November 2022 - Ausgabe 244
Reportagen, Gespräche, Interviews
Talkshow im Regen von Hans W. Korfmann |
Fotos: Uli Klose Der Wind fegt kalt über die weiten Wiesen des Gleisdreieckparks, Herbstschauer prasseln auf eine Ansammlung bunter Regenschirme, die sich vor der Bühne unter dem kleinen Partyzelt versammelt hat. Es könnte eine etwas zu groß geratene Kindergeburtstagsgesellschaft sein, doch es ist weniger die Generation junger Eltern, eher die der Großeltern, die sich eingefunden hat. Auch von den Jugendlichen, die den Park im Sommer bevölkern und die um seine Zukunft besorgter sein müssten als die vom Aussterben bedrohten letzten Exemplare der 68er-Widerstandskämpfer, ist keiner gekommen. Die SPD-Politiker an den Mikrofonen dagegen sind jünger. Sie sollen, nachdem die Linken und die Grünen an den Wochenenden zuvor zu Wort kamen, an diesem regnerischen Nachmittag zum Bauprojekt am Gleisdreieck Stellung nehmen. Doch sie stehen Bürgern gegenüber, die mit der Angelegenheit offenbar länger und besser vertraut sind als sie selbst. Hannah Sophie Lupper, sonst eher vorlaute Fraktionsvorsitzende der Kreuzberger SPD, wird kleinlaut und gesteht: Als die Verträge über die Baugrundstücke zwischen Bahn, Bund und Senat abgeschlossen wurden, »da war ich gerade fünfzehn.« Die Diskussion über die bis zu 90 Meter hohen Bürotürme am Gleisdreieck, die in Zukunft den Blick über die Parklandschaft in Richtung Stadtmitte für immer verstellen könnten, ist brisant. Es geht um Bauten, die Spielplätze und Wiesen schon am Nachmittag in tiefen Schatten tauchen, die historische Postgebäude und Bahnhöfe zwischen Betonschluchten quetschen und den kühlenden Wind aus einer der letzten großen Grünflächen der Stadt vertreiben könnten. Seit die COPRO das Grundstück erwarb und ihre Entwürfe von einer »Urbanen Mitte« vorstellte, streiten Bezirk, Senat und Bürgerinitiativen über die Baugenehmigung für die Monsterbauten. Erstmals war nun auch ein Fernsehteam im Park dabei. Doch wer hoffte, dass nun Tacheles geredet werden könnte, wurde enttäuscht. Seit politische Auseinandersetzungen zu Talkshows und Schaukämpfen verkommen sind, stehen Politiker nicht als gewählte Vertreter des Volkes auf der Bühne, sondern als Vertreter ihrer Parteien. Es geht nicht um den Dialog mit den Bürgern, sondern die Verteidigung ihres Parteiprogramms. An den Baugrundstücken können wir nichts mehr ändern«, sagt Asad Mahrad vom Stadtentwicklungsausschuss und beruft sich darauf, dass die Verträge über die Bauflächen auf dem ehemaligen Bahngelände am Gleisdreieck bald 30 Jahre alt sind. Sie wurden im Zusammenhang mit der Planung des Potsdamer Platzes schon bald nach dem Fall der Mauer ausgehandelt. Daran sei nicht zu rütteln. Aber Art und Nutzung der entstehenden Gebäude könne modelliert werden. »Top-Priorität ist für uns die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum«, wiederholt der SPDler und denkt ganz konkret an Studentenwohnungen. Im Gegensatz zu den Bewohnern aus dem Genossenschaftskiez mit ihren Wohnungen am Südende des Parks würden sich die »Studenten auch nicht an den nächtlichen Partys stören.« Dann schießt er noch zwei Pfeile in Richtung der Grünen ab, fasst zusammen, dass er die Kritik der Bürgerinitiative an der ausschließlich gewerblichen Nutzung des Geländes teile und »voll bei Ihnen« sei, hier nachzubessern und statt der Bürotürme Wohntürme zu bauen. »Ich will aber, dass hier gar nichts gebaut wird!«, brummt es unter einem mausgrauen Regenschirm. Eine Dame daneben ergreift das Mikrofon und ergänzt: »Wir haben in Berlin, wenn ich richtig informiert bin, 250.000 Quadratmeter leerstehende Büroräume. Es arbeiten ja jetzt alle im Home Office. Da macht so ein Bauprojekt doch überhaupt keinen Sinn.« Auch die Bezirksfraktionsvorsitzende Lupper beteuert, auf Seite der Bürger zu sein. »Ich bin ganz bei Ihnen«, wiederholt sie in den 90 Minuten im Park so oft und beharrlich, bis es keiner mehr glaubt. »Ich will Ihnen nicht irgendwelche Hoffnungen machen, weil ich das unlauter fände. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Wir können nur noch versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen.« Unter den Regenschirmen wird das Gebrumme allmählich lauter. Die Politikerin fährt fort: Auch sie, sagt sie, würde am liebsten gar nicht bauen. Auch sie, will sie sagen, hätte lieber ein paar Ponys auf der Wiese. Aber das Leben, will sie sagen, ist eben kein Ponyhof. Da seien eben diese Verträge. Jeder, der etwas anderes behaupte, sei ein Lügner. Doch die Bürger unter ihren Regenschirmen wissen es besser. Denn natürlich könnten Stadt und Bund dieses letzte noch unbebaute Grundstück am Park vom Investor zurückkaufen. Der würde sofort einschlagen in das Geschäft, wenn ihm ein guter Preis für die 32.000 Quadratmeter angeboten würde. So funktioniert Spekulation. Aber der Preis dürfte hoch sein, immerhin will die COPRO eine halbe Milliarde in Klein-Manhattan investieren. Sie spekuliert auf einen gewaltigen Gewinn und würde auf Schadensersatz klagen. Und an dieser Stelle versteckt sich die Gretchenfrage der Diskussion um den Park: Wieviel ist der Politik der Erhalt dieser Grünlandschaft wert? Für Frau Lupper stellt sich diese Frage erst gar nicht. »Ich bin Bezirkspolitikerin, ich habe kein Geld.« Das Geld, will sie sagen, hat immer der Senat. »Aber wir sind absolut dabei,« wiederholt sie, »wenn es darum geht, noch mal zu überprüfen, ob Art und Nutzung gerechtfertigt sind. Ich bin die Erste, die sagt: Wir brauchen keine leerstehenden Bürogebäude. Aber da steht diese Entschädigungsfrage im Raum. Wenn der Finanzsenator sagen würde, wir bezahlen das, dann sind wir die Letzten, die auf diesem Projekt bestehen. Aber das wird ein schweineteures Ding. Ganz pragmatisch: Wir haben da diesen Vertrag, und die einzige Frage ist: Wie machen wir da noch was Gutes daraus?« Eine Frau mit rosarotem Regenschirm erhält das Mikrofon: »Vielen Dank für Ihr pragmatische Einschätzung. Das meine ich ganz unironisch. Aber was mich als Bürgerin beschäftigt ist, dass Sie die Zukunft nicht im Blick haben.« Gerade als Pragmatikerin müsse sie doch zweifeln an diesem Konzept. »Gehen Sie doch mal in die Trabantenstädte, da sehen Sie, wie das später aussehen wird.« Die Frau unter dem dunkelrotem Schirm hat dagegen gar kein Verständnis für Pragmatismus: »Ich bin ehrlich gesagt entsetzt! Wie Sie sich hier immer wieder auf den Senat herausreden! Immer heißt es: Wenn der Senat bezahlt, dann machen wir mit. Ich fühle mich hier verarscht. Ich erwarte eine klare Position der SPD. Ich stehe hier im Regen, weil ich wissen möchte, wofür Sie inhaltlich eigentlich eintreten. Und dazu habe ich nichts von Ihnen gehört. Es stimmt, Sie sind Pragmatikerin. Vielleicht muss man das ja sein als Politiker heutzutage. Aber Sie haben ja nicht einmal eine Meinung!« »Ich habe sogar eine ganz klare Meinung!«, verteidigt sich die Fraktionsvorsitzende. »Und ich sag´s Ihnen ganz offen und ehrlich: Auch ich würde mir wünschen, dass diese Grundstücke nicht in den Händen von privaten Immobilienentwicklern sind. Ich stehe hier aber und sage Ihnen nicht, was ich gerne hätte, sondern ich sage Ihnen, was ist und was man daraus noch machen kann.« »Das ist kein Pragmatismus, das ist Fatalismus!« murmelt ein alter Mann. »Wo bleiben da die Visionen?« Ein anderer schnappt sich das Mikro: »Ich finde es blamabel, dass hier lauter Leute von der SPD stehen, die mit den Schultern zucken und sagen: Ich war ja damals gar nicht dabei. Und wir müssten das jetzt alle akzeptieren. Warum sollen wir denn immer akzeptieren?« Die Regenschirme beginnen zu wackeln, man benötigt jetzt alle Hände zum Applaudieren. Aber mit Argumenten ist Politikern nicht beizukommen. Noch bevor die Redner auf der Bühne das Wort ergreifen konnten, hatte Lars Rauchfuß, sozialdemokratischer Senatsvertreter, vor laufender Fernsehkamera erklärt, wo das Problem liegt: »Es muss eine Lösung gefunden werden, die am Ende nicht zu Schadensersatzforderungen führt. Wir können als Haushaltsgesetzgeber im Land Berlin nicht einfach von Verträgen abweichen, die dann am Ende Hunderte von Millionen kosten. Das wird nicht gehen.« Den Satz wiederholt er später noch einmal. »Das wird nicht gehen!« Doch das sehen die Regenschirme nicht ein. »Warum eigentlich nicht?«, fragt jemand im Publikum. Der Regen trommelt so laut auf die Schirme, dass die Frage überhört wird. »Natürlich würde das gehen!«, antwortet eine Frau unterm Schirm. »Wenn die nur wollen!« Lars Rauchfuß macht der Regenschirmfraktion allerdings wenig Hoffnung darauf, dass sie wollen könnten. »Glauben Sie mir, dass da am Ende eine gewaltige Forderung steht.« Von mehr als 100 Millionen ist die Rede. Und damit - so zumindest suggeriert es die Mimik des Redners - sei die Sache entschieden. Danach schimpft Rauchfuß noch ein bisschen auf den grünen Baustadtrat, der seine Hausaufgaben nicht mache, um unumwunden auf das Lieblingsthema seiner Partei zu sprechen zu kommen: »Bezahlbares Wohnen.« Und dazu müsse man eben auch mal in die Höhe bauen. Die Position, dass ein Hochhaus kein »klimafreundlicher Bau sein kann«, die halte er sowieso »für eine Mär«. Matthias Bauer von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck, einem Zusammenschluss mehrerer Bürgerinitiativen, die das Gleisdreieck retten möchten, zählt einige der Bausünden auf: Die 100%ige Versiegelung des Bodens, die Missachtung des Denkmalschutzes, das Überschreiten der vereinbarten Baumasse. Und er rechnet vor, um wieviele Quadratmeter es eigentlich geht und wie hoch die Entschädigungsforderungen höchstens ausfallen dürften. Doch selbst wenn Rauchfuß recht behielte und es 100 Millionen wären: Wäre das zuviel für die Rettung eines viel genutzten, preisgekrönten Stadtparks? Wäre das nicht ein angemessener Beitrag zum Schutz des Klimas. Dieser Sommer habe es doch vor Augen geführt, »Hitze, Dürre, Überschwemmungen. Aber wir schaffen es einfach nicht, umzusteuern! Das Projekt »Urbane Mitte« ist dafür ein Beispiel.« Die Grünen und die Linken im Bezirk, sagt Bauer, »wollen den Bauplan in dieser Form ablehnen!« Er rät der SPD dringend, sich auch dagegen auszusprechen. »Nur dadurch entsteht der Druck, noch mal neu zu starten und die Fehler zu korrigieren.« Hätte es den Widerstand der Bürger nicht gegeben, dann wäre bereits im Mai 2021 das Baurecht ausgesprochen worden. Dann würden schon jetzt die Bagger rollen. »Unsere Argumente haben dazu geführt, dass die ursprünglichen Pläne noch einmal zurückgezogen wurden.«, sagt Bauer. Da regt sich noch einmal das Gretchen unter einem Regenschirm: »Frau Lupper, Sie haben doch eine klare Meinung! Sie hätten doch auch lieber eine Wiese. Werden Sie ablehnen oder nicht?« »Ob ich den Bauplan ablehne oder nicht, kann ich noch nicht sagen, ich kenne den Antrag ja noch gar nicht! Aber ich sags ihnen ganz offen: Wenn ich zustimme, dann nur aus finanziellen Gründen.« Noch einmal meldet sich die Frau mit dem dunkelroten Schirm: »Sie reden nur von Geld! Es geht um den Park, und der Park braucht keine Häuser mehr! Erst recht keine Hochhäuser. Stellt Euch das doch mal vor, 90 Meter hohe Türme! Ob da Wohnungen oder Büros reinkommen, ist doch vollkommen egal. Es darf hier nicht gebaut werden!« Herr Rauchfuß sieht alles gelassener: »Nehmen Sie´s mir nicht übel«, beschwichtigt er zum Abschluss der Veranstaltung und versucht, die sieben Wolkenkratzer kleinen zu Bauklötzchen herunterzuspielen. »Ich kann Ihnen sagen, dass es in ganz Berlin keinen Bebauungsplan gibt, um den nicht mit Bürgern gestritten werden muss.« Es ist Herbst, Regenschauer fegen über den Park. Demnächst kommt der dritte Entwurf für das Bauprojekt zur Abstimmung. Bauer sagt: »Wir bereiten uns darauf vor, dass das Baurecht erteilt werden wird. Aber wir werden dagegen klagen. Wir haben bereits 9000 Euro an Spenden gesammelt, um den Anwalt zu finanzieren.« • |