Kreuzberger Chronik
November 2022 - Ausgabe 244

Hausverbot

Keine Frage des Geschmacks


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von Horst Unsold

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Emin hat ein Café in der Unterstadt. »Die Unterstadt«, erklärt er, »das ist das alte Kreuzberg 36. Alles, was nördlich vom Landwehrkanal ist, Chamissoplatz, Marheinekeplatz, das alles ist Oberstadt. Das war schon immer etwas teurer, und als die Mauer fiel und die Stadt plötzlich Geld hatte, um die alten Häuser zu restaurieren, wurde es unbezahlbar. Hier unten ist es noch o.k.«

Emin ist ein echter Kreuzberger, »im Urban geboren und in der Schule immer in der letzten Reihe.« Was er gelernt hat, das hat er vom Leben gelernt. Zu den wichtigsten Lektionen gehört folgender Satz: »Was du nicht mit Leidenschaft machst, lässt du besser ganz bleiben.«

Also stehen Emin und seine Frau schon morgens um vier auf, um zu kochen und zu backen. Jeden Morgen. Sie können stolz sein auf das Baklava, den Kuchen, den Börek. Alles ist mit Leidenschaft gemacht. Vor allem die Zigarrenböreks. »Wir füllen die mit Kräutern und Käse und backen sie in Olivenöl goldbraun. Nur so zehn, fünfzehn Stück. Die sind am Abend immer noch knusprig und frisch!«

Das konnte die Touristin nicht wissen, die von Emin verlangte, die Röllchen in der Mikrowelle aufzuwärmen. Er sah sie ungläubig an und sagte: »Aber dann wird das ja ganz labberig!« – »Ich liebe Labberiges!«, sagte die Frau. Vor ein oder zwei Jahren hätte Emin den Kopf geschüttelt und gesagt, das bringe er nicht übers Herz, sie möge sich woanders etwas zu essen holen. »Aber ich habe dazugelernt. Ich bin jetzt schon viel professioneller. Ich hab ihr das labberige Teigröllchen an den Tisch gebracht und sie hat gelächelt und fand es super!«

Kürzlich, morgens um halb sieben - Emin war gerade mit den Vorbereitungen fertig - steht so ein Typ mit seiner Freundin da, wahrscheinlich späte Heimkehrer von einer Party. Der sieht Emin an und fragt: »Würden Sie mir Ihren Kaffee empfehlen?«

Emin überlegt. Ihm fehlen die Worte. Was soll die Frage? Ist sie lustig, bösartig, arrogant? Natürlich ist der Kaffee gut! Wer ein Café betreibt, lebt vom Kaffee. An den Speisen verdient ein Wirt nichts, das ist zu viel Aufwand. Kaffee besteht zum Großteil aus Wasser. »Wenn ein Wirt schlechten Kaffee macht, hat er den Beruf verfehlt!«, sagt Emin, dem noch heute keine richtige Antwort einfällt für den jungen Mann mit seiner jungen Freundin.

Er hätte sagen können, dass auch Kaffee nur eine Geschmack-sache sei. Oder dass es nichts gäbe in diesem Raum, das er nicht auch selbst gerne esse oder trinke. Aber er kriegt das nicht über die Lippen an diesem Morgen. Er schaut den gutgelaunten Mann an und sagt: »Gehen Sie doch bitte in ein anderes Café und fragen Sie da nach. Und dann können Sie zurückkommen und mir sagen, was man ihnen geantwortet hat.«

Das Paar war irritiert und ging. Aber es kam nie zurück.


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