Kreuzberger Chronik
März 2023 - Ausgabe 247

Geschichten & Geschichte

Johann Georg Halske


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von Werner von Westhafen

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Auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße findet sich ein großes Familiengrab mit der Büste des Feinmechanikers Johann Georg Halske. Die Arbeit des Bildhauers Julius Moser, dem die Kreuzberger auch die steinernen Fischer auf der Brücke am Halleschen Tor oder das Denkmal Adelbert Chamissos zu verdanken haben, zieht die Blicke vieler Friedhofsbesucher an, doch die wenigsten können mit dem Namen Halske etwas anfangen. 120 Jahre lang jedoch war der Name untrennbar verbunden mit dem eines berühmten Großindustriellen. Erst mit der Gründung der Siemens AG im Jahre 1966 verschwand Halske aus dem Briefkopf. Bis dahin sprach die Welt von Siemens & Halske.

Auch wenn der Name lange nachklang: Über den Handwerker an der Seite des genialen Erfinders ist wenig geschrieben worden, und während die Erben des Weltkonzerns in ihren Jubiläumsschriften die Produkte aus dem Hause Halske & Co als »Meilenstein auf dem Weg zum Global Player« bezeichnen und von einem »Wilhelminischen Start-up« schwärmen, erscheint Halske in den Firmenanalen als komischer Kauz, der sich just in dem Moment zurückzog, als Siemens mit der Erfindung der Dynamomaschine der Durchbruch gelang. »Dem passionierten Handwerker«, heißt es auf Siemens.com, »war der zunehmend auf Effizienz und Expansion getrimmte Betrieb fremd geworden.« Tatsächlich stieg Halske zwanzig Jahre nach der Gründung des vermeintlichen Startups in einem Kreuzberger Hinterhof wieder aus.

Während Siemens sich von Beginn an um den finanziellen Erfolg des Unternehmens bemühte, indem er nach technischen Innovationen und lukrativen Aufträgen Ausschau hielt, kümmerte sich der Handwerker um deren perfekte Ausführung und industrielle Reife. Diese erfolgreiche Aufgabenteilung manifestierte sich auch im Hinterhof der Schöneberger Straße 19, wo Siemens im Erdgeschoss wohnte und Halske in der zweiten Etage - zwischen ihnen als Puffer die Betriebswerkstatt.

Zehn Jahre lang funktionierte die Kombination, doch 1857 gab es die ersten Differenzen zwischen den ungleichen Geschäftspartnern. Siemens wollte die Produktion steigern, indem er Akkordarbeit einführte. Halske war dagegen, nicht nur aus Menschenfreundlichkeit, sondern auch, weil er um die Qualität seiner Arbeit fürchtete. Es kam zum Streit zwischen dem profitorientierten Unternehmer und dem kunstvollen Handwerker, woraufhin Siemens unmissverständlich klarmachte, wer der Herr im Hause war: »Die Preise sind für Künstlerarbeit zu gering, und die Herren Künstler faulenzen zu sehr…« Am Ende bietet Siemens seinem Compagnon einen Kompromiss an: Eine kleine Erfinderwerkstatt für Halske, in der er nach Herzenslust tüfteln und basteln könne, sowie eine zusätzliche Telegraphenfabrik, »in der Akkordarbeit allgemein eingerichtet wird.«

Johann Georg Halske lenkte ein, doch missfiel ihm die Entwicklung der Firma. Johann Georg, der Sohn eines Hamburger Zuckermaklers, war elf Jahre alt, als die Familie der in Berlin ansässigen Zuckerbarone wegen von der Alster an die Spree zog. Der Junge besuchte das legendäre Gymnasium Zum Grauen Kloster, doch Johann Georg war kein Theoretiker: Nach drei Jahren wechselte er von der Schulbank an die Werkbank eines Maschinenbauers in der Ritterstraße, wenig später arbeitete er für den Präzisionsmechaniker Hirschmann. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche kehrte er zurück nach Hamburg, wo er Messinstrumente für die Sternwarte in St. Petersburg baute, bis er 1843 wieder in Berlin auftauchte und mit Friedrich M. Boetticher eine eigene Firma gründete.

Der Theorie allerdings hatte er mit dem Verlassen des Grauen Klosters nicht für immer den Rücken gekehrt, 1845 war er Mitglied der Physikalischen Gesellschaft von Berlin, zu der neben Helmholtz und Virchow auch der Artillerie-Offizier Werner Siemens gehörte, ein Nachrichtentechniker, der sich mit der Idee eines Zeigertelegraphen zum Übertragen von Nachrichten beschäftigte. Halske war von der waghalsigen Idee nicht sonderlich überzeugt, woraufhin Siemens, wie er später erzählte, »aus Zigarrenkisten, Weißblech, einigen Eisenstückchen und etwas isoliertem Kupferdraht« einen Prototypen herstellte, der zu funktionieren schien. Mit ihm sprach er bei Halske & Boetticher vor. Siemens Zigarrenkiste »enthusiasmierte Halske so sehr, dass er sich mit größtem Eifer der Ausführung der ersten Apparate hingab.«

Halske gelang es, die Apparate zur Serienreife zu bringen. Siemens lieh sich von seinem Vetter 6800 Taler und mietete für 300 Taler einen Hinterhof am Anhalter Bahnhof. Eine Woche nach der Gründung von Siemens & Halske meldeten die beiden am Patentamt in der Gitschiner Straße ihren Zeigertelegraphen an. Zwei Jahre später legten sie eine unterirdische Leitung von Berlin nach Frankfurt, 1870 verbanden sie London und Kalkutta mit einem 11.000 Kilometer langen Telegraphenkabel. Siemens baute elektrische Lokomotiven, eine Lampe mit metallenem Glühfaden und einen Tischfernsprecher. Bei all diesen Aktivitäten blieb der ehemalige Leutnant dem Militär verbunden. Während Halske in seiner Werkstatt an Telegraphen bastelte, verlegte Siemens Minen im Kieler Hafen, um die Dänen fernzuhalten, mit denen man im Krieg lag.

Das alles ärgerte den Feinmechaniker. 1867 gab Halske die Zusammenarbeit auf, sein Kapital allerdings beließ er in der Firma. Er arbeitete als Stadtverordneter und Stadtrat, engagierte sich für den Bau des Kunstgewerbemuseums und wurde stellvertretender Direktor im heutigen Gropiusbau. 1888 verlieh Friedrich III. Siemens den Adelstitel, zwei Jahre später starb Johann Georg Halske - noch ungeadelt. Und während der Name Siemens noch heute durch die Welt geistert, ist das Grab seines Kollegen fast vergessen. •


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