Kreuzberger Chronik
April 2022 - Ausgabe 238

Literatur

Hinterhaus vier Treppen


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von Rosa Rongsted

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Betrat man den kleinen Flur unserer Wohnung, lag linker Hand die Küche, und geradeaus ging es in die Stube. Unter der Decke des Flurs gab es einen Hängeboden, in dem alles verstaut wurde, was im feuchten Keller nicht gelagert werden konnte. Seit dem Bau des Hauses hatte man an den Wohnungen wenig verändert: Nach wie vor gab es nur die einfachen Fensterrahmen mit nur einer Glasscheibe, den Kachelofen in der Stubenecke, der bis zur Zimmerdecke reichte, den Kohleherd und das emaillierte Ausgussbecken in der Küche.

Das Zimmer, etwa zwanzig Quadratmeter groß, war die so genannte »gute Stube«. Meine Eltern benutzten sie tagsüber nur an Sonntagen, Geburtstagen und Feiertagen. In der übrigen Zeit diente sie als Schlafzimmer. Das zwei mal zwei Meter große Ehebett, mit den Nachttischen rechts und links daneben, nahm fast vollständig die linke Seite des Raumes ein. Gegenüber an der Wand stand ein Kleiderschrank. Diese Möbel stammten aus der ersten Ehe meiner Mutter und waren um die dreißig Jahre alt. Neben dem Schrank gab es ein Sofa mit einem Esstisch davor. Gegenüber der Fensterfront hatte ein kleiner Rauchtisch mit zwei Korbsesseln seinen Platz. In meinen ersten Lebensjahren wird dort mein Kinderbett gestanden haben. Eine Lampe hing mitten im Raum dicht unter der Decke. Ab dem Jahr 1963 gehörte ein Schwarz-Weiß-Fernseher mit Zimmerantenne zum Inventar.

Meine Eltern schliefen im Ehebett, meine Schwester auf dem Sofa, dessen Lehnen zum Schlafen herabgeklappt werden konnten. Bis zur Hochzeit und dem Auszug meiner Schwester im Jahr 1956 lebten somit vier Personen in den zwei Räumen. (...)

In der Küche fand das Alltagsleben statt. Öffnete man die Küchentür, sah man linker Hand in der Ecke den Kohleherd stehen, mit einem kurzen Rohr direkt an den Schornstein angeschlossen. Der Herd war mit Kacheln verblendet, ebenso die Wände der Herdecke. Die mit Lehm verstrichenen Schamottsteine umschlossen den Feuerraum mit Feuerrost und Aschenschublade, oben abgedeckt von einer eisernen Herdplatte mit runden Öffnungen, die mit Hilfe von Ringen - je nach Größe der Kochtöpfe - verkleinert oder vergrößert werden konnten. Neben dem Feuerraum war die Backröhre eingebaut. (...)

Da ein Badezimmer fehlte, wusch man sich mehr oder weniger gründlich mit Wasser und Seife vor der Waschschüssel, die in einem wackligen, dreibeinigen Gestell steckte. Als Kleinkind badete mich meine Mutter jede Woche in einer Zinkwanne. Im warmen Wasser zu sitzen liebte ich über alles. Wenn mir allerdings Seifenschaum in die Augen geriet, weinte und schrie ich und war kaum zu beruhigen. Mutter hatte kein Verständnis für meine Not: »Stell dich nicht so an, das bisschen Seife!«

Rosa Rongsted, »Hinterhaus vier Treppen - ein Arbeiterkind erzählt«, 2020, 12 Euro.-

Bestellungen an rorobedar@gmx.de und unter 03867 677 99 32


Erinnerungen an Bernd alias Schnafte


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von Anja Kießling

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Musik gemacht, geliebt, gelacht. Und heute? Manchmal bleibt mir das Lachen im Halse stecken. Wegen all jenen, die nicht mehr hier sind.

Ich höre gerade »Funny Valentine«. Jedesmal, wenn das Saxofon einsetzt, denke ich daran, wie schön es damals war mit Schnafte zu spielen, Saxofonist und Geigenbauer, Spezialist für Kontrabässe und ein Herzensmensch. Und wie toll es war, als wir zusammen bei der Band Sportpalast gespielt haben und er uns mit seinem großem Citroen bei Armin im Kraichgau rumgefahren hat [...]

Der Klang, die heiße Luft, der Ansatz, der Ton, die Liebe zur Musik, die er hatte. Sein großes Herz und seine integres Wesen! Wir hatten zeitweise zusammen eine kleine Bebop-Band – so klasse!

Und dann die Zeit bei ihm in seiner Werkstatt in Kreuzberg am Paul-Lincke-Ufer. Bemerkenswert. Für mich war der Ort ein Anknüpfungspunkt. Hier lernte ich Schlagzeug. Schnafte und sein Laden waren ein Mittelpunkt für viele Musiker, die bei ihm ein- und ausgingen.

Neben seiner Werkstatt hatte er einen kleinen Ladenraum mit lauter Akustik-Gitarren, (K.Yairi und andere) die alle an der Wand hingen! Die Jungs kamen immer nachmittags zum »Testen« vorbei und verbrachten dort ihre Zeit mit Guitarjams. Bernhard sah es mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn die Gitarren wurden zerschrammt und sollten doch eigentlich verkauft werden. Aber er mochte die Jungs.

Ich durfte dort eine Zeit lang Plektren und Saiten verkaufen und er arbeitete nebenan in seiner Werkstatt. Er öffnete, operierte, behandelte, leimte, schliff und lackierte die riesigen Kontrabässe, richtete die Griffbretter ab... . Der Duft von Holz und Leim, der auf der Werkbank leise simmerte, war so aromatisch und besonders - unvergesslich. Ich durfte tief ins Innere der großen Bässe blicken und Geschichten über Hölzer hören und wie selten sie inzwischen waren.

Bernhard war lange der »Hoflieferant« einiger renommierter Berliner Konzerthäuser. Und er fuhr oft über Land, um alte Instrumente zu »retten«. Als er 2018 starb, hinterließ er vier Kinder und seine Lebenspartnerin Eli, die seine letzte, wunderbar eingerichtete Werkstatt als kleines »Museum« hütet, draußen auf dem Land in Brandenburg.

Wir haben sie letztes Wochenende besucht und restliche Speaker-Kabinetts und Musikkram abgeholt, die sie auf den Sperrmüll werfen wollte. Das war an dem Tag vor dem großen Sturm »Sabine«.

Wenn ich heute das Saxofon höre bei »Funny Valentine«, gespielt von Rolf Römer, recorded von seinem Sohn Patrick Römer, merke ich dass ich ins Träumen komme, erst kommt die Gänsehaut, dann kullern die Tränen...

Entnommen aus Anja Kießlings unveröffentlichtem Manuskript, Berlin, 2022


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