Kreuzberger Chronik
April 2023 - Ausgabe 248

Briefwechsel

Nur die Chronik ziert sich


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von Gesine Becker

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Sehr geehrte Redaktion!

Ich lese die Chronik seit zwanzig Jahren, in letzter Zeit immer verärgerter. Dass Frauen bei euch keine große Rolle spielen, sieht man schon auf dem Titelblatt: Immer nur Männer. Noch dazu alte! Und jetzt auch noch ein Autorennfahrer!

Auch im historischen Teil sind Frauen unterbelichtet. Das werdet ihr mit der Tatsache erklären, dass Frauen in den vergangenen Jahrhunderten im politischen oder kulturellen Leben kaum präsent waren und in der Geschichtsschreibung fehlen. Es gibt inzwischen aber – Alice Schwarzer sei Dank! - genügend Vertreter*innen des weiblichen Geschlechtes, die diese Lücken aufgefüllt und viele Publikationen über den Einfluss der Frauen auf das Weltgeschehen veröffentlicht haben.

Das alles nur nebenbei. Was mich wirklich ärgert ist, dass sich das politisch korrekte Gendern inzwischen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durchgesetzt hat, nur nicht bei Euch. Sogar Doktor Lauterbach brachte Verständnis dafür auf, dass Formulierungen wie »Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker« Frauen diskriminieren. Nicht nur die taz, die mutig voranging, sondern auch FAZ oder ZEIT, die brav hinterherdackelten, haben zu gendern begonnen.

Nur der Kreuzberger ziert sich. Er hat sich ja auch der Rechtschreibreform verweigert und lieber dem altdeutschen »ß« gehuldigt, bis er dann doch einknickte. Wie lange soll es eigentlich noch dauern, bis auch ihr das Sternchen auf der Tastatur findet? - Gesine Becker

Liebe Frau Becker!

Vielen Dank für den sachdienlichen Hinweis. Wir haben das Sternchen jetzt gefunden, behalten uns jedoch vor, seine Anwendung in der Redaktion noch einmal zu diskutieren. Es geht uns - Sternchen hin, Rechtschreibung her - eher um korrekte Formulierungen und objektive Darstellungen von Inhalten als darum, ob wir beim Gebrauch eines Substantivs zur Bezeichnung eines Menschen oder einer Menschengruppe eventuell einen Schwarzen, eine Frau oder einen Muslim ausgeschlossen haben könnten. Für uns ist es selbstverständlich und deshalb keiner besonderen Erwähnung wert, dass Frauen, Muslime und Schwarze überall und immer dazugehören.

Wenn wir künftig von »zu Fuß Gehenden« sprechen oder schreiben müssen, nur weil irgendein Mann oder irgendeine Frau auf die Idee gekommen ist, dass mit »Fußgängern« ausschließlich zu Fuß gehende Männer gemeint sein müssen, dann machen wir da nicht mehr mit. Seit der Mensch vom Baum kletterte, weiß jedes Kind, dass Frauen so gut laufen können wie Männer. Das muss ihm nicht erst durch ein kompliziertes Gerundium erklärt werden. Wir hoffen, Sie haben dafür Verständnis. Mit wie stets freundlichen Grüßen - Die Redaktion


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