Kreuzberger Chronik
Februar 2022 - Ausgabe 236

Reportagen, Gespräche, Interviews

Eiche Nr. 182


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von Michael Unfried

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DIE EICHBÄUME

Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt’ und erzog und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Untereinander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht lässt, wie gern würd ich unter euch wohnen

Friedrich Hölderlin, 1797



Keinem Baum wurden so viele Gedichte gewidmet wie der Eiche. In ihrem Holz lagern alte Weine, Fachwerkhäuser aus Eichenholz überdauern Jahrhunderte, keine Rinde gerbt besser als Eichenrinde. Und kein Baum schmückt eine Landschaft eindrucksvoller als eine alte Eiche.

Eine von ihnen steht auf dem Friedrichwerderschen-Friedhof nicht weit entfernt von der Jüterboger Straße. So schön sie auch ist: Den vom Evangelischen Friedhofsverband beauftragten Architekten stand sie bei ihrem Entwurf für ein fünfstöckiges und 55 Meter langes Wohnhaus im Wege. Sie mussten um die Eiche herumplanen und einige Quadratmeter Wohnraum für die Anlage eines Hofes opfern. Der Baum dürfte auch die christlichen Bauherren gestört haben. Schließlich geht es beim Bauen in einer Stadt wie Berlin um jeden Quadratmeter. Nicht um den Erhalt von Naturschönheiten.

Die Eiche mit der Nummer FW182 steht unter Naturschutz. Ebenso wie die benachbarte Eibe unter dem Schutz der Berliner Baumschutzverordnung stand. Doch der alte Nadelbaum ließ just in jenem Jahr, in dem der Evangelische Friedhofsverband die Baugenehmigung für seine Wohnanlage erhielt, plötzlich die Nadeln fallen. Erst wurden sie hellgrün, dann braun, dann fielen sie ab. Der Baum war tot.

Das war womöglich kein Unglück, kein Zufall und auch keine Nachlässigkeit. Mehrmals hatten Naturfreunde die Friedhofsverwaltung darauf aufmerksam gemacht, dass die Gärtner die Eibe mit Laub und Baumschnitt zuschütteten. Als nichts geschah, wandten sie sich an das Bezirksamt. Das versprach, sich zu kümmern, doch so grün man in Friedrichshain- Kreuzberg auch wählte und dachte: Nichts geschah. Man sei für den Friedhof nicht zuständig.

Jetzt lagern die Gärtner den Müll bei der Eiche. Sie machen das nicht, weil es keinen Platz gäbe, nicht, weil sie nicht wüssten, dass das dem Baum nicht gut tut. Die Gärtner sind die Arbeiter. Handlanger. Sie handeln auf Anweisung, im Auftrag. So wie alle Arbeitnehmer.

Nun droht dem alten Baum ein ruhmloses Ende im Müllberg zwischen ausrangierten Sitzbänken, Drahtzäunen und faulendem Laub. Es ist ein trauriges Bild, bei dessen Anblick Hölderlin wahrscheinlich die Tränen gekommen wären. Tränen der Wut.

Die Pflege der Natur hat auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße keine Priorität. Sie ist zu teuer. Doch wenn sich anstatt der teuer bezahlten Gärtner die Grabbesitzer selbst um das Grün kümmern, reagiert die Verwaltung pikiert. »Jetzt haben sie uns sogar die Gießkannen weggenommen!«, beklagt sich eine ältere Frau, die sich um das Grab ihres Ehemannes kümmert. »Ich hatte sie in einem Busch versteckt und angekettet. Die Gärtner haben die Kette einfach mit der Flex oder dem Bolzenschneider durchgetrennt.«

Ebenso wie den Gieskannen erging es den Bänken, die einige vor den Gräbern ihrer Angehörigen aufgestellt hatten. Kurz vor Weihnachten verschwanden die privaten Sitzgelegenheiten. Zur Über- raschung ihrer Besitzer. Die undatierte Ankündigung der Säuberungsaktion am Schwarzen Brett hatte kaum jemand gelesen. Es gab Beschwerden. Tillmann Wagner, Geschäftsführer des evangelischen Friedhofsverbandes, spricht von Reaktionen »unterschiedlichster Art«. Die meisten dürften unerfreulich gewesen sein. »Das private Aufstellen von Bänken, ohne Rücksprache mit der Friedhofsverwaltung ist laut Friedhofsgesetz nicht erlaubt. Eine einvernehmliche Absprache mit den Bankbesitzern hat leider nicht stattgefunden.«, rechtfertigt die Verwaltung ihr Vorgehen.

»Seit Jahren«, erzählt eine Witwe aus der Nachbarschaft, »läuft hier einiges schief.« Hinter der Kapelle gegenüber des Blumenladens standen einmal ein uralter Rosenstock und einige Obstbäume. »Da haben sie alles abgeholzt! Jedes Jahr musste irgendwas dran glauben. Zuletzt stand nur noch die Quitte. Die ist jetzt auch weg. Wahrscheinlich, damit noch ein paar Autos mehr auf den Friedhof passen.« Parkplätze sind begehrt in Kreuzberg. Manche bringen sogar Geld.

Auch die Birke am Grab des Fotografen Wolfgang Krolow fiel der Kettensäge zum Opfer. Jetzt steht die Bank im Freien, ungeschützt vor Sonne und Regen. Es ist ungemütlich geworden bei Wolfgang Krolow. Tamara Schmitt, die seit vielen Jahren täglich die Friedhöfe besucht und die Vögel füttert, beklagt, dass immer massiver abgeholzt wird, und dass den Rodungen die letzten Schutzräume und Nistplätze zum Opfer fallen. »Selbst Allerweltsvögel wie Buchfinken, Amseln, Rotkehlchen und Stieglitze sind rar geworden. Mit jedem Busch, der abgeholzt wird, werden es weniger. Ich sehe das auch an den Futterstellen. Noch nie ist so viel Futter übrig geblieben!«

Weiter hinten, berichtet die Vogelfreundin, wurden gerade elf gesunde Bäume gefällt. Das offizielle Argument: Gebüsche und Bäume würden den Friedhof zum Drogenumschlagplatz für Junkies machen. »Das habe ich auch schon gehört.«, lacht ein Nachbar aus der Heimstraße, der von seinem Fenster auf den Friedhof blickt. »Lächerlich! Natürlich sitzen auf den Bänken auch die Junkies, genauso wie Grabbesitzer, Väter mit Kinderwagen, Liebespaare, und Studenten, die im Sommer ihre Pflichtlektüren durchblättern. Die komplette Kreuzberger Mischung eben. Die Junkies sind nur ein vorgeschobenes Argument. Die Bäume machen Arbeit und stehen den Maschinen im Weg. Das ist eine regelrechte Kahlschlagsanierung, die hier stattfindet.«

Doch die wird kaum bemerkt. Die Verwaltung achtet darauf, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Erst verschwindet hier ein Baum, dann daneben der Strauch. Und eines Tages ist die Stelle kahl und totenstill. Kein Insektensummen mehr, kein Vogelgezwitscher.

Naturschützer haben schon vor Jahren beklagt, dass es Pfarrer Quandts erklärtes Ziel gewesen sei, hier eine Landschaft aus Rasen und Grabsteinen entstehen zu lassen. Steine in Reih und Glied. Bäume sollten, mit einigen Ausnahmen, nach der Vorstellung der Grauen Eminenz der Bergmann-Friedhöfe nur entlang der sogenannten Alleen stehen.

Die alte Eiche ist eine dieser Ausnahmen. Sie unterliegt auf Grund ihres Alters und ihrer Größe der Berliner Baumschutzverordnung, unabhängig davon, auf wessen Boden sie wurzelt. Verantwortung und Pflege allerdings obliegen dem Friedhof. Aber der Müllberg an ihrem Stamm wächst. Gleich daneben, an der Mauer des Wirtschaftshofes, türmt sich ein Berg von Gießkannen. Nicht weit davon liegen auch die entsorgten Friedhofsbänke.

Die Pflege eines denkmalgeschützten Kulturgutes sieht anders aus. Schutzlos stehen die steinernen Engel und Jesus-Statuen in Wind und Regen, bedroht von einstürzenden Wänden, mit enthaupteten Köpfen. Sie symbolisieren den Verfall. Die Verwaltung verweist zur Rechtfertigung auf den leeren Klingelbeutel. Doch wie leer die Kirchenkassen wirklich sind, weiß Gott allein. Bei diesem Spiel lässt man sich nicht in die Karten schauen.

Das Bauprojekt an der Jüterboger Straße sollte die Rettung aus der finanziellen Misere sein. Mit diesem Geld, so argumentierte schon Tillmann Wagners Vorgänger, würde man Bäume, Wege und historische Grabmäler erhalten können. Doch das Projekt scheiterte am Widerstand einer Bürgerinitiative, die 5000 Unterschriften gegen den Bau sammelte, und an den Bedenken des Landesdenkmalamtes gegen den Neubau. Die Denkmalschützer verhandelten eine Klausel in die Baugenehmigung, die nur auf der unsicheren Basis des zeitlich befristeten Sonderparagraphen 246 zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften erteilt wurde. Die Klausel verpflichtete den Bauherren, zurückzubauen, sobald der Bedarf an Flüchtlingsunterkünften ausbleibt.

Dieses Risiko war dem Friedhofsverband zu groß. Also suchte er nach einem Investor, jedoch ohne Erfolg. Gespräche mit den landeseigenen Baugesellschaften blieben erfolglos. Sogar der juristisch schwierige Verkauf des Grundstückes wurde erwogen. Umsonst. Inzwischen ist die Baugenehmigung abgelaufen. Ein neuerlicher Antrag werde, so Tillmann Wagner, »derzeit nicht« in Betracht gezogen.

Doch »derzeit« ist nicht ewig, und wirklich trennen können sich die evangelischen Visionäre von der Vorstellung eines Wohnhauses im Grünen offensichtlich nicht. Das offensichtliche Attentat auf die Eiche ist dafür nur ein Indiz von vielen. Seit 25 Jahren schon steht der Streifen an der Jüterboger Straße für die letzte Ruhe nicht mehr zur Verfügung. Auch der nördliche Rand des Friedhofes wird vorsorglich nicht mehr belegt. Nirgends sonst würden sich höhere Quadratmeterpreise erzielen lassen als im Grünen an der Bergmannstraße.

Tatsächlich dringen Gerüchte durch die trügerische Stille über vertrauliche Gespräche zwischen Senat und Friedhofsverband. »Konkretes« hört man »derzeit nicht«, aber es wäre denkbar, dass ein neuer Flächennutzungsplan des Senats die umstrittene Fläche eines Tages zu Bauland erklärt. Das ginge nicht ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und nicht von heute auf morgen. Aber es ginge.

Die Eiche ist kein eingetragenes Naturdenkmal, aber sie ist ein Naturmahnmal. Der Müll an ihrem Stamm stimmt nachdenklich. Er macht nur Sinn, wenn die Eiche loswerden möchte. Weil sie auch künftigen Friedhofsbesitzern und Stadtplanern noch im Wege stehen würde. Man baut vor. Damit, wenn eines Tages ein neuer Flächennutzungsplan vorliegt, unverzüglich die Bagger anrollen können. Wenn es darum geht, einmal mehr ein weiteres Stück Grünland in Bauland zu verwandeln. Zum vermeintlichen Wohl der Stadt und ihrer Bürger. •


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