Kreuzberger Chronik
Oktober 2022 - Ausgabe 243

Kreuzberger
Liz Schmidt

Ich bin eine mutige Frau


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Dieter Peters

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Eine Frau, sagt Elisabeth Schmidt, muss nicht intelligent sein. Sie muss schlau sein. »Also intelligent und ein bisschen raffiniert. Und ich finde, dass ich eine schlaue Frau bin. Vielleicht war es das, was die Männer zurückschreckte. Ich war das attraktive Blondchen, aber ich war keine Ehefrau. Ich wollte auch nie Ehefrau sein.«

Liz hat ein bewegtes Leben hinter sich. Lüneburg, Hamburg, London, Berlin. Sie hat viele Menschen kennen gelernt, Frauen, Männer, »viele Männer. Alle waren hinter mir her. Aber ich habe nie einen Heiratsantrag bekommen. Obwohl, das stimmt nicht ganz: Einmal, in der Buchhandlung - das ist eine schöne Geschichte - da bediente ich einen jungen Mann, Maximilian Rüthlein, der sprach genau wie Klaus Kinski. Der rollte das »R« so dramatisch, und ich weiß nicht warum, irgendwie gab ich dem meine Adresse. Ich wohnte in der Winterfeldstraße 48, 4. Etage, Gartenhaus, es klingelt an der Wohnungstür, ich mache auf und vor mir steht Maximilian Rüthlein mit einem großen Blumenstrauß und fragt: Fräulein Schmidt, wollen Sie mich heiraten? - Und ich sag, aber ich kenne Sie doch noch gar nicht. Und da sagt er: Ach, macht nix, dann heirate ich eben meine Freundin Renate! - Das hat er auch getan. Mit Renate bin ich heute noch befreundet.«

So war das immer mit den Männern! Als läge ein Fluch darüber. Die einzigen, mit denen sie ein paar Jahre zusammenwohnte, zwei Studenten, verließen sie, sobald sie ihren Doktortitel in der Tasche hatten. Jetzt sitzt sie auf dem Sofa, nachdenklich, und betrachtet die vielen Vasen und die Döschen in der Vitrine: »Wer braucht schon 63 Glasvasen und wer 123 Döschen!«

Elisabeth Schmidt hat es sich gemütlich gemacht in ihrer Dreizimmerwohnung in der Manteuffelstraße, die sie »für ein paar Pfennige« ersteigert hat. »52.000 Mark! Das ganze Geld, das ich mir zusammengespart hatte für eine Motorradtour um die Welt, ging drauf.« Die Freunde meinten, sie sei verrückt, ausgerechnet hier, wo die ganzen Türken wohnten und wo die Russen vor der Tür standen, eine Wohnung zu kaufen. Heute ist die Wohnung eine halbe Million wert. Sie sitzt auf dem Sofa unter dem Mühlenhauptbild mit den drei Tänzerinnen und denkt über ihr Leben nach.

Begonnen hat es in Breslau, aufgewachsen ist das Fräulein Schmidt in Lüneburg. Das hübsche Familienfoto über dem Esstisch, das die schöne Mutter, den nachdenklichen Vater und zwei Kinder zeigt, ist eine seltene Ausnahme. Der Vater kam nur zum Fronturlaub und blieb irgendwann ganz im Krieg. Die Mutter schimpfte ein Leben lang, der Mann hätte sie sitzen lassen mit den drei Kindern.

Auch auf die kleine Elisabeth schimpfte sie. Vom ersten Moment an. »Du hast ausgesehen wie eine verschrumpelte Orange«, erinnerte sich die Mutter an den Tag, an dem Liz geboren wurde. Als der Arzt an ihr Bett trat und sagte: »Gnädige Frau, sie haben eine Tochter geboren«, antwortete die Mutter: »Die können Sie behalten!« So hat es ihr die Mutter erzählt, »das schwöre ich bei Clara Zetkin! Und das ist die Größte.«

Sie traute Liz nichts zu, aber die Tochter ging brav zur Schule, »immer mit ´nem Brikett unterm Arm, damit wir es halbwegs warm hatten im Klassenzimmer.« Sie absolvierte die Ausbildung zur Buchhändlerin und flüchtete, kaum volljährig, vor Lüneburg und der Mutter nach London. »Das war mutig, 1959, von einer Provinzstadt mit 60.000 Einwohnern nach London mit 12 Millionen und doppelstöckigen Autobussen. Ich sprach ja kein Wort Englisch und kannte niemanden.«

Liz mi ihrer Schwester und Freunden











Aber die Sechzigerjahre brachen an, Love & Peace & Rock´n´Roll, und das Fräulein Schmidt schlug sich durch, arbeitete tagsüber im Krankenhaus und tanzte und trank ganze Nächte durch Soho. Es war eine glückliche Zeit, von der sie bis heute schwärmt. »Vor ein paar Jahren bin ich noch einmal da gewesen, um am Grab von Karl Marx Blumen niederzulegen.« Seit dem 2. Juni 1967, »als sie Benno Ohnesorg erschossen haben«, ist sie »ein politisch denkender Mensch.« Spätestens, denn sie war schon 1964 in Bonn dabei gewesen, als Hunderttausende gegen die Notstandsgesetze protestierten. Tante Anneliese, die in Bonn im Bundestag arbeitete, hatte sich gefreut, als die Nichte anrief und fragte, ob sie bei ihr schlafen könne. Aber als sie Liz »mit der roten Fahne vor der Tür stehen sah, musste die sich erst einmal am Küchenbüffet festhalten.«

In Berlin ließ sie keine Demo mehr aus, arbeitete in dem Kinderheim, in dem Ulrike Meinhof für Bambule recherchierte und lernte in der Wohnung einer befreundeten Künstlerin, bei der ein riesiger Pferdeschädel auf dem Vertiko stand, auch Andreas Bader kennen, »ein wirklich unangenehmer Typ, ein eitler Fatzke«. Sie trat der SEW bei und war von 1989 bis 1994 Landtagsbgeordnete für die PDS, »eine von drei Wessis, alle andern waren Ossis. Naja, jedenfalls war es höchste Zeit, dem Karl Marx einen Besuch abzustatten und nachzuholen, was ich als Krankenschwester und vor lauter Tanzen 1959 vergessen hatte.«

Von London flog sie 1961 nach Genf, wo sie Tage damit zubrachte, die korrekten Anreden für die Herren in den hohen Ämtern auswendig zu lernen, mit denen sie auf der persischen Botschaft zu tun hatte. Ein Jahr war sie dort »Mädchen für alles«, und weil alle im Haus sie mochten, schenkte man ihr drei Goldmünzen mit dem Konterfei des Schahs von Persien, die sie einschmelzen und zu tragbarem Schmuck umarbeiten ließ.

1962 fuhr sie weiter von Genf nach Hamburg, wo sie einen Job bei Lingenbrink, einem Buchgroßhändler, antrat, und wo sie sich in den Neffen von Albert Speer verliebte und die Beatles in ihrem kleinen Zimmer über dem TopTen besuchte, »die da jeden Abend herumklampften. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie die gehaust haben, so ein kleines Zimmer mit Doppelstockbetten.« Sie war öfter oben bei den Liverpoolern, weil sie so gut Englisch sprach. Und weil sie ein »ganz attraktives Blondchen« war.

Aber Hamburg gefiel ihr nicht. »Als ich mal im Bus fragte, ob jemand wisse, wie man nach Eppendorf kommt, sagte keiner einen Ton.« Schweigen. Da war Berlin ganz anders. »Da fuhren ja 1963 noch die Doppeldecker mit der Plattform rum, und als ich mit meinen Stöckelschuhen hinter so einem Bus herlaufe, ruft der Schaffner gleich: Jetzt komm schon ruff, du altes Huhn.« Sie fühlte sich augenblicklich wohl in dieser Stadt mit den doppelstöckigen Autobussen und diesen Leuten, die redeten, wie ihnen der Mund gewachsen war.

Ihre erste Berliner Wohnung lag in der Winterfeldstraße, nicht weit von den Striptease-Lokalen und den leichten Mädchen. Das konnte sie der Mutter nicht erzählen. »Also sagte ich, dass ich am Ende der Martin-Luther-Straße wohnte, das hörte sich schon christlicher an.« Die Kneipen, die sie abends aufsuchte, lagen alle in Kreuzberg: Meisengeige, Nulpe, Yorckschlösschen, Leierkasten, und dann dieses Lokal in der Gneisenaustraße, in der jetzt der Swingerclub ist, und dessen Namen sie gerade vergessen hat. »Da hatten sie mal eine falsche Kiste Wein bestellt, Perlwein von einem deutschen Winzer, und weil ich ja kein Bier trinke, fragten die mich, ob ich ihnen die Kiste nicht abkaufen wolle. Also bezahlte ich die Kiste, ließ sie da stehen und abends sagte ich dann immer: Bitte eine von meinen Flaschen. Die Gäste wunderten sich, und Kurt erzählte dann immer, ich hätte einen eigenen Weinberg. Als die Kiste ausgetrunken war, wollten alle wissen, weshalb ich keinen Sekt mehr trank, und Kurt erzählte, ich sei leider enterbt worden.«

Kurt Mühlenhaupt, der Maler, war ihr ständiger Begleiter in den Kreuzberger Kneipen. »Wir hatten viel Spaß miteinander. Wir hatten ja immer so lustige Ideen.« Einmal verliebte sich eine von Liz´ Freundinnen in einen von Mühlenhaupts Freunden. Unglücklich natürlich, und eines Abends im Leierkasten war die unglückliche Freundin nur noch am Heulen. Jürgen Grage, der Kellner, rief immer: Sauft, Leute sauft!, und als die Freundinnen genug getrunken hatten, beschlossen sie, nachts um drei, ausgerüstet mit einer Trommel, vor die Wohnung des Mühlenhauptfreundes in der Schlesischen Straße zu ziehen und die Internationale anzustimmen: Völker, hört die Signale… Und da geht oben ein Fenster auf und eine Frau ruft: Ernst, Ernst! Ruf schnell die Polizei, jetzt kommen sie über die Mauer!« Am nächsten Morgen stand tatsächlich eine Nachricht in der Morgenpost, dass aufgeregte Bürger in Kreuzberg nachts die Polizei benachrichtigt hatten, weil sie vermuteten, die DDR hätte zum Sturm auf Westberlin geblasen.

Natürlich war Liz auch in der Weltlaterne in der Kohlfurter Straße, und eines Abends, als ihre Mutter zu Besuch war, saßen dort Hannes Wader, Kurt Mühlenhaupt und Polyphem – »der hieß so, weil er immer eine Augenbinde trug!«. Die drei pokerten. »Meine Mutter stieg ein. Und jedes Mal, wenn sie gewann, rief Kurt: Die gnäd´ge Frau hat schon wieder ´n Full House, die gnäd´ge Frau gibt schon wieder einen aus. Weil sie ständig gewann und weil der Kellner hinterlistiger Weise echten französischen Kognak eingoss, verlor meine Mutter am Ende eine Menge Geld: die Rechnung belief sich auf stolze 74 Mark.«


Liz und ihr erster Freund in der Winterfeldstraße












Aber Geld war nie ein Problem. Elisabeth führte neben einem unterhaltsamen Privatleben ein profitables Berufsleben, zuerst als Buchhändlerin, später als Heimerzieherin. Als ihr Sohn Bruno zur Welt kam und sie keine Nachtschicht mehr übernehmen konnte, wurde sie Sonderschulpädagogin und kümmerte sich um die, die es einmal besonders schwer haben würden im Leben. Am Ende wurde sie sogar noch Bundestagsabgeordnete und führte in ihrer Freizeit mit ihrem lilafarbenen Trabbi – »den musste ich mir kaufen, weil sich sämtliche Leute bei der PDS ein Westauto kauften!« - die Parade des Christopher Street Days an. Sie spielt bis heute bei den Golden Gorkis am Maxim Gorki Theater, tanzte in Soho und auf der Reeperbahn... . Aber die wichtigsten Begegnungen fanden alle in Kreuzberger Kneipen statt. Hier kreuzten sich Lebenswege. »Kürzlich habe ich ein altes Tagebuch gefunden aus den Siebzigern. 365 Eintragungen! Und ich habe nachgezählt: Ich bin von den 365 Nächten nur 62 zuhause gewesen.«

Liz sitzt an ihrem Esstisch und betrachtet die Fotografien an der Wand: Bilder der Eltern, Bilder von sich, einer wirklich schönen Frau, von gutaussehenden Männern und dem Sohn, der Schauspieler geworden ist. »Und wenn ich sehe, was für ein toller Ehemann mein Sohn ist und wie liebevoll die miteinander umgehen, dann frage ich mich schon: Warum ist mir das nie gelungen? Ich war immer das Blondchen, aber mit den Männern bin ich nie zu Potte gekommen.«

Elisabeth Schmidt sitzt auf dem roten Sofa und blickt auf ihre Glassammlung. »Ich wollte nie Ehefrau sein. Vielleicht spürten die Männer das. Meine Schwester hat zehn Heiratsanträge bekommen, ich einen! Als sich meine Schwester mit Günter von Lonski verheiratete, angeblich alter baltischer Adel, da sah mich meine Mutter so schräg von der Seite an: Und du heißt immer noch Schmidt!«

Elisabeth Schmidt blieb für die Mutter immer die verschrumpelte Apfelsine. Das war wie ein Fluch. »Dabei stimmte das überhaupt nicht. Ich war ein süßes Baby. Ich habe im Tagebuch meines Vaters geblättert, und da steht es blau auf gelb: 14. April 1938. Mein geliebtes Käthchen hat heute unser erstes Kind geboren. Es ist ein entzückendes Mädchen, wir werden sie Elisabeth nennen. Sie hat blaue Augen und ein süßes Grübchen am Kinn.«





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