September 2021 - Ausgabe 232
Mühlenhaupts Erinnerungen
Een Klecks zu ville von Kurt Mühlenhaupt |
Emil ist ein furchtbarer Trinker vor dem Herrn. Es ist keine Brause, kein Wasser und keine Milch, nein, Branntwein trinkt er, Korn, Fusel, Brennspiritus und neuerdings sogar Gesichtswasser. Eben alles, was nach Alkohol riecht. Emil ist schon soweit, daß er furchtbar zittert, wenn er nichts zum Schlucken hat. Einmal stand er vor mir, und ich hatte Erbarmen vor so viel menschlicher Tiefe. Ich gab ihm darum einen Schluck Korn aus meiner Pulle. Als er den durch seine Kehle goß, war das Zittern weg. »Ich hab da eine Idee«, sagte ich. »Du mußt arbeiten gehen, Emil. Ich meine so richtig schwer arbeiten. Dabei vergißt du den Alkohol und dein Körper kann sich mal so richtig ausruhen. Außerdem verdienste so viel, daß du nach Feierabend den Deibel tanzen lassen kannst. Trink aber nicht zu ville, sonst schmeißt dich der Chef gleich wieder raus.« Det is die Idee«, sagte er. »Ick werde arbeiten.« »Gut«, sagte ich, »aber schieb es nicht auf die lange Bank.« »Nee, nee, ick fange noch heute bei Ihnen an, heute und hier, gleich uff de Stelle.« Ich war perplex. Er griff sich Pinsel und Farbe, die eigentlich zum Grundieren meiner Leinwand da stand. Er fing an zu streichen. Aber nicht allzu lange. Es packte ihn von neuem das Zittern so gewaltig, daß er mir meine ganze Bude vollkleckste. Entnommen aus Kurt Mühlenhaupt, Rund um den Chamissoplatz, 1969 - 1975 |