Kreuzberger Chronik
März 2023 - Ausgabe 247

Herr D.

Der Herr D. stimmt ab


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von Hans W. Korfmann

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Der Herr D. trat aus der Haustür, und da saß er schon wieder: Der Nachbar mit den Jesuslatschen und dem Holz auf dem Balkon. »Na, Herr D., waren Sie gerade wählen?« - »Genau das haben Sie mich doch das letzte Mal schon gefragt, Herr Nachbar!«, sagte der Herr D. und beeilte sich, weiterzukommen.

»Ja, aber da hatte ich Ihnen doch hinterher lang und breit erklärt, warum Sie wählen gehen müssen! Müssen! Weil sonst die CDU wieder rankommt, oder noch schlimmer… -«

»Und ich habe Ihnen doch schon das letzte Mal gesagt, dass ich keine Lust habe, immer nur das kleinste Übel zu wählen. «

»Ich weiß, Herr D., und ich verstehe Sie auch. Ich mag diese Politiker ja auch nicht. Und ich ärgere mich genau wie Sie über eine Außenministerin, die allen Ernstes meint, dass wir einen Krieg gegen Russland führen! Und dann behauptet, es sei nur ein Versprecher gewesen. Wer glaubt ihr das noch?«

»Na sehen Sie!«, sagte der Herr D.

»Aber so ist das eben heute. Politiker sind hauptberuflich damit beschäftigt, Karriere zu machen und ihre Gegener zu diffamieren. Und wenn ein gegnerisccher Kopf rollt, dann grölen sie auf dem Fußballplatz. Das sind doch keine Leute, die einen Staat führen können!«

»Und Sie meinen also, ich soll trotz alledem solchen Leuten meine Stimme geben und ihnen auch noch einen gutbezahlten Arbeitsplatz vermitteln?« - Der Herr D. schüttelte den Kopf.

»Selbstverständlich! Sie sprechen doch immer von der Wahl des kleinsten Übels. Aber das ist doch besser als gar nichts. Sie können doch mit der Wahl des kleinen Übels ein größeres vermeiden. Das macht doch einen Unterschied.«

»Atombombe statt Wasserstoffbombe!«

»Sie sind stur, Herr D. Selbst selbst so eine Wahl zwischen Atom und Wasserstoff würde doch am Ende ein paar Leben retten!«

Der Blick des Herrn D. fiel auf die nackten Füße in den Sandalen des Gesprächspartners. Er sagte: »Sie reden schon wie ein Politiker. Und ich dachte, Sie wären ein echter Hippie. Und Sie wären das gewesen, der diesen Spruch da an die Wand gesprüht hat.«

» Welchen Spruch?«

»Fuck Putin! Fuck die Nato!«

Der Nachbar nickte und lachte. »Ja, der hätte von mir sein können. Aber jetzt sagen Sie endlich: Waren Sie wählen oder nicht?«

Der Herr D. grinste. »Aber das war das letzte Mal, das sage ich Ihnen! Ich bin nur gegangen, weil ich gegen den Krieg stimmen wollte. Ich wollte eine Partei wählen, die nicht in dieses Kriegsgeschrei einstimmt und keine Waffen liefern möchte, in kein Land dieser Welt, erst recht nicht nach Russland oder in die Ukraine.« •


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