Kreuzberger Chronik
November 2022 - Ausgabe 244

Mühlenhaupts Erinnerungen

Sonja


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von Kurt Mühlenhaupt

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Natürlich verirrten sich in das Atelier eines fast schon berühmten Berliner Malers nicht nur gichtkranke Kunstsammler und versoffene Lebenskünstler, sondern mitunter auch junge Frauen. Eine von ihnen hieß Sonja. Er hielt sie für eine nur vorübergehende Bekanntschaft, aber die Geschichte zog sich hin, und so widmete ihr Kurt Mühlenhaupt immerhin zwei Seiten.

»Viele junge Mädchen kamen nach Berlin, um sich einen Studenten zu angeln. Wer kein Geld mitbrachte und den Freund nicht gleich fand, mußte sich eine Arbeit suchen. So ging es auch Sonja. (...)

Ich nahm sie mit in die Lüneburger Heide. Dort feierten wir ein Fest, an dem viele meiner Freunde teilnahmen. Sie fand sofort einen Freund. Doch diese Liebe dauerte leider nur eine Nacht, und sie kam wieder zu mir. Ich war noch immer eifersüchtig und konnte ihr den Ausrutscher nicht verzeihen. Sie hingegen wollte mir beweisen, daß ihr die Männer nur so nachliefen und stellte mir einen netten jungen Mann namens Hansi vor, den sie wenig später in meinem Atelier heiratete. Denn so schnell kam sie von mir nicht los. Ich freute mich für sie, richtete ihr das Fest aus und spielte gern den Trauzeugen.

Das Glück schien auch vollkommen. Er nahm seine Frau mit nach Mainz. Dort bekam sie zwei Jungen. Nun war ich sie endgültig los. So dachte ich. Aber seit zwanzig Jahren besucht sie mich regelmäßig und hat stets viel zu erzählen. Die Ehe hielt nicht ewig. Sie spart jedes Jahr ein paar Mark und nimmt ein Ölbild mit. Mit der Zeit hat sie eine bedeutende Sammlung kleiner Bilder von mir, denn sie hat einen Blick dafür. Sie umarmt mich in jedem Jahr. Wenn Hannelore dazukommt, dann messen sie sich und sie sagt: »Er hätte mein Mann werden können!«

Und Hannelore sagt: »Ja, dann hättest du bei ihm bleiben müssen!«

Entnommen aus Kurt Mühlenhaupts autobiographischem Werk in 11 Bänden, erhältlich im Kurt Mühlenhaupt Museum, Fidicinstraße 40


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