Dez. 2022/ 2023 - Ausgabe 245
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Whisky, Gin & Co von Sebastian, Schneider |
Jens kann reden wie ein Buch. Schließlich ist er Germanist. Auch Lars kann reden. Lars ist Romanist. Trinken können sie wahrscheinlich beide. Zumindest können sie Romane erzählen von Whisky, Rum, Grappa, Gin oder Kaktusschnäpsen. Beide verkaufen seit Jahren Spirituosen für Dominik Galander, entweder in seinen Bars oder in Galanders Schnapsladen. »Der Unterschied zwischen dem Mezcal und dem Tequila liegt in den verschiedenen Agaven«, erklärt Jens. »Tequila wird aus der Blauen Weber-Agave gebrannt, benannt nach ihrem Entdecker Herrn Weber. Der Mezcal stammt von verschieden Wild-Agaven, die brauchen manchmal 15 Jahre, bis sie reif sind für die Ernte. Deshalb ist Mezcal auch ein bisschen teuer. Es ist überhaupt kein Problem, da mal 100 Euro für eine Flasche auszugeben. Man braucht etwa sieben Kilo Früchte für eine Flasche, und ein Kilo von den stachligen Früchten kostet schon einen Euro. Zuckerrohr bekommt man für ein paar Cent. Und dann kommt noch hinzu, dass uns die Amerikaner gerade alles wegtrinken.« Mezcal ist in den Staaten gerade groß in Mode. Agaven-Spirituosen, sagt Jens, sind die aufwendigsten. Aber nicht unbedingt die teuersten. Es gibt einige Raritäten in Galanders Schnapsladen, die haben erstaunliche Preise. Zum Beispiel »Booth´s Finest Dry Gin«. Das dickbäuchige Keramik-Fläschchen steht in einer alten Vitrine neben anderen Attraktionen des Ladens. »Wir gehören zu den letzten Händlern, die noch ein paar Flaschen davon haben. Das ist der Gin, den Queen Mom immer trank.« Gott hab sie selig. Das Lieblingsfläschchen der Königin, die nicht nur Tee, sondern täglich auch ein Gläschen Gin getrunken haben soll, kostet 300 Euro. Auch die Flaschen daneben schmücken sich mit dreistelligen Preisschildchen, eines ist gar vierstellig. Aber womöglich würde Dominik Galander es nicht einmal dafür hergeben. Galander ist Sammler. »Alle Flaschen da oben in der sechsten Reihe im Whisky-Regal sind unverkäuflich. Wäre auch etwas unpraktisch, wenn wir immer bis unter die Decke klettern müssten, um die Kundschaft zu bedienen. Das sind Marken, die es nicht mehr gibt, oder Flaschen, zu denen er eine besondere Beziehung hat.« Auch gegenüber, die Sammlung kleiner Musterfläschchen, die gut in die Puppenstube passen würden, sind unverkäufliche Sammlerstücke. »Das ist so was wie sein Museum.« Whiskytrinker haben Stil. Der Galander Liquor Store auch: der gebohnerte Parkettboden unter dem whiskyfarbenen Licht, die Sitz-ecke mit dem Kuhfell und dem großen Überseekoffer mit den Journalen, der Servierwagen mit dem hölzernen Globus, der vom Antiquitätenhändler nebenan stammen könnte, das alte Radio und die Vitrinen. Auch das große Regal aus der Porzellanfabrik, das sich über die gesamte Wand hinzieht und an dem noch die Schildchen hängen: Teetassen, Kuchenteller, Zuckerdosen. Manchmal kommen Freunde, rollen die eiserne Leiter am Porzellanregal entlang bis zu der Sparte, in der ihre Lieblingsflasche steht, steigen hinauf und ziehen zielsicher ihren Whisky heraus. Oder es kommen die Leute vom Café nebenan, nehmen sich eine Flasche Crema de Olba, den Sahnelikör, mit dem sie ihren Kaffee raffinieren, und verschwinden wieder. Zahlen können sie später. Oder Joschka, ein ehemaliger Mitarbeiter, betritt den Raum, während Jens gerade telefoniert, öffnet die Falltür, steigt in den Keller und kommt mit einer Flasche Aperol für seine Bar wieder herauf. Die meisten aber, die hereinkommen, wissen noch nicht, was sie wollen. Sie kommen so zwischen fünf und acht, sind auf dem Weg zu einer Party und suchen noch ein Geschenk. »Mindestens zwei Mal die Woche kommt einer und sagt, er suche einen bestimmten Whisky, könne aber nichts Genaues dazu sagen, außer: Das war so eine runde Flasche! - Hm! – Ich frage dann alles Mögliche ab, wie er schmeckte, welche Farbe er hatte, ob es ein schottischer oder ein irischer war. Wenn es kein schottischer – davon haben wir 70 Sorten! – sondern ein irischer war, dann ist die Auswahl nicht ganz so groß. Den kann man vielleicht wiederfinden. Aber wir haben natürlich nicht jeden Whisky, den irgendjemand irgendwo irgendwann mal getrunken hat.« Oder es kommt einer und möchte einen guten Gin für seinen Vater. Der Germanist reiht verschiedene Aromen auf: Himbeere, Johannisbeere, Physalis, oder »Zitrusaromen, die sind immer ein Thema. Oder dieser hier, der ist sehr geradlinig, viel Wacholder. Wacholder ist Pflicht. Gin ist Wacholderschnaps, der Wacholder verleiht ihm seinen typischen Geschmack. Aber der da, der kommt aus den Anden, der ist superfruchtig, und dieser da, der ist wirklich... « Jens ist Germanist. Jens kann reden wie ein Buch. Trinken kann er wahrscheinlich auch. Schließlich finden im Hinterzimmer abendliche Verkostungen statt, zwei mal die Woche, Gin, Rum, Whisky. Die kleinen Versammlungen sind längst Kult, mehr als 2000 Trinker kamen hier im letzten Jahr zusammen. »Aber es gibt nie mehr als zwölf verschiedene Getränke pro Abend. Sonst sterben hier Menschen.« Und das wäre stillos, wenn hier jemand sterben müsste, im stilvollen Ambiente eines englischen Kaminzimmers, »in dem nur der Kamin fehlt«, sonst ist alles da: gedämpftes Licht, Bücherregal und Ledersessel, die großen Wandspiegel, eine schottische Landkarte und historische Stiche von Südseelandschaften und tropischen Gewürzen. Es fehlen nur noch Billardtisch und Zigarrenkiste, und man könnte sich schon nach dem elften oder zwölften Glas in Schottland oder Irland wähnen in diesem spirituellen Laden in der Großbeerenstraße. • |