Kreuzberger Chronik
März 2023 - Ausgabe 247

Kreuzberger
Peter Katsarski

Den Jungen fehlt der schwarze Rand unter den Fingernägeln


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Privat

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Er ist Wahlkreuzberger. Einer aus Überzeugung. Nicht einer, der sich erst nach dem Fall der Mauer traute, seinen Fuß in die Stadt zu setzen, sondern einer, der in Berlin geboren ist, wenn auch im feineren Wilmersdorf. »Mein Vater war der Zahnarzt, jeder Zweite auf der Straße grüßte mich, und meine Mutter war immer darauf bedacht, dass wir ordentlich gekleidet waren.« Auch auf Bildung legte man Wert bei den Katsarskis, noch heute spielt der Sohn am Flügel Beethoven.

Nach den Wilmersdorfer Jahren kamen die Charlottenburger, aber auch da waren die Leute für einen Individualisten zu durchschnittlich. In Kreuzberg fühlte er sich wohler, »die netten Türken, die Kneipen, Konzerte in der Junction Bar, die mediterranen Speisekarten der Restaurants, die Tische auf den Straßen…« - ein bisschen etwas von der südlichen Art des Vaters, der als Medizinstudent aus Bulgarien angereist war, hat der Sohn des Zahnarztes mitbekommen auf den Lebensweg. Kreuzberg gefiel ihm, und als er vor etwa 25 Jahren die Frau seines Lebens traf, zogen die beiden um.

»Ich bin durch Kreuzberg gelaufen und habe mir den höchsten First ausgesucht. Ich wollte niemanden vor der Nase haben.« Peter Katsarski steht vor der Panoramascheibe und blickt über die Dächer Kreuzbergs. Er ist Architekt, hat Häuser, Läden, Hotels gebaut, er liebt das Umbauen und Anbauen. Also hat er noch zwei Etagen auf das Haus mit dem hohen Giebel gesetzt. Seinen Kunden sagt er: »Ich baue ihnen ein Haus, von dem Sie noch nicht wussten, dass sie das gewollt haben.« Sein eigenes Haus hat er genau so gewollt.

Doch kaum hatte er sein Auto vorm neuen Heim geparkt, wurde es rundum mit Farbe besprüht. Ein paar Wochen später war die Scheibe eingeschlagen. Obwohl er weder Schlips noch Anzug trug und einer ist, der mit jedem am Tisch sitzen kann. Doch die Liebe zum Automobil machte ihn verdächtig. 15 Jahre hat er an einem Oldtimer herumgeschraubt. Länger als an der Modelleisenbahn, die eher eine schneebedeckte Modellstadt ist, eine Traumlandschaft mit Fachwerkhäusern und winzigen Autos auf der Straße - darunter ein höchstens zwei Zentimeter langes Serviceauto für Rallyesportwagen, eine fahrende Werkstatt. »Das hab ich aus drei anderen zusammengebaut und eingerichtet, man kann sogar reinschauen…« Peter Katsarski ist ein Tüftler, ein Bastler, ein Ingenieur, ein Spieler. Er kann Jahre mit einer Idee zubringen, jahrelang daran bauen. »Sinn der Übung ist, dass es nie fertig wird. Wenn es fertig ist, ist es vorbei.«

Vielleicht hätte auch ein guter Zahnarzt aus ihm werden können. Der Junge besaß Fingerspitzengefühl. »Aber dieses viele Blut war nichts für mich.« Zum Leidwesen des Vaters interessierte sich Peter überhaupt nicht für die Zahnmedizin. Eher für Autos.


Foto: Privat
Peter mit der gestrengen Mutter

Dem Urgroßvater hätte die Vorliebe seines Urenkels für Pferdestärken gefallen. Er war Besitzer eines Tattersalls, einer Pferdestation, gewesen und Deutscher Meister im Reit- und Wagensport. Er manövrierte sechs PS durch den Parcours und besaß später eines der ersten Automobile in der Stadt. Peters erstes Auto stand eines Tages unter dem Weihnachtsbaum, »ein kleines rotes Tretauto mit Scheinwerfergläsern aus echtem Glas. Ich hab es jeden Tag geputzt, es glänzte immer wie neu und hatte keine einzige Beule.« Peter war drei Jahre alt, aber er steuerte das Auto so schnell zwischen Stühlen und Türen hindurch, dass die Sonntagsgäste des Zahnarztes die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und »Vorsicht!« riefen. Woraufhin die sonst so preußische Mutter nicht ohne eine Spur von Stolz beschwichtigte: »Ach, das schafft der!«

Als er ein Fahrrad bekam, fuhr er zur Avus und stand auf den Pedalen, um über die Brüstung schauen zu können, wenn Autorennen stattfanden. Auf der Tribüne hat er nie gesessen, »Ich verstehe bis heute nicht, warum man an einer geraden Strecke steht und zusieht, wie Autos vorbeifahren!« Das einzig Spannende am Rennfahren sind die Kurven. Die Avus hatte davon nur zwei!

Trotzdem beschloss Peter, Rennfahrer zu werden, und wenn man den 15jährigen fragte, was er einmal für ein Auto haben wolle, sagte er: »Einen VW-Variant mit Anhängerkupplung.« Um mit dem Anhänger seinen Rennwagen zur Strecke transportieren zu können! Die Eltern dachten, dass die Autorennen nur die vorübergehende Leidenschaft eines Pubertierenden waren und boten ihm Alternativen. Er wurde Skifahrer, Segler, Turniertänzer, aber er verlor bei alledem nie sein Ziel aus den Augen: Er wollte Rennen fahren. »Alles andere waren nur Ersatzhandlungen.« Als die erste Frau im Leben des Sohnes ausgerechnet die Tochter eines Rennfahrers war, sahen die Eltern ein, dass Peter nicht auszubremsen war. Die Mutter zuckte mit den Achseln und sagte: »Die Macke hat er vom Großvater.«

Dennoch spendierten die Eltern, als er seinen Führerschein bekam, das Benzin für den 365er Porsche, den er sich zusammengespart hatte, wenn auch nur unter der Bedingung, dass er damit keine Rennen fuhr. Peter hielt das Versprechen und saß nie selbst am Steuer dieses Autos. Aber er saß daneben - als Beifahrer im Rallye-Wagen.

Mit 21 erhielt er die Fahrerlizenz und ging selbst an den Start. »Aber ich war Student, ich hatte kein Geld und musste aufpassen, dass mir niemand mein Auto kaputtfuhr.« Deshalb startete er auf Bergrennen, reinen Zeitfahrten, »da ist niemand sonst auf der Strecke. Da kann einem auch niemand reinfahren.« Von fünf Starts gewann er vier. Katsarski war nicht aufzuhalten. Er stieg in die Formel Ford ein und fuhr nach Norfolk, um sich seinen Lola T- 540 E persönlich abzuholen.

Zehn verschiedene Rennwagen besaß Katsarski und eine Garage, in der er schraubte und feilte, als handele es sich um das Spielzeugauto einer Modelleisenbahn - nicht um ein Auto, mit dem man sich in Sekundenbruchteilen ins Jenseits befördern konnte. 1975 stieg er in die Formel 3 ein, in der man noch umbauen und anbauen durfte. Und Katsarski baute nach Herzenslust an und um. Anbauten und Umbauten sind seine Spezialität. In der Startaufstellung kam die Konkurrenz und sah sich an, was er wieder ausgetüftelt hatte, im Fahrerfeld munkelte man von der »Katsarski-Lösung«. Und als 1989 die Berliner Mauer fiel, erhielt er ein Angebot aus Rüsselsheim, bei Opel-Lotus als Teamchef einzusteigen. »Zehn Jahre früher hätte ich zugesagt!«

Andererseits hing er an Berlin. Obwohl es lästig war, wenn er mit dem Transporter über die Grenze musste. Er hatte einen elf Meter langen Zwölftonner zum Werkstattauto umgebaut und die Federn gestutzt, damit das Auto laut KFZ-Brief kein Lkw mehr war und damit er überhaupt ans Steuer durfte. Einmal war sein kleiner Sohn dabei. Als der Vopo ins Auto stieg und die Schlafkoje untersuchen wollte, rief der Sohn: »Schuhe aus! Ich muss auch immer die Schuhe ausziehen! - Der Grenzer ist gleich wieder ausgestiegen.«

Mit seinem Werkstattwagen stand er in Zolder oder auf dem Salzburgring, wo er als 7. vor dem Österreicher Gerhard Berger ins Ziel kam, einem mehrfachen Formel-1-Sieger. Mika Häkkinen, der öfter in der Nähe von Katsarskis Wohnmobil zeltete, reichte er heißes Wasser für den Tee. »Der saß öfter bei mir, aber ich hätte nie gedacht, dass der mal Weltmeister werden würde.« Auch bei Michael Schumacher hat Katsarski das fahrerische Talent nicht gleich erkannt. »Aber der Weber, sein späterer Manager, hat das sofort gesehen. Der hat ein gutes Geschäft gemacht mit Schumacher. Der bekam jedes Mal 15%.«



Foto: Privat
Peter Katsarski mit dem dreifachen Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart

Sport war schon damals ein Geschäft, doch Peter Katsarski hat nichts daran verdient. Obwohl er 1979 Berliner Meister und Deutscher Vizemeister in der Formel Ford war, und obwohl er den 4. Platz beim Formel 3 EM-Lauf in Hockenheim belegte, als bester Privatmann hinter den Werkteams. Er ließ sich nicht kaufen. Aber er gründete mit anderen Fahrern unter der Schirmherrschaft des ADAC das Victory-Team. Fast 30 Jahre lang war er Vorsitzender, stand mit der österreichischen Skilegende Franz Klammer vor der Kamera. Katsarski war prominent, wer einen Architekten brauchte, suchte nach »Katsarski, dem Rennfahrer. Der Rennfahrer war meine beste Werbung!«

Die Journalisten mochten ihn. Katsarski war anders, stand im Pullover vor dem Mikrophon, während die andern »alle noch ihre blauen Blazer trugen«. Katsarski konnte reden, und nicht nur über Autos. Er war der Außenseiter, der »Eigenbrötler«, der tagelang in der Garage herumschraubte und im Leben noch keine einzige Zigarette geraucht hatte. Der sich die demolierten Plastikverkleidungen der Kollegen aus dem Müll fischte, sie wieder in Form brachte, einen Abdruck nahm und neue Teile herstellte, um sie weiterzuverkaufen. Irgendwie musste er sein Hobby finanzieren!

Neun Jahre fuhr Katsarski in der Formel 3, in der die Werkteams ein Jahresbudget von 850.000 Euro zur Verfügung hatten. »Ich bekam höchstens 30.000 zusammen«. Immer wieder schied er mit Getriebeschaden aus, weil er sich keine neuen Zahnradsätze leisten konnte, immer wieder ging er mit gebrauchten Reifen an den Start, und immer wieder blieb der Motor knapp vor der Ziellinie stehen, während die Motoren der Kollegen erst hinter der Ziellinie schwiegen. Und doch ist er so etwas wie ein heimlicher Gewinner: Es gab niemanden mit so wenig Geld so weit vorne im Feld wie den Berliner Katsarski. Und es gab nur wenige, die so selten von der Strecke abkamen.

Dieser Mann war vorsichtig. Und doch brauchte auch er Glück im Unglück. »In Zolder zum Beispiel: Wenn ich das Rad eine Kurve vorher verloren hätte, wäre ich tot gewesen.« Nicht alle hatten dieses Glück. Stefan Bellof, sein Freund, kam ums Leben. Und noch heute verfinstert sich Katsarskis Blick, wenn er an die Rauchwolke denkt, aus der Gilles Villeneuve nicht mehr herauskam. »Man spürt sofort, wenn etwas Schreckliches passiert ist.«


Der Architekt Katsarski im Lesezimmer über den Dächern von Kreuzberg

Er weiß nicht, was ihm wichtiger war: Fahren oder Bauen. »Sinn der Übung jedenfalls ist es, nicht fertig zu werden.« Hätte er gewonnen, hätte er vielleicht aufgehört. So konnte er ewig einem fernen Ziel nachjagen. Es war nicht der Sieg, nicht der Rausch der Geschwindigkeit, der ihn vorantrieb, auch nicht das Prickeln in den Kurven, wenn man am Limit fährt. Auch nicht die Liebe zum Schrauben allein. »Es war immer die Mischung, die mich reizte!« Die Mischung aus Technik und Ästhetik, aus Mensch und Maschine. »Ich kannte jedes Teil am Auto mit Vornamen. Und jedes dieser Teile, wenn es von der Drehbank kommt, ist schön. Da braucht man keine Chromleisten.« Heute sind die Autos fahrende Computer, und den jungen Fahrern »fehlt der schwarze Rand unter den Fingernägeln.«

Eines Tages kam einer, stellte sich vor sein Auto und sagte: »Damit kannst du nicht gewinnen. Du brauchst einen Chip für die Einspritzpumpe. Und einen zweiten fürs Wetter… . Am Ende waren es vier Chips, und jeder sollte 9000 Euro kosten. Da bin ich ausgestiegen.«

An den Häusern baut er weiter. Und an den Modelleisenbahnen. Oder er poliert seinen Oldtimer in der Garage. Die Pokalsammlung im Regal. Die Spielzeugautos auf dem Schreibtisch. Er behandelt sie alle noch genauso ehrfürchtig wie einst sein rotes Tretauto. •





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