Kreuzberger Chronik
Dez. 2023/ 2024 - Ausgabe 255

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Eine feine Gesellschaft


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von Michael Stachowicz

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Erinnerungen an eine Commerzbankfiliale



Die Mannschaft, die in den Achtzigern in der Commerzbank, Mehringdamm Ecke Gneisenaustraße, arbeitete, war mir gut vertraut. Weil Gertrud als Kreditsachbearbeiterin dort arbeitete. Da waren die Frau Yildirim, Iannis, der Kassierer, Meyer, der Anlageberater, Heidi, die Büroleiterin und der Filialleiter Wusteck. Die anderen erspare ich uns.

So richtig glücklich war keiner dort. Der Spruch von Iannis war: »Ich geh zurück nach Griechenland, Füße in Wasser und Kopf in die Sonne.« Der Anlageberater ergänzte: »Schladi...,Schlado...« (übersetzt: scheißlanger Dienstag, scheißlanger Donnerstag, denn Dienstag und Donnerstag war die Bank bis 18.00 Uhr geöffnet).

Heidi, die Büroleiterin, hatte zuvor in der Commerzbank-Filiale am Savignyplatz (heute ein Schuhgeschäft) gearbeitet, dort aber gleich drei Banküberfälle miterlebt. Ihr ist nichts passiert, aber sowas macht etwas mit einem. Also ließ sie sich zum Mehringdamm versetzen. Und in Kreuzberg hatte sie tatsächlich Ruhe vor den Räubern.

Und dann war da der knauserige Filialleiter. Sein Vater war Gründungsmitglied der Commerzbank. Er wohnte ziemlich bescheiden in einem Reihenhaus in Lankwitz oder Mariendorf. Gertrud und ich haben ihn dort einmal besucht. Die Mitarbeiter schenkten ihm zum Geburtstag solche Zusatzbremsleuchten für die Heckscheibe seines Autos, das war damals der neueste Schrei. Die durfte ich ihm dann einbauen (war ne Scheißidee von Gertruds Kollegen, hat richtig Arbeit gemacht).

Und dann gab es da noch eine bildschöne Mitarbeiterin, eine Türkin, Frau Yildirim. Wegen der vielen in Kreuzberg wohnenden Türken war das wohl wichtig für die Bank. Sie war eine sehr feine, vornehme, bestens erzogene junge Frau, immer sehr elegant gekleidet. Ich weiß nicht mehr, wie sie hieß, aber ihr Mann hieß Mustafa. Den habe ich im Urban-Krankenhaus kennengelernt, als ich mit ihm im selben 8-Bett-Zimmer lag. Ich hatte mein Bein in Gips wegen eines Skiunfalls in Tirol, und Mustafa hatte wohl in Kreuzberg Kloppe gekriegt.

Das Zimmer war ein Notzimmer im ständig überbelegten Urban-Krankenhaus. Mustafa rief alle 5 Minuten nach den Schwestern und alle anderen, teils schwer verletzten Patienten amüsierten sich wegen seiner Wehleidigkeit. Am ersten Tag seiner Einweisung sollte die Schwes-ter seine Frau anrufen, damit sie komme, ihm die Füße zu waschen. Kommentar der Schwester: »Herr Yildirim, das ist hier kein Hotel.«

Die Frau von Mustafa hatte mich oft gesehen, wenn ich Gertrud zur Arbeit brachte. Als sie mich im Krankenbett erkannte, nickte sie mir zu, aber so, dass ihr »totkranker« Mann nichts bemerkte. Es war ihr unendlich peinlich zu wissen, dass ich später meiner Gertrud vermutlich alles haarklein berichten würde.




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