Kreuzberger Chronik
November 2021 - Ausgabe 234

Kanzlei Hilfreich

Hilfreiche und das sgguu


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von Kajo Frings

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Weshalb Jens Hilfreich beinahe schreien musste

Wenn Jens Hilfreich etwas aufregte, waren es diese neunmalklugen selbstgerechten Schlaumeier. »Nein, Herr Anwalt, ich habe zwar bei der Polizei irgendwas geredet, weil der Beamte sagte, ich käme sonst in Untersuchungshaft, aber ich habe nichts gesagt.«

Und dann las Jens das Vernehmungsprotokoll aus der Akte: »Ich begab mich morgens früh um fünfuhrdreißig mit meinen Kumpels Alfred und Erich in den Späti in der Blücherstraße mit dem bedingten Vorsatz, in einem unbeobachteten Moment eine Flasche Asbach aus dem Regal zu nehmen und erst am nächsten Tag zu bezahlen oder auch nicht. sgguu. Martin Bornbach.«

»So hab ich das nie gesagt«, jammerte Bornbach. »Aber Sie haben es unterschrieben.« - »Ja aber mit Einschränkung. Hat der Polizist mir doch gesagt und hingeschrieben: sehr genau genommen unter Vorbehalt.« Jens machte einen auf Deutschlehrer: »Da steht aber nicht sgguV sondern sgguu« - »Und was heißt das?« Jens versuchte nicht zu schreien: »Das heißt: selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben« - »Und was hab ich jetzt unterschrieben?« - »Ihr Todesurteil zwar nicht, aber ein Geständnis« - »Aber wir wollten den Asbach doch am nächsten Tag zahlen. Bei Onur kann man anschreiben.« - »Und warum ist laut Akten Onur hinter Ihnen und Ihren Kumpels hergerannt und hat Euch angezeigt?« Martin hob die Schultern.

»Wie ich darauf ne Verteidigung aufbauen soll, ist mir noch nicht klar«, meinte Jens Hilfreich »Können Sie mich bezahlen?«

»Können Sie nicht Pflichtverteidigung beantragen?« - »Beantragen kann ich viel, aber seien Sie froh, wenn der Antrag abgelehnt wird. Denn eine Pflichtverteidigung gibt´s nur, wenn die Verteidigung durch einen Anwalt notwendig ist. So steht es im Gesetz. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Also wenn Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erwarten ist oder Sie ein Volltrottel sind. Jetzt machen wir eine Honorarvereinbarung, dass ich nach einem Stundensatz abrechne, 300 Euro sind angemessen.«

»Und das Geld krieg ich wieder, wenn ich freigesprochen werde?« - »Nein, da gibts es nur die Sätze nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.« - »Nee«, maulte Herr Bornbach. »sowas unterschrieb ich nicht.« Jens Hilfreich lächelte gequält. »Also ein Volltrottel sind Sie schon mal nicht!«

Wie man einen Anwalt bezeichnen sollte, der einen solchen Fall annahm, ließ er offen. •


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