Juli 2023 - Ausgabe 251
Reportagen, Gespräche, Interviews
Die Zweite Runde von Hans W. Korfmann |
Es war still geworden um das Feld zwischen Tempelhof und Kreuzberg nach der 1. Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 2021. Seit die Grünen im Wahlkampf versprochen hatten, Berlins größte Spielwiese »einfach mal so zu lassen wie sie ist«, war in den Berliner Medien nichts mehr von den Bauplänen der SPD zu lesen oder zu hören gewesen. Doch noch bevor die Koalitionsverhandlungen nach der für die CDU so glücklichen Wiederholungswahl im März 2023 abgeschlossen waren, verkündete der Tagesspiegel, dass SPD und CDU sich auf die Bebauung des Feldes geeinigt hätten und titelte: »Schneller Wohnraum für Tausende« und präsentierte umgehend gleich »Drei Entwürfe für das Tempelhofer Feld.« Um zu bauen, müssten die Parteien allerdings einen neuen Volksentscheid auf die Beine stellen und dazu erst einmal ein Volksbegehren in die Wege leiten, obwohl es sich hier eher um ein Politikerbegehren als um ein Volksbegehren handelt. Oder aber sie müssten auf ebenso wenig demokratische Weise das von den Bürgern initiierte Tempelhofgesetz zum Schutz der Natur aushebeln. Ebenfalls eine wenig populäre Maßnahme. Doch welchen dieser beiden Schleichwege die Politiker auch einschlagen werden: Sie könnten den Kampf gegen das Volk abermals verlieren. Das Feld hat seit dem Volksentscheid 2014 an Attraktivität gewonnen, die Besucherzahlen haben sich verdoppelt, selbst bei Touristen ist der Flughafen bereits beliebter als der Tiergarten oder der Britzer Garten. Hinzu kommt, dass sich auch Städte wie Berlin künftig auf längere Hitzeperioden einstellen müssen und dass die große Wiese von Tempelhof in warmen Sommernächten Kaltluft speichert, um sie tagsüber in die Innenstadt abzugeben. Ärgerlich für die Baulobby! Es könnte also sein, dass die Politik auch in der zweiten Runde wieder als Verlierer vom Platz geht. Und dass, wie es die Grünen versprachen, auf der Wiese alles so bleibt wie es ist. Doch während vor den Augen der Öffentlichkeit noch spekuliert und diskutiert wird, werden heimlich und leise schon die Weichen gestellt, um den Zug endgültig abfahren zu lassen: Wer an den ersten warmen Tagen im April auf das Feld wanderte, um im Biergarten zu sitzen, musste feststellen, dass geschlossenen war. Ein verärgerter Besucher vor verriegelter Theke weiß zu berichten, dass Grün Berlin, die Berliner Parkbewirtschafter, »ein neues Konzept« für die Gastronomie auf dem Feld wolle. »Wahrscheinlich gibt´s künftig nur noch Veggi-Burger und Smoothies anstatt Bier und Bratwurst.« Vorbei, so bedauert er, die langen Abende mit Fußball auf der großen Leinwand oder mit dem Open-Air-Kino und mit den vielen Liegestühlen, die sich rund um den Luftgarten auf der Wiese verteilten. »Das mit dem neuen Konzept stimmt. Wir haben uns auch wieder beworben!«, bestätigt einer der Pächter, die den Luftgarten 11 Jahre lang betrieben haben. Die beiden Olivenbäume, die sie dort pflanzten, haben auch die kalten Winter auf dem Feld gut überstanden und sind groß geworden. »Wir sind eigentlich ganz optimistisch.« Aber die Verhandlungen, fügt er hinzu, könnten dauern. Tatsächlich vergingen Wochen, in denen nichts geschah. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, die Saison in den Biergärten hatte längst begonnen, als die Grün Berlin GmbH auf einem schmalen Din A4 Blatt neben dem ehemaligen Ausschank verkündete, dass die Gastronomie den Sommer über geschlossen bleibe, da das Gebäude renoviert werden müsse. Kein Hinweis auf die nächste Wasserstelle, keine Bitte um Verständnis, kein Vertrösten auf Morgen. Die knappe Mitteilung dürfte Aufmerksamkeit erregt haben. Wenige Tage später wurde der Text des Aushangs verändert und um den Hinweis ergänzt, dass es »noch in dieser Saison ein Ersatzangebot« gebe. Die Strategie ist nicht neu. Bereits 2014 – wenige Wochen vor dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld – schrieb die sonst eher reservierte Morgenpost: »Abgesperrt. Eingezäunt. Unzugänglich. Der große Biergarten auf dem Tempelhofer Feld, nahe dem Eingang am Columbiadamm, ist geschlossen. Ungeachtet des Frühlingswetters und des Sonnenscheins. Kein Bier, keine Cola, kein Eis, kein Steak vom Grill. Ein Saisonbeginn auf Berlins beliebtestem Freizeitgelände sollte anders aussehen.« Die Morgenpost fragte bei Grün Berlin nach und erhielt zur Antwort: »Wann der Biergarten wieder eröffnet, kann derzeit nicht beantwortet werden, da die Rahmenbedingungen zur Fortführung vom Ausgang des Volksentscheids abhängen.« Die senatseigene GmbH sitzt auch in der Feldkoordination, einem aus freien Bürgern und Senatsvertretern gebildeten Gremium, das an jeder Entscheidung zur Entwicklung des Feldes beteiligt werden muss. Doch auch, wenn das Verhältnis zwischen neutralen Bürgern und parteigebundenen Politikvertretern ausgewogen erscheint, setzen sich meist die Ideen Grün Berlins durch. Eine ihrer Ideen scheint es zu sein, die bunte Vielfalt der verschiedenen Akteure auf dem Feld zu homogenisieren. So sieht das neue Gastronomiekonzept vor, die Verantwortung für Speisen und Getränke auf dem Feld künftig einem einzigen Betreiber zu übergeben. Man hört, die Wahl sei auf den Festsaal Kreuzberg gefallen. »Der Grund ist doch klar!«, meint einer der Gärtner auf der anderen Seite des Feldes: »Die haben viel weniger Arbeit mit einem als mit mehreren Pächtern. Außerdem ist es leichter, einen Vertrag zu kündigen als mehrere Verträge. Falls man doch einmal bauen möchte.« Und genau genommen hat das Bauen ja schon begonnen. Waren zuerst nur Zelte auf dem Feld erlaubt, stehen seit kurzem einige relativ robuste Holzwände am Westende. Sie gehören zur Freiluftbühne des ebenso renommierten wie sympathischen Atze-Kindertheaters aus dem Wedding und passen perfekt zu den Kinderzirkuszelten nebenan. Es waren jedoch nicht die Weddinger, die auf der Suche nach einer neuen Spielstätte waren, es waren offensichtlich Vertreter aus der Feldkoordination oder dem Senat persönlich, die auf die Idee kamen, einen temporären Theaterbau auf der Wiese zu errichten und sich auf die Suche nach einem Betreiber für das Luftschloss zu machen. Die Ausschreibung gewann das Atze-Theater, auf dem Programm stehen nun Kästners Emil und die Detektive oder Steinhöfels Rico und Oscar, abends treten Dota oder Die Gorillas auf. Auch einen Zimmermann zur Errichtung des Theaterbaus musste man nicht lange suchen, er saß bereits in der Feldkoordination: Mathias Link. Wer zuerst auf die Idee mit dem Theater kam, ob es der Schreiner oder ein Vertreter des Senats war, ist eine interessante Frage. > Am lautesten bejubelte die FAZ das Luftschloss, sprach von einer »Vorhut städtebaulicher Entwicklung« und schwärmte von einem Prozess »in klassisch antiker Tradition«, als um die kulturellen Zentren mit ihren Theatern und Tempeln allmählich ganze Städte entstanden. Dass hier bereits schon eine ganze Stadt steht und dass das Feld in seiner Mitte so etwas wie die Lunge dieser großen Stadt ist, und dass diese Wiese eine der letzten echten Spielstätten des Volkes ist, kam dem Autor des hessischen Vorzeigeblattes nicht in den Sinn. Am anderen Ende der Landebahn beobachten die Gärtner das Geschehen aus sicherer Entfernung. Rübezahl & Co gehören zu jenen, die als Pioniere schon vor zehn Jahren aufs Feld kamen. Wo sich am Anfang ein paar Tomaten und Rosenstöcke dem Himmel entgegenstreckten, ist längst ein idyllisches Wäldchen entstanden mit Obstbäumen, Weinlauben, hölzernen Bänken, Liegestühlen und Pinwand. Die drei außerordentlichen Gartenvereine namens Rübezahl, Stadtteilgarten Schillerkiez und Allmende-Kontor haben anfangs nur Verträge für ein Jahr erhalten. Der jetzige Pachtvertrag läuft bis 2027. Aber »Stadtplaner denken in Jahrzehnten. Und die Vorzeichen sind eindeutig«, meint einer der ältesten Alternativgärtner. »Als wir hier anfingen, durften wir nur in Kisten anbauen. Nichts sollte hier zu tief wurzeln. Die offizielle Begründung lautete, dass der Boden mit Kerosin verseucht sei. Andererseits gab man uns zum Bewässern das Sickerwasser aus den unterirdischen Speichern des Flughafens, das wahrscheinlich auch nicht sauberer ist.« In den ersten Jahren kamen die staatlichen Feldschütze regelmäßig vorbei, um die Kisten zu inspizieren, doch die Natur lässt sich so leicht nicht zähmen: Irgendwann durchbrachen die Wurzeln die hölzernen Böden der Kisten und drangen ins Erdreich vor. Jetzt wurzeln Kirschbäume, Apfelbäume, Eichen und in der Mitte der Kolonie eine große Linde in der verbotenen Zone. Die Linde kam im zarten Alter von drei Jahren hierher, jetzt ist sie fast volljährig und bereits 10 Meter hoch. Die Linde und ihre Gärtner verfolgen die Aktivitäten Grün Berlins mit Argusaugen. Sie wundern sich, wenn haushohe Maschinen aufgefahren werden, um die Löcher in der Asphaltdecke der Rollbahnen zu stopfen. Die offizielle Begründung: Skater und Radfahrer könnten zu Schaden kommen. »Klar, das ist schick für die Skater. Aber die haben da alles aufgegraben und komplett neu gemacht. Da ist ein halber Meter Unterbau drunter. Den braucht kein Skater und kein Radfahrer. Aber da kann man jetzt auch locker mit Zwanzigtonnern drüberrollen. Und so passieren hier halt ständig irgendwelche merkwürdigen Dinge!«, erzählt ein Feld-Gärtner und dreht sich eine Zigarette. »Vorbereitende Baumaßnahmen. Brückenträger.« Auch die Wasserleitungen zu den neuen Toilettenanlagen geben den Gärtnern Anlass zum Rätselraten. »Es gibt angeblich eine Regel, nach der Grünland sich leichter in Bauland umwandeln lässt, wenn es sich in der Nähe von Strom und Wasserleitungen befindet.« Hellhörige Gärtner hören schließlich auch das Gras wachsen! Doch selbst wenn in dem subtropischen Kleinklima der alternativen Schrebergärten Gerüchte besonders gut gedeihen, so müssen auch nüchterne Chronisten der laufenden Ereignisse auf dem Tempelhofer Feld zugeben: Jede neue Leitung auf dem Feld würde von künftigen Bauherren freudig begrüßt. Die neue Wasserleitung an der Oderstraße macht den Feldbesetzern auch in anderer Hinsicht Sorge: Sie sollen künftig Gemüse und Blumen mit dem städtischen Leitungswasser für 1,69 Euro gießen. Das Nutzwasser, das die Gärtner bislang aus dem hauseigenen Drainagenetz des Flughafens für günstige 40 Cent erhielten, müsse laut Brandschutzverordnung künftig als Löschwasser für das Dachgartenrestaurant auf dem ehemaligen Towergebäude zur Verfügung stehen, das diesen Sommer eröffnet werden soll. So zumindest haben es die Gärtner verstanden. Aber das Wasser als Notfallreserve für den Brandfall zurückzubehalten und ansonsten den Überfluss in die Spree zu leiten, macht keinen rechten Sinn. Die Gärtner haben ihre berechtigten Zweifel daran, dass sie auch als Rentner noch Bohnen oder Tomaten auf dem Feld ernten können. In allen Nutzungsverträgen, die mit den verschiedenen Projekten auf dem Gelände abgeschlossen werden, ist die Klausel enthalten, dass man das Pachtgrundstück im Fall einer Bebauung besenrein zurücklassen muss. Dann soll alles wieder so aussehen wie am 25. Mai 2014. So, als hätte es den denkwürdigen Sonntag des Volksentscheids nie gegeben. Die Pläne der Stadtplaner sind nicht zu übersehen, auch wenn sie unter der Erde liegen. Der Boden für die Zukunft ist vorbereitet. Die Stadt mit ihren Bedrohungen rückt näher und die schöne Illusion einer großen, von Bäumen umstandenen Lichtung in der Mitte der Metropole rückt allmählich in weite Ferne. Störte vor kurzem lediglich das Hochhaus der Keksfabrik von Balsen die Kulisse eines grünen Saumes aus Bäumen, der das Feld umgab, so ragen heute bereits mehrere Zementtürme in Treptow und Neukölln weit über die Baumwipfel hinaus. Die beiden Olivenbäume vor dem ehemaligen Biergarten sehen schlecht aus, sie werden vertrocknen. Trotz Grün Berlin. Doch die Feldverteidiger sind gut vorbereitet. Sie haben damit gerechnet und immer davor gewarnt, dass der Senat seine Bebauungspläne nicht einfach so begraben wird. Und das Feld wird immer beliebter, 100.000 Menschen werden an schönen Tagen gezählt. Das macht Hoffnung darauf, dass der Senat auch die zweite Runde verlieren wird im Kampf ums Tempelhofer Feld, und dass die große Wiese mit ihren Zirkuszelten, ihren Rübezahl-Gärten, ihrem Luftgarten und ihrem Luftschloss erhalten bleibt. Während sich die Baupläne der Berliner Bürgermeister, wie immer sie auch gerade heißen mögen, als reine Luftblase erweisen. Es bleibet dabei: Die Wurzeln sind frei! |