Kreuzberger Chronik
Juni 2022 - Ausgabe 240

Literatur

Tödliches Vergessen


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von Connie Roter

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Breschnow war froh, an der nächsten Station aussteigen zu müssen. Langsam schob er sich mit den anderen Stufe für Stufe hoch ins Tageslicht. Überall Autos, Stoßstange an Stoßstange. Es stank fürchterlich. Breschnow hielt die Luft an. Seit der Reha hatte sich sein Geruchssinn verändert, war jetzt übersensibel und verstärkte alles. Unpraktisch, wenn man in einer Großstadt lebte.

Breschnow ging an der Markthalle vorbei und die Friesenstraße bis zur alten Backsteinkaserne hoch. Ihr Anblick wärmte sein Herz. Gemächlich umrundete er das Gebäude, warf immer wieder einen Blick auf das Gelände dahinter, stellte erfreut fest, dass sich seine Dienststelle nicht verändert hatte, bog in die Golßenerstraße ein, passierte die Schranke und betrat seine Abteilung durch die Hintertür. Er sog den vertrauten Geruch nach Linoleum ein und stieg die Treppen hinauf. An der Glastür verharrte er einen Moment lang, genoss den vertrauten Blick in den langen Flur mit dem blauen Bodenbelag und ihm wurde bewusst, wie sehr ihm seine Arbeit gefehlt hatte. Er sah seinen Kollegen aus dem Büro treten, den Flur überqueren und im Besprechungsraum verschwinden, gab sich einen Ruck und folgte ihm. Schmitti stand mit dem Rücken zur Tür an der kleinen Küchenzeile und goss sich Kaffee ein.

»Kann ich auch einen haben?«, fragte Breschnow.

Der Computerfachmanndrehte sich zu ihm um und lächelte. »Schön, dich zu sehen. Du kommst gerade richtig. Wir haben eine tote Frau in der Hasenheide. Sie hatte keine Papiere bei sich. Delego hat mir ein Foto geschickt, aber das Gesichtserkennungsprogramm hat bisher noch keinen Treffer gemeldet. Trinkst du deinen Kaffee immer noch schwarz?«

»Immer noch schwarz«, antwortete Breschnow.

Schmitti reichte ihm die Tasse: »Wirklich prima, dass du zurück bist.«

Breschnow grinste und steuerte die Tür am Ende des Flurs an. Seit vier Monaten hatte er sein Büro nicht mehr betreten. Es roch nach Raumspray und starken Reinigungsmitteln, die aber den Nikotingeruch nicht völlig überdecken konnten. Er setzte sich an den Schreibtisch und öffnete die Schublade. Der vertraute Flachmann war verschwunden. Stattdessen lagen drei sauber angespitzte Bleistifte und zwei blaue Kugelschreiber neben einem Notizblock, von dem ein handgezeichneter Smiley zu ihm hochlächelte.

Breschnow sprang auf und eilte zum Büro seines Kollegen. »Sag, wo genau liegt die Tote?«

Entnommen aus Connie Roter, Tödliches Vergessen, Parlez Verlag 2021 , 16,90 € ISBN 978-3-86327-064-3, -


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