Trara in den Medien folgte. Ein neuer Unternehmer kaufte sich für wenig Geld ein und vollendete den Bau. Ich glaube, es war alles ein abgekartetes Spiel. Verloren hatte dabei keiner was. Die Bauherren konnten ihren Verlust geltend machen und von der Steuer absetzen. Die einzige Geschädigte bin ich, sagte Frau Kressmann-Zschach. »Aber nein!«, erwiderte ich. »Sie bleiben der Baumeister von einem riesigen Brummdriesel in Berlin. Und das ist doch auch was.« |