September 2021 - Ausgabe 232
Kreuzberger
Frank Hoppe Und nun zu den Fischen! Drei schwimmen hierhin, einer woandershin. Was hat das zu bedeuten?
von Hans W. Korfmann
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Und nun zu den Fischen! Drei schwimmen hierhin, einer woandershin. Was hat das zu bedeuten? Manchmal sieht man ihn morgens früh an der Ampel, die abgeschabte schwarze Lederaktentasche, ein Erbstück des Vaters aus den sechziger Jahren, unter dem Arm und die langen Haare auf den Schultern des einst vornehmen, etwas aus der Mode gekommenen Jacketts. Wer ihn sieht, denkt an Bukowskis »Mann mit der Ledertasche«, den Postboten, der immer in Eile ist und dennoch nie sein Pensum schafft. Manchmal sieht man ihn nachmittags vor dem Yorcks in der Sonne sitzen und Tavli spielen mit Paros Bernd: immer sieben Spiele um einen Fünfer, und immer das Glück seines Gegners lautstark verfluchend. Am ehesten aber trifft man ihn abends spät an irgendeinem Tresen, dozierend, mit einem gewissen Timbre in der Stimme, hin und wieder unterbrochen von donnerndem Lachen. Frank Hoppe, »Magister Artium der Germanistik, Soziologie und Publizistik mit sehr gutem Ergebnis«, besitzt die Gabe der Rede. Da aber kein Professor, kein Politiker, kein Seelsorger und kein Suhrkamp-Autor aus ihm wurde, blieben ihm nur die kleinen Kreise der Zuhörer in der Nulpe, im Yorckschlösschen, im Backbord, vor denen er die Kunst der Rede ausüben konnte, für die ihn einst schon Professor Brüggemann aus Hannover hatte begeistern können. Auftritte vor größerem Auditorium waren Frank Hoppe nach dem Abschluss des Studiums nur selten vergönnt. Doch als es einen der Herthafans aus Vogts Bierexpress traf, stand Hoppe, der Grabredner, »plötzlich vor 500 Leuten, nichts in der Hand als ein paar Stichworte.« Es muss eine gute Rede gewesen sein, denn immer öfter wendeten sich die Stammtische nun an Hoppe, wenn sie einen der ihren verloren. Hoppe versteht sich darauf, die Tränendrüsen der Trauernden durch eine ausgewogene Mischung aus Humor und geschmackvoller Sentimentalität zu stimulieren. Er spricht von Menschen, die »sympathisch unwilliger Teil dieser geldvernarrten Welt« gewesen waren, der sie »rigoros die Stirn geboten haben.« Oder von einem, der schon als Kind quasi in den Zaubertrank gefallen sei, aber, »anders als Obelix ständig und unverdrossen nachgelegt habe.« Hoppe kann aus dem Stegreif Nietzsche oder Epikur, Mick Jagger oder Jack Nicholson in seine Reden einflechten. Der Job am Grab schien Zukunft zu haben. Doch während die Zahl der sich verabschiedenden Stammgäste immer größer wurde, wurde die der Trauergäste immer kleiner. Nie wieder standen so viele Zuhörer am Grab wie bei seinem ersten Auftritt. Frank Hoppe musste sich etwas Neues einfallen lassen. Nachdem es mit dem realen Friedhof nicht klappte, versuchte er es mit einem virtuellen, auf dem man Kerzen auf dem Bildschirm anzünden, noch einmal die Lieblingslieder der Verstorbenen hören und einer mit Timbre verlesenen Trauerrede lauschen konnte. Die Seite sollte so etwas wie eine »Kreuzberger Hall of Fame« werden, doch »der virtuelle Friedhof ging leider nie an den Start«. Hoppe musste sich etwas anderes einfallen lassen, wenn er noch einmal Gehör finden wollte auf Erden. Deshalb ist er seit dem 21. April 2021 online! Auf YouTube, bei Facebook und im Netz. Täglich begrüßt er einen noch kleinen, aber treuen Fankreis aus seinem Homeoffice, seinem Heimstudio, seiner Schreib- und Redestube mit Formaten wie »Franks Musikempfehlung«, »Franks Wahlhilfe« oder mit der »Ausstattung der Zentrale«. In letzterer widmet sich der Entertainer den Einrichtungsgegenständen seines Arbeitszimmers, in dem es kein Detail gibt, kein Bild, kein Buch, keinen Nagel an der Wand, der nicht Anlass für eine philosophische Betrachtung böte. Die Kamera wandert von Hoppes Schreibtisch zu Hoppes Bücherregal zu Hoppes Zimmerwänden: »Die roten Plastikrosen waren schon immer da und die Lampions an der Decke und die Eule auf dem Tisch auch. Nur die Fische sind neu.« Sie müssen dem Redner ein dringendes Bedürfnis gewesen sein, gleich in der ersten Folge »Römisch Eins« der Serie lässt er die stummen Wesen aus den Tiefen der Bedeutungslosigkeit ins Scheinwerferlicht auftauchen, versehen mit beiläufigen »Erläuterungen zum gefälligen Verständnis«, und vorgetragen mit Timbre in der Stimme: »Sehen wir uns die farbliche Gestaltung an: Blau, Gelb, Rot. Kontraste! - Energische Pinselstriche bringen uns das blaue Meer nah. - Nun zu den Fischen, drei schwimmen nach dort, einer schwimmt ins Woandershin. Was hat das zu bedeuten? Hat es überhaupt irgendetwas zu bedeuten? Das bleibt des Künstlers Geheimnis. Ja, das muss im Ungefähren, muss im Dunkeln bleiben. Scheinbar, zusammenhanglos, gar nicht zum maritimen Ambiente passend, haben wir hier noch die Gestirne: Sonne und Mond. Ohne die geht nämlich gar nichts hier in der Zentrale. Hier nich und sonst wo auch nich!« Das Filmplakat wiederum mit dem weißgeschminkten Klaus Maria Brandauer als Mephisto hängt schon seit Längerem an der Wand. Inzwischen lehnt es infolge eines »schadhaften Aufhängers« am Boden, und das findet der Moderator »auch ganz gut so, wenn der hier in der Zentrale von unten nach oben gucken muss«. Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, kommt Hoppe in den Sinn, auch wenn es gar nicht um den »ollen Goethe«, sondern um Klaus Manns Mephisto geht. »1936 erschienen, nicht in Deutschland, ging damals ja nicht.« Das Buch kam hier erst in den fünfziger Jahren heraus, der Film mit Brandauer erst 1981. Seit einigen Tagen stehen den deutschen Wählerinnen und Wählern dank Frank 16 wirklich alternative Wahlwerbespots zu Verfügung. Versuche jedoch, ihn in die viel zu kleinen Schubladen rechts oder links oder in der Mitte des politischen Systems einzuordnen, schlagen unfehlbar fehl. Hoppe passt in kein System, in kein politisches und kein religiöses. Er gibt keine Antworten, er stellt Fragen. Er sträubt sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Einordnung: mit der alten Ledertasche, dem ungebügelten Jackett, der großen Brille und der großen Rede. Der Mann ist ein Rätsel. Ein Rätsel, bei dessen Lösung keine Biographie hilft. Auch wenn Hoppe pikanterweise in der Nähe von Bösdorf geboren wurde, in einem Ort namens Eutin in der Holsteinischen Schweiz. Er kommt aus einem Landstrich, der in den Siebzigern noch namenloses Grünland voller Kühe war. Eutin machte erst von sich reden, als die deutsche Fußballnationalmannschaft in der Region ihr Trainingslager aufschlug. Wäre es nach Franks Vater gegangen, hätte sich der Sohn womglich nicht mit Kant und Nietzsche, sondern mit der Milchwirtschaft beschäftigt. Immerhin hatte er seinem Sohn schon einmal einen Ferienjob in der Molkerei besorgt, wo Frank H-Milch für die Firma Aldi verpackte. Vielleicht sah der Vater, der es geschafft hatte, an den Fachhochschulen einen Diplomstudiengang für das Fach »Molkereiwirtschaft« einzurichten, im Ferienjob des Sohnes den Beginn einer steilen Karriere. Aber dann wollte Frank nicht zur Bundeswehr und verließ 1977 die norddeutsche Weidelandschaft, um nach Berlin zu gehen. Und weil das Leben in Berlin so lustig war, dauerte es nicht lange, da wurde Frank Vater einer Tochter namens Louisa. Sabine, die Mutter, ist womöglich die einzig wichtige Person in Frank Hoppes Leben, die er nicht in einer Kneipe kennenlernte. »Sabine sah ich auf dem Schulhof des Gymnasiums.« Seit 43 Jahren wohnen die beiden jetzt in der Yorckstraße, »verteilt auf...« - Hoppe legt die Stirn in Falten und nimmt die Finger zu Hilfe, um nachzuzählen – »fünf Zimmer«. Louisa ist jetzt groß und die Hoppes sind bereits Großeltern, auch ohne die gesicherte Existenzgrundlage, die der Vater dem Sohn gewünscht hatte. Zu Beginn seines Berliner Berufslebens fuhr Hoppe Taxe, so wie alle Studenten. Bei Kilometer 700.000 wollte er eigentlich aussteigen, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Doch ohne Geld war auch das Leben in Berlin kein Vergnügen, also verschob er den Ausstieg auf Kilometer 777.777. Und sicher hätte er abermals erhöht, auf 888.888, - Hoppe ist ein Spieler! »Aber dann, am Großen Stern, bei Kilometer 777.776, ich schwör´s, verreckt mir die Karre!« Wieder einmal musste Frank sich etwas Neues einfallen lassen. Und wieder einmal stand er am Kneipentresen, als ihn ein Immobilienhändler ansprach, der »richtig viel Geld hatte. Aber da musste mal Ordnung rein in seinen Laden.« Es dauerte nicht lange, da war Hoppe Privatsekretär. »Die Arbeit des Privatsekretärs besteht darin, sich durch einen riesigen Berg von Papieren zu wirtschaften und Ordnung hineinzubringen. Das dauert vier Monate. Danach ist alles entspannt.« Dann geht man mit dem Chef abends ein Bier trinken oder zwei. Der nächste, den er am Tresen traf, war ein Skipper, der in Fürstenberg zwei Hausboote zu Wasser gelassen hatte, und der für seine River Boating Holidays noch einen Geschäftsführer suchte. Und dann war da noch Gerhard Sieber, der gleich um die Ecke in der Hornstraße wohnte und die Rechte für die alten Defa-Filme erworben hatte. Nun sollten die Filmschätze der DDR digitalisiert und archiviert werden. Frank fiel die Aufgabe zu, die sogenannte Defa-Hall of Fame einzurichten, ein digitales Nachschlagewerk von Angelica Domröse über Manfred Krug bis zu Armin Müller-Stahl. Fast so etwas wie sein digitaler Friedhof. Die Seite ging tatsächlich an den Start, aber inzwischen ist auch sie wieder verschwunden. Eine der wichtigsten Begegnungen war die mit dem Schauspieler Alexander Held, von dem er auch die Sache mit der Stimmlage lernte. »Wenn du Aufmerksamkeit willst, brauchst du Timbre in der Stimme.« Frank Hoppes Brustkorb war ein einziger großer Klangkörper, wie geschaffen für die Produktion einer schier unvergesslichen Stimme, mit der er mühelos auch die Leute in der hintersten Reihe erreichen konnte. Mit dieser Stimme hätte Hoppe auch ein erfolgreicher Radiosprecher, ein berühmter Fußballkommentator oder Synchronsprecher für Bud Spencer werden können – aber das Schicksal hatte etwas anderes vor mit Frank Hoppe. Das Schicksal führte ihn zu Udo Röbel. Einem Mann, der gelernt hatte, dass man selbst als Chefredakteur der »Bild«-Zeitung nicht sagen und schreiben konnte, was man wollte. Deshalb hatte er großes Verständnis für Franks Sehnsucht nach unumschränkter Redefreiheit, nach einem Leben ohne Maulkorb. Frank wollte auch vor laufender Kamera nichts anderes sein als der Frank vom Stammtisch oder der Frank aus Eutin. Und deshalb drehen sie jetzt zwei mal die Woche. Aber noch immer sind viele ratlos, wenn sie auf YouTube plötzlich diesem Mann mit der veralteten Hippiefrisur begegnen, der unter dem Denkmal auf dem Kreuzberg Reden hält. Sie wissen nicht, was sie mit ihm anfangen sollen. Deshalb führt die Seite laut Hoppe noch ein »Dornröschendasein«. Und fügt etwas nachdenklich hinzu: »Die Zielgruppe ist vielleicht doch sehr eingeschränkt.« - Wohl wissend, dass das Leben kein Märchen ist, und dass die blinden Prinzen oft vorbeilaufen an den schlafenden Prinzessinnen. Aber egal! Wenn Hoppe abends spät in seiner Zentrale sitzt, dann kann er sich köstlich amüsieren, wenn er sich da über den Bildschirm stolzieren sieht und erzählen hört. Er hat endlich seine Bühne gefunden. Diese Seite im Internet ist kein Zufall in Frank Hoppes Leben, sie ist eine logische Konsequenz. Vielleicht ist sie sogar die Quintessenz seiner Geschichte: https.gottseidankfrank.com. • |