Februar 2023 - Ausgabe 246
Reportagen, Gespräche, Interviews
Eine Halle für Alle von Edwin Mayer |
Nicht nur in der Markthalle am Marheinekeplatz, auch in der beliebten Eisenbahnhalle machen sich Händler und Anwohner Sorgen um die Zukunft. 2027 könnte Schluss sein mit Obst, Fisch und Gemüse. Streetfood, damit meinten die Hippies in den Sechzigern die Garküchen auf hölzernen Handkarren, die in den Abendstunden die Straßen ganz Asiens bevölkerten. Für ein paar Rupien konnte man hier am Straßenrand phantastische Currys, gegrillte Frösche oder Bananen bekommen. Zur Ausrüstung der fahrenden Köche gehörte nicht mehr als ein Wok oder eine Pfanne, eine Flamme oder ein Kohlebecken. Den Hippies auf ihrer Suche nach Alternativen zum konsumorientierten Leben in den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders waren die Straßenküchen Bangkoks ein politisch korrekter Garten Eden. Auch für die Einheimischen waren sie ein Segen, wer keine Familie oder kein Haus zum Kochen hatte, fand hier, was er zum Leben brauchte. Mit den klapprigen Holzkarrenküchen Asiens hat die Kreuzberger Variante des Begriffs nichts zu tun. Der Streetfood-Markt in der Kreuzberger Eisenbahnhalle ist eine Aneinanderreihung möglichst exotisch wirkender Markt- und Imbissstände, vor denen kein Hippie mehr stehen bleiben würden. Hier steht der gehobene Mittelstand auf der Suche nach Exotik und Veggieburgern an, nach Okonomiyaki oder Locro. Man feiert. 10.000 Besucher, schwärmt eine Autorin in der FAZ, fänden sich zum »Streetfood-Thursday« in der Halle ein. Es gäbe »Kulinarisches aus aller Welt«, von Allgäuer Käsespätzle mit Röstzwiebeln (»Heißer Hobel«) über chinesische Dumplings (»Bao Kitchen«), italienische Antipasti (»Eugenio Finzi«), vegane Tofu-Burger (»Sun Day Burgers«) bis hin zum »gesmokten« Pulled-Pork-Schweinefleisch (»Big Stuff«). Nicht ohne eine satte Portion Naivität bewundert die Besucherin, dass »schon mal eine halbe bis dreiviertel Stunde vergehen könne, bis man so ein »Big-Stuff-BBQ-Sandwich in den Händen hält«. Der orgiastische Höhepunkt der Schreibkraft bestand nach eigenen Worten aus dem begleitenden »Superfood-Smoothie«. Die alteingesessenen Kreuzberger aus Wrangelstraße & Co sehen dem bunten Treiben vor ihren Haustüren mit wachsendem Unmut zu. Als der Berliner Senat 2011 die renovierungsbedürftige Markthalle aus dem 19. Jahrhundert im allgemeinen Privatisierungsrausch kurzerhand auf den öffentlichen Markt warf und für den Schnäppchenpreis von 1,1 Millionen Euro wie saure Gurken verscherbelte, schlugen drei Berliner Jungunternehmer zu, die beteuerten, die Markthalle nicht nur als Gebäude, sondern auch in ihrer Funktion als Lebensmittelmarkt für die Anwohner erhalten und darüber hinaus als Kulturraum nutzen zu wollen. Von Proberäumen im Keller für Bands und Theatergruppen war die Rede, die »kiezbezogene und kulturwirtschaftliche Nutzung« sowie ein »kleinteiliger, dauerhafter Lebensmittelmarkt« wurden im Kaufvertrag festgeschrieben. Die Halle, so verkündeten die neuen Besitzer, »solle soziales Zentrum werden und keine Eventlocation.« Doch Musiker sind nie in der Halle eingezogen, und die Kulturveranstaltungen bestanden bislang vor allem aus Verkaufsmessen, den sogenannten »Themenmärkten«. Es gibt einen Wurst und Biermarkt, einen Naschmarkt mit Süßem oder einen Weinmarkt, dem die eigentlich lebenslustige Nachbarschaft wegen eines Eintrittsgeldes von 50 Euro jedoch lieber fernbleibt. Das unternehmerische Highlight ist der Fressmarkt am Donnerstag. Dafür schwingt sich die gutbezahlte IT-Welt nach Feierabend von den ergonomischen Bürostühlen, um auf harten Bierzeltbänken Platz zu nehmen und über zu trockene Tortellini oder Saltimbocca – »das heißt übrigens Spring in den Mund«, weiß ein Tischnachbar - zu fachsimpeln. Aber auch wenn die Gnocchi »irgendwie fad« schmecken, man kommt »trotzdem jeden Donnerstag gern her.« Auf den Tischen stehen Smoothies und Wein, Kethup- und Colaflaschen, kleine Teller mit kleinen Taccos, kleine Teller mit kleinen Veggie Balls vom baller´s place oder kleinen Pfannkuchen von Martin´s Creperie. Wie auf dem Oktoberfest reiht sich Stand an Stand, nur die Lederhosen fehlen im multikulturellen Vorzeigeambiente. Nach den kleinen Imbissen schlendern die Besucher des Marktes an den Verkaufsständen der Weinhandlung Suff oder der Küchenliebe vorüber, wo edelstählerne Nudelsiebe und Käsereiben suggerieren, dass Kochen nichts mehr mit alltäglicher Nahrungsaufnahme zu tun hat, sondern Ausdruck gehobener Kultur ist. Oder sie kaufen an einem der vielen Käsestände in der Eisenbahnhalle einen »wirklich guten Ziegenkäse.« Nirgendwo in der Hauptstadt gibt es eine derart große Auswahl an Ziegenkäsen und so viele französische Namen wie in der Markthalle an der Eisenbahnstraße. Deutsch wird wenig gesprochen, selbst bei Charlotte Murr, wo sich zwischen den historischen Standnummern 4 und 5 die Räder dicker Käseleiber zwei Meter hoch stapeln, kann es passieren, dass die Kundin auf eine Frage zum Schweizer Käse als Antwort nur ein freundliches Lächeln erhält. Kombiniert mit der Gegenfrage: »English please?« Ältere Herrschaften mit Einkaufstaschen auf der Suche nach Kartoffeln oder Suppengrün sind an den Donnerstagen in der Markthalle zur fotogenen Seltenheit geworden. An anderen Werktagen stehen sie hin und wieder noch bei Inge am Kaffeestand. Um Kaffee zu trinken und ein bisschen zu plaudern. Heute aber steht dort eine Frau aus Lübeck. »Ich habe die Halle im Fernsehen gesehen. Da dachte ich, da muss ich hin. In Lübeck ist im Winter tote Hose. Diese Fischköppe reden ja nix miteinander.« Inge redet. Inge ist Berlinerin. Sie war in der Abendschau, als der RBB über den Streetfood-Tag berichtete. Vier verdächtig kritiklose Filme hat der RBB bereits ausgetrahlt über die Halle 9, die Jungunternehmer pflegen gute Beziehungen zu Politik und Medien. Inge erzählt nicht ohne Stolz: »Die hingen alle hier bei mir, die Leute vom Fernsehen. Ich war ständig im Bild. Die haben sich richtig wohl gefühlt bei mir.« Inge ist die dienstälteste Markthändlerin und schon in Kreuzberg geboren. Als sie hier anfing, kostete der Kaffee 90 Pfennige. »Da standen hier morgens noch die Alkis in der Schlange!«, aber irgendwann waren sie nur noch zu viert in der fast leeren Halle. »Da habe ich Rollrasen besorgt und Palmen und Liegestühle, und dann haben wir es uns hier in der Mitte gemütlich gemacht. Wir haben geraucht und getrunken, wir konnten machen, was wir wollen. Zu Silvester fingen wir schon morgens an zu feiern. Das war ne tolle Zeit.« Doch tolle Zeiten sind oft kurz. Der Senat wollte die Halle unbedingt loswerden. »Da kamen ne Menge Spinner, die kaufen wollten. Auch Kaisers wollte hier rein. Das wäre die Rettung gewesen. Aber da haben die Nachbarn rebelliert. Kaisers war ihnen zu elitär. « Die Nachbarn favorisierten Aldi, und so kam es, dass ausgerechnet die Kreuzberger für Aldi - 2020 das viertreichste Unternehmen Deutschlands - auf die Straße gingen. »Aldi hatte ja eine Filiale hier drinnen«, ist inzwischen aber ganz aus der Halle ausgezogen. Der Streit mit den Nachbarn ist geblieben, doch der interessiert Inge nicht mehr. Sie wird bald aufhören. »Meine Freundin sagt: Man kann ja mit dir schon nicht mehr ins Kino gehen, du bist ja immer am arbeiten!« Die Nachbarn streiten noch immer. Manchmal treffen sie sich bei Jannis im Feinkostladen gegenüber. Sie bevorzugen Rotwein, der keinen Eintritt kostet. Auch ihre italienische Fenchelsalami kaufen sie lieber beim Griechen als beim originalen Italiener in der Halle. Und sie ziehen einen Teller griechischer Hühnersuppe mit Ei und Zitrone einem italienischen Hefeteigquadrat mit Tomate und Käse für 5 Euro vor. Die Halle, sagen sie, sei eigentlich keine Markthalle mehr, sondern eine Imbisshalle. Sie bediene die Touristen, nicht die Nachbarschaft. Es gäbe zwar noch einen Fleischer, einen Fischhändler, einen Bäcker und mehrere Gemüsehändler - aber alles sei sehr teuer. Außerdem öffne die Halle erst mittags um zwölf, und »wenn mein Kind aus der Schule kommt, soll doch etwas zu essen auf dem Tisch stehen. Da muss ich doch morgens einkaufen!« Also haben sie vor der Halle protestiert, eine Internetseite eröffnet und sich an die Medien gewandt. Sie haben 5290 Unterschriften gesammelt und dem Fraktionsvorsitzenden der SPD eine Liste mit Forderungen überreicht, unter ihnen die »tägliche Grundversorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln«, das Einstellen von »exklusiven und kostenpflichtigen Events« und mehr Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft bei Veranstaltungen wie dem »Streetfood Thursday«. Andernfalls fordern sie »einen künftigen Betrieb der Markthalle durch einen gemeinwohlorientierten Träger.« Die Markthalle sei zur Eventlocation verkommen und »ein Fremdkörper im Kiez.« Doch dieser Fremdkörper wird größer. Die Unternehmer breiten sich aus. Sie haben Straßenfeste initiiert und »vor unseren Läden ihre Buden aufgebaut. Bei mir kam keiner mehr rein!«, ärgert sich Jannis. Als sie auch noch einen Antrag zur Sperrung der Eisenbahnstraße beim Bezirk einreichten, um einen regelmäßigen Wochenmarkt abzuhalten, stellten Händler und Nachbarn die Eigentümer der Markthalle zur Rede und fragten, was genau sie eigentlich vorhätten. Die Unternehmer antworteten wahrheitsgemäß: »Wir wollen Geld verdienen.« Jannis schüttelt den Kopf über diese Arroganz. Jannis war auch auf einer Sitzung der BVV, als das Thema behandelt wurde. »Da haben wir Fragen gestellt, aber wir haben keine Antwort erhalten. Keine einzige Antwort! Die Grünen haben die ganze Zeit über geschwiegen!« Doch das Schweigen half nichts. Gabi Gottwald von den Linken »musste zwar drei Monate lang ackern«, aber am Ende konnte sie durchsetzen, dass es zu einer Abstimmung über die Frage kam, ob die Anwohner bei der Entscheidung über die Zukunft der Eisenbahnstraße gefragt werden müssten oder nicht. »Dabei ist das doch eine Selbstverständlichkeit, dass man die Bürger an solchen Planungen beteiligt.« Am 12. Dezember wurde in der BVV mit den Stimmen sämtlicher anderer im Rathaus vertretenen Parteien und gegen die Stimmen der Grünen entschieden, dass die Anwohner befragt werden müssen. Die kleine Niederlage wird die Immobilienhändler nicht sonderlich beunruhigen. Sie haben erst einmal ihr Kapital aufgestockt und ein an die Markthalle grenzendes Grundstück samt Mietshaus dazugekauft. Man brauche neue Zufahrtswege, so die Erklärung der Eigner auf Anfrage der SPD. Die Anwohnergruppe hält das für eine Ausrede und spekuliert darüber, was die drei Männer wirklich vorhaben, besonders im Hinblick auf das Jahr 2027. Dann nämlich könnte die auf 15 Jahre befristete Nutzungsbindung der Halle enden. Dann, so befürchten die Nachbarn auf ihrer Website, können die Eigentümer »die Markthalle nutzen wie immer sie wollen«. Sie könnten eine Konzerthalle oder ein Parkhaus daraus machen oder »den gesamten Immobilienkomplex mit viel Gewinn verkaufen.« Das dürfte die wahrscheinlichste Variante sein. An Investoren, die nicht einmal wissen, wo Kreuzberg liegt, und denen das auch völlig egal ist. • |