Kreuzberger Chronik
September 2022 - Ausgabe 242

Strassen, Häuser, Höfe

Hasenheide 74-76b


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von Gudrun Winter

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Die Hasenheide im 19. Jahrhundert: eine breite Allee mit Cafés, Gartenlokalen und Tanzsälen, Straßenbahngeleisen auf dem Mittelstreifen und gepflegten Vorgärten vor den Mietshäusern, die entlang der Nordseite des einstigen Hasengeheges vom ehemaligen Kaiser-Friedrich-Platz und heutigen Südstern bis zum Hermannplatz führte.

Die Hasenheide im 20. Jahrhundert: eine vielgenutzte, vierspurige Hauptverkehrsader ohne besonderen Charme, die vom pragmatischen Karstadt-Wiederaufbau bis zur rußgeschwärzten Kirche am Südstern führte.

Die Hasenheide im 21. Jahrhundert: eine für Investoren zunächst uninteressante Adresse. Erst nachdem die Wohnungen in den hübschen Seitenstraßen entmietet, renoviert und verkauft oder neu vermietet waren, rückte auch die Hauptverkehrsstraße ins Visier der Grundstücksmakler. Besonderes Interesse galt dabei einem etwa 150 Meter langen Grundstück direkt am Park, das seit dem Ende des 2. Weltkrieges brach lag. Hier müssen gleich mehrere Häuser nebeneinander den Bomben zum Opfer gefallen sein, eine Luftaufnahme aus dem Jahre 1954 zeigt ein großes, bereits vom Schutt befreites Grundstück. Der Blick auf alte Stadtpläne zeigt, dass der breite Weg, der heute zwischen dem Neubau der Nummer 74-76b und der Minigolfbahn in den Park hinaufführt, einst eine Verlängerung der Fichtestraße war, und dass bei der Minigolfbahn zuerst eine Lungenheilanstalt und später ein Kinderhospital gestanden haben müssen. In noch etwas grauerer Vorzeit muss, so vermutet es zumindest der Kreuzberger Historiker Lothar Übel, irgendwo hier auch das Häuschen des kaiserlichen Hasenpflegers gestanden haben.

Doch all das ist fast vergessen. Nur an Eduard Winter mit seiner Volkswagen-Vertretung können sich die Kreuzberger noch erinnern, den Eigentümer der Kriegsbrache. Und daran, dass ein Spaziergänger auf der Fichtestraße, wenn er den Blick nach Süden richtete, der hübschen Illusion erlag, die kleine Straße führe geradewegs in Wald und Feld. Jetzt fällt der Blick auf einen Betonklotz.

Bei der Hasenheide Nr. 74-76b handelt es sich um einen gewaltigen, Bäume und Traufhöhe sämtlicher Nachbarhäuser überragenden Neubau, eine von Senat und Bezirk lässig durchgewunkene Grenz- und womöglich auch Gesetzüberschreitung. Der Monolith an der Hasenheide ist eine Metapher und ein Mahnmal der Gentrifzierung geworden. Wer in diesem Haus wohnen möchte, der muss sich an die Bewocon, die Berliner Wohnbauconsult GmbH wenden, einen der größten, erfolgreichsten und umstrittensten Berliner Immobilienmakler.

Das Unternehmen wirbt im weltweiten Netz für einen »stufenförmigen Gebäudekomplex« mit »210 Wohneinheiten auf neun Etagen, vom gemütlichen Ein-Raum-Apartment bis hin zur weitläufigen Vier-Zimmer-Wohnung. In Anlehnung an klassische Townhouses stehen ferner auch großzügige Maisonetten (vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss) mit eigenem Zugang und Privatgarten zur Verfügung.«

Der Gärtner schwärmt: »Es gibt da kleine Wohnungen schon für 900 Euro, aber natürlich auch andere, da kostet der Meter...« - der Mann streckt den Arm bis zum Himmel hinauf. Tatsächlich gibt es kleine und bezahlbare Behausungen mit Blick auf die Straße, doch die größeren Wohnungen zum Park hinaus, so ein Vertreter der Immobilienfirma, »sind natürlich etwas teurer«. Das Mieterecho schreibt von einer Durchschnittsmiete von 20 Euro, doch aus dem Hause Bewecon hört man, es könne auch »schon mal deutlich darüber liegen.«

Eigentumswohnungen gibt es keine am Parkrand. Das hätte Proteste provoziert. Es ist aber auch gar nicht nötig, zu verkaufen, wenn Jahresmieten bezahlt werden, für die man vor der Invasion der Investoren fast schon eine Wohnung hätte kaufen können. Das sollte die Politik zum Nachdenken, wenn nicht zum Handeln bewegen. •



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