Kreuzberger Chronik
Mai 2023 - Ausgabe 249

Herr D.

Der Herr D. und die Käseglocke


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von Hans W. Korfmann

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Erinnerungen an Klaus Wowereit

Der Herr D. wollte Pita essen beim Griechen in der Markthalle. Da traf er seine ehemalige Nachbarin. »Ach, Herr D., Sie habe ich aber lange nicht gesehen!«, rief sie und fügte frei nach Brecht hinzu: »Sie haben sich ja überhaupt nicht verändert!« Der Herr D. lächelte nachsichtig und sagte: »Ich glaube, Sie sind kurz vor dem Erblinden.«

Edith arbeitete jetzt in einem kleinen Restaurant am Stadtrand. Kürzlich sei Klaus Wowereit zu Gast gewesen, »unser Ex. Der war eigentlich ganz nett. Ein bisschen alt sieht er aus«, sagte Edith.

Sie plauderten und aßen Pita. Dann spazierte der Herr D. zum Tempelhofer Feld. Im Flüchtlingslager herrschte Hochbetrieb. Alle Container waren bewohnt, Blumen standen am Fenster, Wäsche trocknete in der Sonne. Ein Handwerker erzählte, dass 30 Kinder aus der Ukraine eingetroffen seien, ohne Eltern, ohne Verwandte, allein. Beim letzten Spaziergang waren die Container noch leer gewesen.

Die Welt ist nicht besser geworden, dachte der Herr D.

Auf der Suche nach einem Kaffee lief er zum Biergarten, aber der war geschlossen. Ein Radfahrer stand davor und sagte: »Die von Grün-Berlin haben die Pacht nicht verlängert und das Ding neu ausgeschrieben! Möchte nicht wissen, wieviel Miete die jetzt haben wollen! Wahrscheinlich gibt’s hier in Zukunft nur noch Veggis und Eichelkaffee!« Der Herr D. dachte zurück an lange Sommernächte mit Fußball auf einer großen Leinwand und Bier und Brezeln.

Die Welt ist nicht besser geworden, dachte der Herr D.

Er wanderte weiter in Richtung Tempelhofer Damm, wo zwei Bagger lange Gräben aushoben. Der Herr D. trat näher und der glatzköpfige Baustellenleiter brummte: »Fall´n Se mir da bitte nicht rein, junger Mann. Wir haben uns schon oft genug gebückt heute!« – »Neue Leitungen?«, fragte der Herr D. »Wasser«, sagte der Baustellenleiter. »Für das Theater, das herkommen soll?« – Der Mann nickte und breitete die Arme aus. »Das alles hier!«, sagte er. Der Herr D. staunte.

»Da staunen Se, wa?«, fuhr der Rohrleger fort. »Ich sag´s Ihnen: Ein einziges Theater ist das hier! Erst Wohnblöcke, dann Bibliothek, jetzt Theater. Hauptsache, wir legen Leitungen. Die braucht man immer. Dann kann kommen, was will. Der neue Bürgermeister hat schon gesagt, dass er bauen will. Und die SPD will hier ja schon seit 20 Jahren bauen. Wowereit und so...«, sagte der freundliche Rohrleger.

»Die Welt ist nicht besser geworden!«, sagte der Herr D. und dachte an Wowereit, der immer sagte, die Berliner würden am liebsten eine Käseglocke über Berlin stülpen, damit es bleibt, wie es ist. Der Herr D. fand die Idee mit der Glocke gut. Vielleicht war ja Wowereit inzwischen alt genug, um zu verstehen, dass früher wirklich alles besser war.


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