Kreuzberger Chronik
Mai 2022 - Ausgabe 239

Kreuzberger
Suli Puschban

Ich hab die Schnauze voll von Rosa


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von Eva Maria Lörzer

Titelfoto: Dieter Peters

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Das Haus ist ein Refugium: Hinter der sanierten Stuckfassade der Hausnummer 58 versteckt sich ein Treppenhaus mit Villa-Kunterbunt-Flair: In den Zwischengeschossen befinden sich ein Bücherregal, eine Yucca-Palme mit einem Plastikaffen und ein kaputter Spiegel mit Monroe-Poster. Ein Zettel mit Aufdruck »Das Haus ist so schön. Man müsste es besetzen« erinnert an die Vergangenheit: Bis in die Achtzigerjahre war das Haus besetzt. Heute leben hier Frauen auf 15 Wohnungen verteilt in einer Gemeinschaft mit monatlichem Plenum. Unter ihnen auch die Kindermusikerin Suli Puschban und ihre Partnerin, eine aus Südafrika stammende Künstlerin.

In einer Tür im obersten Stock steht Suli Puschban zusammen mit einem kleinen braunen Pudel mit Regenbogenhalsband und bittet mit breitem Lächeln und charmantem Wiener Dialekt mit den Worten: »Willkommen in meinem Refugium!« in ihr zweistöckiges 50-Quadratmeter-Atelier. Darin: Ein Schreibtisch mit Musik-Equipment, Büchern, Gitarren und CDs; ein Sofa, ein Sessel, eine kleine Teeküche und ein winziges WC. Das Atelier sowie eine separate 50-Quadratmeter-Wohnung im Erdgeschoss teilt sie sich mit Pudel Maxim und ihrer gerade verreisten Partnerin. Die beiden Frauen haben sich 2014 auf einem Musikfestival in Wales kennengelernt und wussten bereits nach drei Wochen, dass sie zusammenleben wollten. Mittlerweile teilen sie nicht nur ihr Leben, sondern unterstützen sich auch künstlerisch. Ihre Freundin, erzählt Suli Puschban, habe unter anderem die Textvorlage zu »The Southern Cross« geschrieben und den Bären auf dem Cover ihres Albums »Dare to dream« gestaltet: »Dass ich sie getroffen habe, ist das Schönste in meinem Leben.«

Gürteltiere, Bären und Löwen: Auf Suli Puschbans Schreibtisch liegt eine graue Gürteltierfigur. Gürteltiere gehören neben den Bären und den Löwen zu ihren Lieblingstieren. »Suli kommt von Ursula, und das bedeutet kleine Bärin und der Löwe ist mein Sternzeichen«. Die Liebe zu den Gürteltieren erwachte, als sie John Irvings Roman Owen Meany las: »Das war lange mein Lieblingsbuch.« Ihr Lieblingskinderbuch war natürlich eines von Astrid Lindgren, und es trug den Namen eines burschikosen Mädchens, das sogar die jüngste Generation noch ebenso gut kennt wie ihrerzeit die kleine Ursula: Pippi Langstrumpf.

Als sie noch Kind war, spielte ihr Vater oft nachts Klavier: »Das habe ich sehr genossen, wenn mein Bruder und ich im Bett lagen und er unten gespielt hat.« Kinderlieder hörte sie kaum: »Eher Tschaikowsky.« Mit 13 bekam sie ihre erste Gitarre. Mit 19 entdeckte sie das Singen für sich und begann, Lieder zu schreiben. Da sie keine deutschen Vorbilder hatte, zunächst auf Englisch. »Hinterm Mond« von Element of Crime war ein Erweckungsmoment: »Da dachte ich: Geht doch. Man kann auch auf Deutsch Lieder machen, die schlau sind und richtig Spaß machen.«

Bild: Nina Warneke

Suli Puschban ist in Nürnberg geboren. Sie ist in Wien aufgewachsen und hat Pädagogik studiert. In Wien hat sie in einer Krisenhotline für vergewaltigte Frauen und Mädchen gearbeitet. Seit ihrem Umzug nach Berlin Mitte der Neunzigerjahre arbeitet sie als Horterzieherin an einer Kreuzberger Schule. Über die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist sie zur Kindermusik gekommen. Ein Kollege fragte eines Tages, ob sie nicht Musik mit den Kindern machen wolle. Sie zögerte. Sie haderte mit ihrer Stimme: »Ich fand sie nicht schön genug. Die Kindermusik hat mich daraus befreit.«

In ihren mal poetischen, mal lustigen, mal kämpferischen Kinderliedern stampft sie rockig mit dem Fuß auf. »Ich wünschte, es würde auch eine Punkband geben, die Musik für Kinder macht.« Kindermusik habe einen schlechten Ruf: »Kinder haben keine Lobby. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben die Kindermusik nach und nach weggekürzt.« Dabei gebe es im deutschsprachigen Raum eine große Bandbreite guter Kinderliedermacherinnen und Liedermacher, die den Anspruch hätten, Kinder durch ihre Musik zu stärken. Mit etwa 50 von ihnen ist sie über das Netzwerk kindermusik.de verbunden. Das wurde vor über 20 Jahren gegründet, um »das Kulturgut Kinderlied zu hegen und zu pflegen«.

Genau das macht Suli Puschban bis heute. In ihren Liedern greift sie Themen auf, die ihr in der Schule begegnen oder die sie persönlich berühren. Dabei entstehen rockige Songs mit Titeln wie »Supergirl« oder »Rosa Parks bist du« oder »Meine Mamas sind genial«. Sie alle sind keine naiven Kinderlieder mehr wie annodazumal, sondern moderne und gesellschaftskritische Kulturbeiträge: »Für mich ist das Private immer politisch. Das, was ich mache, steht in der feministischen Tradition.« Das am meisten gesungene Lied ist »Der Wurm«, ein Lied über alles, was schiefgeht. Ihr bekanntestes ist »Ich hab die Schnauze voll von Rosa« – eine fiktive Begegnung mit Prinzessin Lillifee. »Ich wollte schon immer ein Anti-Rosa-Lied schreiben, aber ohne moralischen Zeigefinger. Daher habe ich mich gefragt: Was würde Lillifee sagen?«

. Bild: Privatarchiv Suli Puschban

Als Suli Puschban sich eine Begegnung mit Prinzessin Lillifee ausmalte, befand sie sich gerade in einer Krise. »Ich habe mich gefangen gefühlt.« Unter der Woche arbeitete sie als Erzieherin in der Schule, an den Wochenenden in einem Frauenzentrum im Berliner Umland, das sie mit Freundinnen vor beinahe einem Vierteljahrhundert aufgebaut hatte. Für die Musik blieben da nur noch die Nächte. Mit dem Ende des Liedes, bei dem sich Prinzessin Lillifee von allen Erwartungen an sie befreit, hat sie sich gleichsam selbst Mut gemacht. Der als Empowerment für Kinder gedachte Refrain: »Ich mach jetzt, was ich will!« wurde zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: »Ich bin mutiger und lauter geworden. Und ich habe es geschafft, von meiner Musik zu leben.« Mittlerweile arbeitet sie nur noch neun Stunden an der Schule und konzentriert sich ansonsten ganz auf ihre Musik. Wobei die Schule nach wie vor ihre Basis und ihre wichtigste Inspirationsquelle ist.

Auch in der Schule sieht sie ihre Hauptaufgabe darin, die Mädchen zu stärken. »Da erlebe ich täglich, dass die Mädchen nicht zu Wort kommen, während die Jungs quatschen – obwohl sie nichts zu sagen haben.« Auch in den Medien sei es für Frauen noch immer schwerer, sichtbar zu werden: »Neulich wurden in einer Sendung zehn Bands vorgestellt, die gute Musik machen. Alles nur Männer!« Bei dem Satz schnellt Suli Puschban plötzlich aus ihrem gemütlichen Ledersessel hoch und ruft empört: »Alter! Wie kann das sein?«

Eine Freundin, erinnert sie sich, hat einmal zu ihr gesagt: »Du hast nicht Erfolg, weil du bist, wie du bist, sondern obwohl du bist, wie du bist.« Auf Konzerten fragen die Kinder sie oft: »Bist du ein Junge oder ein Mädchen?« Sie zuckt mit den Schultern: »Ich war schon immer sehr burschikos. Die Leute haben oft geglaubt, dass ich ein Junge bin.« Gestört hat sie das nie. »Ich kann mich nicht erinnern, dass sich je jemand getraut hätte, mich deswegen aufzuziehen.« Nur in der zweiten Klasse habe ein Junge sie mal mit seinem Rad eingekreist: »Ich habe ihn vom Rad geschubst. Danach war Ruhe.« Sie grinst. Die Situation habe sich ihr eingeprägt: »Dass Mädchen sich nicht wehren sollen, würde ich nie unterschreiben.«

Schon als Kind war Winnetou ihr »großer Held. Ich hatte sogar einen Starschnitt von Pierre Brice in meinem Kinderzimmer hängen.« Eine weibliche Identifikationsfigur dagegen hatte sie nie: »Wenn du ein Mädchen bist, wie ich es war, gibt es kaum Rollenvorbilder. Ich war immer auf der Suche nach einem.« Jetzt möchte sie ein alternatives Rollenvorbild für andere sein. Vielleicht so eine Art weiblicher Winnetou. Der war auch immer für Frieden. Gerade arbeitet sie an einem Friedenslied, darin heißt es:



... ein zartes Licht, das vom Frieden spricht

überwindet alle Grenzen

ich grenz‘ an dich, du grenzt an mich

wir sind eins wie ein Pinselstrich ...





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