Kreuzberger Chronik
Juni 2023 - Ausgabe 250

Strassen, Häuser, Höfe

Die Seifenhöfe


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von Ina Winkler

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Die Seifenhöfe - Zossener Str. 55-58
Es gibt eine alte Aufnahme von der Zossener Straße, da sieht man am rechten Bildrand weit entfernt und sehr klein noch die Brandwand mit der Reklame: Herrmann Seifen. Der Fotograf stand an der Ecke zur Fürbringer Straße und fotografierte in Richtung der Heilig-Kreuz-Kirche. Vor der hohen Wand am südlichsten Gebäude des Hofes erkennt man auf der Postkarte den Eingang zu einem Park oder einem zur Fabrik gehörenden Garten.

Auch auf dem historischen Briefkopf des Seifenfabrikanten sieht man noch den Gartenzaun an der Zossener Straße, hinter dem sich die Grünanlage mit dem Springbrunnen befand. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, lagen unter Bäumen die Friedhöfe, und über den Dächern der Seifenhöfe wehten feierlich die dunklen Rauchfahnen. Den Verheißungen der Industrialisierung stand nichts im Wege, an Klimaschäden war damals noch nicht zu denken.

Rudolf Herrmanns Briefkopf ist zu entnehmen, dass er seine ersten Seifen bereits 1851 produzierte. Die Seifenfabrik mit dem Hof und den verschiedenen Gebäuden und Produktionsstätten allerdings entstand erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den lebensfrohen Zwanzigerjahren dürfte sich der kleine Laden mit seinen »exclusiven Seifen und Parfums« gleich neben der Toreinfahrt eines regen Besucherandrangs erfreut haben.

Im Angebot waren »Toilettenseifen und Parfumerien« sowie »Kosmetische Artikel« für die Damen und »medizinische Kokosseifen« für die ganze Familie. Geworben wurde mit »umfangreicher Fabrikation von Seifen jeder Art für Haushalt und Industrie« und einem »Versand nach allen Ländern.« Damit die Berliner auch wussten, in welchen Ländern man sich mit Seife aus Kreuzberg wusch, druckte Herrmann hübsche Sammelkarten, auf denen neben der Seifenwerbung auf der Rückseite wie in einem geographischen Lexikon die Eckdaten eines jeden Exportlandes festgehalten wurden. Zum Beispiel Nordamerika: 45 Millionen Quadratkilometer, mehr als doppelt so gross wie Europa, mit 105 Millionen Einwohnern... Kleine Sammler schafften sich mit den in Zigarrenkisten aufbewahrten Kärtchen des Seifenmachers ein geographisches Nachschlagewerk an.

Mit der Machtergreifung der Nazis verlieren sich die Spuren Herrmanns. Es blieb die Elite-Automobilfabrik, die bereits 1917 auf dem Hof »Elektro-Lastwagen, Elektro-Schlepper und Elektropersonenwagen aller Art« produzierte. Es ist anzunehmen, dass auch Militärfahrzeuge entstanden. So gerieten die Höfe ins Visier der Alliierten, einige Gebäude fielen im Krieg den Bomben zum Opfer.

Andere Zeiten brachen an: Vermittelten die alten Seifenhöfe noch den Eindruck von Weitläufigkeit und Weltoffenheit, kämpfen neuzeitliche Investoren in ihren Bebauungsplänen um jeden Meter. Die Enge wirkt bedrückend, die Monumentalität der Gebäudekomplexe erschlagend. Selten wird die viel zitierte Verdichtung deutlicher als hier.

Die neuen Besitzer der Immobilie sehen das anders und werben mit einem »attraktiven Berlin-Standort: Ruhig und doch zentral, rundherum beste Infrastruktur – Kreuzberger Flair inklusive.« Sie locken mit der Nähe zur »beliebten Bergmannstraße« und »Open Space«, mit »Meetingräumen sowie einer großen Küche....« Anschließend schwärmen die Makler von der Markthalle am nahegelegenen Marheinekeplatz und der internationalen Gastronomie »rund um den berühmten Bergmannstraßenkiez«.

Dass der Ort ein idealer Nährboden für Kreativität ist beweisen »Legenden der Popkultur wie David Bowie, Iggy Pop und Tangerine Dream«. Sie alle sollen sich »hier die Klinke in die Hand« gegeben haben, behauptet der Werbetext. »Kreativität, Unternehmergeist und frisches Denken erfüllen die Fabrik bis heute – wie der bunte Branchenmix unserer Mieter beweist.«

Doch Bowie ist tot, und schon 2007, als der Senat die GSG aufgab und das Gelände an die Orco Property Group verkaufte, gab es kaum noch Künstler in den Höfen. Ernst Volland und Heinz Krimmer von der Bildagentur Voller Ernst gehörten zu den letzten wirklichen Kreativen. »Als wir einzogen, gab es noch einen Bildhauer und ein Design Büro auf den Höfen. Und eine Druckerei. Der Rest waren irgendwelche Startups. Die mieteten ganze Etagen und blieben genau zwei Jahre. Dann gingen die Fördergelder aus und sie zogen wieder aus.«

Aus der angepriesenen bunten Mischung ist eine monotone Bürolandschaft geworden. Auch die Druckerei mit ihren schweren Maschinen musste umziehen. Man wolle, so die offizielle Begründung, keine Produktion mehr auf den Höfen. Man wollte saubere, gut zahlende Büros. Auch Voller Ernst erhielt nach 15 Jahren überraschend die Kündigung. »Drei Monate vorher hatte man uns noch einen Untermietvertrag gegeben!« Nun ließ man ihnen gerade mal drei Monate Zeit, um ihre Sachen zu packen. »Und nachdem wir draußen waren, stand das Ding dann über ein Jahr lang leer!«

500 Fotografen waren bei der Agentur. Hier wurde die großartige Ausstellung über Jewgeni Chaldej im Gropiusbau geplant, der Fotograf Wolfgang Krolow gehörte zum Team. Jetzt sitzen hier Firmen wie Medici Living oder Inolares - Vertreter der Immobilienbranche.


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