November 2021 - Ausgabe 234
Geschäfte
amBEATion von Hans W. Korfmann |
»Ohne Bücher würde ich bald verrückt werden oder eingehen.« Ein Satz von Mirabeau, den Buchhändler Tode gerne zitiert. Am Rand der einst von Künstlern und Aussteigern besiedelten Insel Kreuzberg liegt, von vielen schon vergessen, noch immer ein Geschäft, eine Mischung aus Trödelladen, Weinhandlung und Buchantiquariat, dessen Auslage zufällige Passanten immer wieder zum Stehenbleiben und Staunen verführt. So war den ganzen letzten Sommer über in einem der beiden Schaufenster nur ein einziges Buch ausgestellt: Ein Klassiker, der schon so oft und in so vielen so verschiedenen Ausgaben erschienen ist, dass er mühelos ein ganzes Fenster füllt. Zwischen jedem der ausgestellten Buchdeckel mit ihren wichtig großen Lettern und ihren bunten Illustrationen vom Seefahrer im Sturm, vom Mann im Bärenfell oder vom halbnackten Einsiedler auf der Palmeninsel, verbirgt sich die wunderbare Geschichte des gestrandeten Seemanns Robinson Crusoe. Riewert Quedens und Harboe Tode sind leidenschaftliche Sammler. Sie geben sich nicht zufrieden mit einer Flasche Wein im Keller, einer alten Kaffeekanne im Buffet oder einem Kafka im Regal. Aber von allen ihren Leidenschaften die größte ist die Literatur. Deshalb gründete Riewert Quedens schon im zweiten Jahr seiner Buchhändlerlehre einen eigenen Verlag, und weil die Beatniks in Amerika gerade so erfolgreich waren und Jack Kerouac und Alan Ginsberg und Timothy Leary auch Deutschland eroberten, nannte er ihn amBEATion. 1963 gab er, gemeinsam mit Hartmut König, die erste von sechs ambitionierten Ausgaben einer gleichnamigen Zeitschrift mit Gedichten und Prosatexten heraus, mit politisch korrekten Titeln wie »An einen Verhungerten«, »Der Streik« oder »Vietnam forever.« Vietnam war das große Thema der Sechziger, auch in der Literatur, und so erschienen die Nummern sieben und acht der amBEATion nicht mehr im DinA-4 Format, sondern zum Buch gebunden als Anthologie. Gedruckt wurde beim anarchistischen Untergrunddrucker Peter Paul Zahl in der Urbanstraße, unter den 39 Autoren waren Erich Fried, Heiner Müller und F.C. Delius. »Das Buch«, erinnert sich der Verleger, »erschien 1968, einen Tag vor dem Vietnamkongress in der TU. Wir hatten da einen kleinen Stand vor dem Audimax aufgebaut, Natascha Ungeheuer hatte das Plakat gemalt, und als ich da so an meinem Stand stehe, erkenne ich Gustav Heinemann, den späteren Bundespräsidenten. Ich gehe also zu ihm hin und möchte ihm eines von den Büchern schenken, zur politischen Weiterbildung sozusagen, aber der wehrte mit beiden Händen ab und bestand darauf, es zu bezahlen.« Etwa 70 Bücher sind seitdem in dem kleinen Verlag erschienen, dessen Büro sich zuerst in der unspektakulären Eylauer Straße befand und jetzt im Hinterzimmer der Trödel-Wein-Buchhandlung zwischen Kühlschrank und bescheidener Küchenzeile verbirgt. Katja Lange, die inzwischen Katja Lange-Müller heißt, veröffentlichte hier ebenso ihre ersten Zeilen wie Timm Ulrichs oder wie Dörthe Fischbach, die inzwischen Dörthe Fischbach-Tode heißt und ebenso leidenschaftlich liest und schreibt wie der Verleger. »Abnabelungen« heißt ihr Roman in Briefen, in dem es um eine Dreierbeziehung zur Zeit der Studentenbewegung geht. Auch das ein stetiges Thema in den Sechzigerjahren, das bis heute nicht an Attraktivität verloren hat. »Unser heimlicher Bestseller war Reuven Moskovitz´ Lebensrückblick. Der lange Weg zum Frieden erschien in sieben Auflagen.« Moskovitz, ein Überlebender des Holocaust, der 2003 den Aachener Friedenspreis erhielt, setzte sich zeitlebens leidenschaftlich für den Frieden im Nahen Osten ein und ergriff dabei auch immer wieder Partei für die Palästinenser. Riewert erinnert sich an einige Begegnungen mit ihm nicht ohne Gänsehaut. »Der hatte Kraft!« Natürlich hat einer, der derart in die Literatur vernarrt ist wie Riewert Quedens Tode, auch selbst das eine oder andere Wort veröffentlicht. Unter anderem in dieser charmanten Serie der Kreuzberger Randlage, die unregelmäßig in sehr großen und sehr kleinen Abständen, aber seit 1979 überraschenderweise doch immer wieder erscheint. Die kleinen Büchlein im Reclam-Format sind liebevoll gestaltete Kunstwerke, die Autoren Bekannte und Unbekannte. Zuletzt erschien in der Edition, die zunächst Randlage, später Kreuzberger Randlage hieß, ein Buch mit dem Titel: »Demets noch schönere Welt.« Darin zeichnet der Illustrator und Karikaturist Dieter Mettelsiefen-Demet Bilder einer von Computern beherrschten Welt, die sich selbst der phantasiebegabte Aldous Huxley so noch nicht hatte vorstellen können. Damit bleibt der Verlag den politischen Ambitionen aus dem Jahre 1963 bis heute treu. • |