Kreuzberger Chronik
Mai 2023 - Ausgabe 249

Strassen, Häuser, Höfe

Die Regina Jonas Straße


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von Ursula Obermüller

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Eine Umwidmung

Eine Straße diesen Namens gibt es nicht. Aber es wird sie sehr bald geben, denn sie muss gar nicht erst gebaut werden. Nur die Namensschilder werden ausgetauscht. Weil der alte Name nicht mehr zeitgemäß ist. Immer wieder entdecken Historiker Schatten auf dem Ruhm Verstorbener.

»Leider«, so schrieb 2021 ein aufgeklärter Kreuzberger, »gibt es in unserem Bezirk immer noch etliche Straßen, die in der Nazizeit umbenannt wurden, so etwa die nach Arminius Riemann oder die nach dem Komponisten des Liedes »Der Gott, der Eisen wachsen ließ«, Albert Methfessel, benannte Straße am Tempelhofer Berg. Diese Straße bietet sich im Besonderen zur Ehrung eines genialen Ingenieurs an, da dort der erste binäre Großrechner der Welt gebaut und in Betrieb genommen wurde. (Konrad Zuse – A.d.R). Doch die Benennung von Straßen ist zur Domäne von in der Politik immer noch wenig einflussreichen PolitikerInnen geworden, und Konrad Zuse ist keine Frau gewesen. (…) Wie lange«, fragt der Autor des Schreibens, »sollen wir, Kinder des Informatikzeitalters, noch warten?«

Das Bezirksamt antwortete: »Vielen Dank für Ihre Nachricht. Wie Sie bereits erwähnt haben, werden derzeit Straßen nur nach Frauen benannt, bis mindestens 50 % aller nach Personen benannten Friedrichshain-Kreuzberger Straßen nach Frauen benannt sind.«

So radikal die Maßname auch ist, so hartnäckig wird sie von Kreuzberger Straßenkämpferinnen auch verfolgt. Nun könnte es deshalb dem Musiker Paul Lincke (Vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 39 vom Juli 2002) an den Kragen gehen, dem Komponisten jenes Liedes von der »Berliner Luft Luft Luft«, das Anfang des 20. Jahrhunderts unbestritten zum Ruhm der Stadt Berlin beigetragen haben dürfte. Lincke ist einer von Vieren, die mittels Votum von Kreuzbergs Bürgerinnen und Bürgern abgewählt werden können. Des weiteren werden die Admiralbrücke, das Planufer und die Kohlfurter Straße zur Löschung vorgeschlagen. Was die Vier miteinander verbindet ist nicht die politische Unkorrektheit der Namensgeber, sondern ihre Nähe zur Synagoge am Fraenkelufer. Dort nämlich hatte auch Regina Jonas einst ihre Predigten gehalten – die weltweit erste Frau, die zur Rabbinerin ernannt wurde.

Kein Zweifel: Regina Jonas verdient ebenso längst eine Straße wie der Erfinder des Computers oder der Erfinder der Berliner Luft. Zumal sie von der Geschichtsschreibung beinahe vollkommen übersehen worden wäre. Erst in den Neunzigerjahren begannen sich Historikerinnen für die Geschichte der ersten jüdischen Predigerin zu interessieren. Eine Geschichte, die noch dazu eng mit Berlin und insbesondere mit Kreuzberg verbunden ist.

Regina Jonas wurde 1902 geboren, wuchs im ärmlichen Berliner Scheunenviertel auf, besuchte aber dennoch das Gymnasium und begann im Alter von 22 Jahren an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zu studieren. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, Predigerin zu werden, obwohl diese Tätigkeit eigentlich ausschließlich Männern vorbehalten war. Jonas aber vertrat die Ansicht, dass gerade »Frauen mit ihren Qualitäten wie Mitgefühl und anderen sozialen Fähigkeiten besonders als Rabbinerinnen geeignet seien«, wie die Religionswissenschaftlerin Katharina von Kellenbach zitiert. Sie war es, die sich in den 90ern erstmals auf die Spuren von Regina Jonas begab. Nicht nur, weil über die erste jüdische Predigerin bis dahin noch nichts veröffentlicht worden war, sondern auch aus ethischer Überzeugung. »Ich habe das damals als eine Art Reparationsleistung gesehen, dass ich das Andenken einer der sechs Millionen, deren Andenken ausgelöscht wurde, der Vergessenheit entreiße.«

Von Kellenbach konnte mit ihrer Arbeit nachweisen, dass Regina Jonas trotz eines spürbaren Widerstandes in der konservativen jüdischen Gemeinde 1935 ordiniert und zur ersten weiblichen Rabbinerin wurde. Sie war in Krankenhäusern und Altenheimen tätig und vertrat nach der Reichsprogromnacht jene männlichen Kollegen, die vor den Nazis ins Ausland flüchteten. Vier Jahre zog sie durch die Synagogen und verkündete Gottes Wort, so auch in der Synagoge am Landwehrkanal, bis sie 1942 zur Zwangsarbeit in Lichtenberg eingezogen und im November desselben Jahres nach Theresienstadt deportiert wurde. 1944 wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter in Auschwitz ermordet.

Schon deshalb muss an Regina Jonas erinnert werden, und es würde - abgesehen vom Komponisten Paul Lincke, der sich deshalb auch nicht mehr im Grabe umdrehen wird - niemandes Ehre verletzt, wenn die Admiralbrücke, das Planufer oder eine nach dem Städtchen Kohlfurt benannte Straße künftig ihren Namen tragen würde.

Kritiker jedoch beklagen, dass die Gründe für Umwidmungen von den jeweiligen Ideologien und Vorlieben ständig wechselnder Regierungsparteien abhängig sind, und dass der ständige Namenswechsel verwirrend und mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden sei. Andererseits steht außer Frage, dass auch die wenigen Buchstaben auf unseren Straßenschildern ein Kulturbeitrag sind. Dass aber Persönlichkeiten wie Konrad Zuse aufgrund ihres Geschlechtes noch einmal hundert Jahre warten sollen, könnte von männlichen Kritikern als Diskriminierung interpretiert werden. Zudem stellt sich die Frage, ob es ein Fortschritt ist, wenn wieder nur das Geschlecht und nicht die Lebensleistung den Ausschlag gibt. •

Die Synagoge am Fraenkelufer


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