November 2023 - Ausgabe 254
Geschichten & Geschichte
Die Sammlung von Peter Plewka von Ina Winkler |
Ein Lebenswerk Wann genau Peter Plewka das erste Mal das Antiquariat be-trat, kann der Antiquar nicht mehr genau sagen. Herr Plewka war ein zurückhaltender, stets korrekt gekleideter und sehr höflicher, vor allem aber unauffälliger Mann. »Es kann sein, dass er schon in unserem alten Laden in der Dudenstraße 22 gewesen ist. Dann ist das schon über 33 Jahre her.« Herr Plewka war eine regelmäßige Erscheinung, und als er eines Tages ausblieb, begann der Antiquar nachzuforschen und erfuhr von seinem Tod. Als er mit Peter Plewkas Schwester noch einmal dessen Wohnung betrat, waren die Regale größtenteils schon leer. Was er über viele Jahre zusammengetragen, akribisch beschriftet und geordnet hatte, drohte wieder auseinander zu fallen. Drei Tage hatte das Stadtmuseum alles durchkramt und zehn Kisten abgeholt. Der Rest ging an das Kreuzbergmuseum. Als Gerhard Grosche, Archivar in der Adalbertstraße, den Fundus sichtete, kam er ins Schwärmen. »Alles genau datiert, jeder Ort gekennzeichnet. Bilder, die haben wir noch nie gesehen! Wir möchten ihm im kommenden Jahr eine Ausstellung widmen.« Allein für die etwa 5000 Postkarten aus den Vorkriegsjahren brauchte man 22 neue Behälter, in denen nun - alphabetisch geordnet - sämtliche Kreuzberger Straßen zu finden sind. Die Sammlung ist fünfmal größer als die des Museums. Hinzu kommen vier laufende Meter Bücher, persönliche Fotografien und die Nachkriegssammlung. Plewka wird eine eigene, nach ihm benannte Abteilung im Museum erhalten. Die Geschichte der Sammlung Plewka beginnt in den Sechzigern mit einer Kamera, die der junge Mann geschenkt bekommt, als er Wirtschaftsprüfer bei der AOK am Oranienplatz ist. Er fotografiert Straßen und Häuser der Umgebung. Gleich um die Ecke in der Wiener Straße ist Foto Hansa, wo er einmal in der Woche die Filme entwickeln lässt. Noch heute, sagt die Schwester, gibt es ungesichtete Negative. Plewka fotografierte den Wandel. Er hielt die Spuren fest, die der Krieg hinterließ, dokumentierte Abriss und Neubau. Er muss gestaunt haben, wenn er auf Flohmärkten, wo sich die Nachkriegsbevölkerung mit dem Notwendigsten versorgte, die alten Postkarten sah, auf denen die Straßen noch voller Glanz und Leben waren. So hat ihn der Krieg ein Leben lang begleitet. Neben Postkarten, Büchern und Fotografien stieß er auf der Suche nach der Vergangenheit auch auf ihm bekannte, noch nicht ganz vergessene Namen einst weltberühmter Persönlichkeiten oder Firmen, die mit dem Krieg verschwunden waren. So gesellten sich zu seiner Fotosammlung allmählich Werbegeschenke wie Aschenbecher, Feuerzeuge und Jubiläumsschriften. Sein großes Berliner Zimmer in der Lausitzer Straße 7, in der Plewka über 60 Jahre lang wohnte, wurde allmählich zum Museum. Als er 1995 im Alter von 57 Jahren in Rente ging, verstrich kaum ein Tag, an dem seine Sammlung nicht um zwei, drei Stücke anwuchs. Und es verging kein Wochenende, an dem er nicht auf den Flohmärkten unterwegs war, kein Werktag, an dem er nicht in einem der vielen Berliner Antiquariate vorbeisah, wo man den stillen Sammler schon erwartete. Als Peter Plewka am 25. Oktober 2022 im Alter von 84 Jahren unvermutet starb und seine Schwester damit begann, den Nachlass zu sichten, kramten die Enkel in den Schubladen nach heimlichen Liebesbriefen ihres Großvaters. Es konnte doch nicht sein, dass es im Leben dieses Mannes nur eine Leidenschaft und nie eine Frau gegeben hatte. Doch sie fanden nur Bücher und Fotografien, darunter eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1914, auf der das mit Türmchen, Erkern und halbkreisförmigen Balkonen reich geschmückte Eckhaus Bergmannstraße 52 am heutigen Südstern abgebildet ist. Ein Gruß gerichtet an das »liebe Fräulein Scherwaller« von »ihrem Albrecht«. Und nicht von Peter! Es gab Grüße aus Gregor´s Tropenbar in der Jahnstraße, Aufnahmen der noch autofreien Gneisenaustraße mit den gerade gepflanzten Platanen auf dem Mittelstreifen, ein Pferdefuhrwerk am Hermannplatz, die menschenüberfluteten Dachterrassen des Karstadt-Kaufhauses, eine Schar von Kindern in kurzen Hosen und langen Kleidern vor der Hornstraße 16, die Schuhbesohlanstalt in der Heimstraße Nummer 13 und die Rind- und Schweineschlächterei von Fritz Stiller in der Nummer 16 mit den enthäuteten Rinderleibern im Fenster. Es war die verlorene Zeit, die Peter Plewka in den vielen Jahren des Sammelns und Suchens in seinem Berliner Zimmer zusammentrug. Und jedes neue Sammlerstück war für ihn auch ein Stück Glück. Denn mit jedem neuen Bild, jeder Postkarte kam er seinem Ziel näher: Der Komplettierung der alten Welt. Das haben seine Mitmenschen eigentlich nie verstanden. Ein Glück, dass diese Postkartenwelt des Peter Plewka nun komplett in der Adalbertraße untergekommen ist und nicht wieder in ihre Einzelteile zerfällt. |